Psychotherapeuten sehen Versorgungsqualität bei Kindern vermindert

Leipzig – Die Coronapandemie hat aus Sicht von Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten starken Einfluss auf die psychotherapeutische Versorgungsqualität und psychische Verfassung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland genommen.
Seit Beginn der Pandemie werden zunehmend negative Einflüsse der Coronakrise auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen dokumentiert. Welche Bedeutung dies für die psychotherapeutische Versorgung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland hat, haben Wissenschaftler vom Institut für Psychologie der Universität Leipzig untersucht (DOI: 10.1007/s00278-022-00604-y)
Sie initiierten dafür eine deutschlandweite Online-Umfrage mit 324 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (KJP, 258 weiblich, 66 männlich, durchschnittl. Alter: 47,71 Jahre) zur Einschätzung der Betreuungssituation in den letzten 6 Monaten im Vergleich zu einem 6 monatigen Zeitraum von vor 2 Jahren.
Die Mehrheit der Befragten arbeitete in Großstädten (49,38 %), mehr als ein Drittel in kleineren bzw. mittleren Städten (42,9 %) und weniger als ein Zehntel in ländlichen Regionen (8,33 %). Es waren Teilnehmende aus allen 16 Bundesländern vertreten. Die durchschnittliche Zahl der Berufsjahre betrug 12,14 (SD ± 8,17).
Die Teilnehmenden berichteten, dass ihre Patienten signifikant längere Wartezeiten, auf einen Erstgesprächstermin (von fünf auf zehn Wochen) oder Therapieplatz (von drei auf sechs Monate) hinnehmen mussten, als im Vergleichszeitraum vor der Pandemie.
Besonders alarmierend sei die Situation in ländlichen Gebieten, wo die Wartezeit wegen der schlechteren therapeutischen Versorgung mittlerweile bei über einem Jahr liege, betonen die Studienautoren.
Zudem berichteten 66 % der KJP ihre Behandlungsstunden seit Pandemiebeginn leicht bis sehr stark erhöht zu haben, bei 23 % seien sie gleichgeblieben, und 11 % hätten sie leicht bis sehr stark verringert.
Bei der Hälfte der Patienten wurde eine pandemieassoziierte Symptomverschlechterung verzeichnet, vor allem bei Depressionen, Angststörungen, Medienabhängigkeit, Schlaf, Anpassungs , Zwangs- und Essstörungen.
Es erfolgten mehr Telefon- und Videositzungen als vor der Pandemie, wohingegen interdisziplinäre Netzwerke mit Pädagogen in Kitas und Schulen sowie den Beschäftigten der Jugendhilfe weniger häufig genutzt wurden.
Die Studienautoren werten dies als Rückschlag für die Qualität der psychotherapeutischen Versorgung in Deutschland, weil die Pandemie-bedingten Restriktionen Barrieren im Hilfesystem aufgebaut haben.
Als Gründe für diese negativen Trends bei Kindern und Jugendlichen nennen die Studienautoren eine veränderten Tagesstruktur durch Homeschooling oder Wechselunterricht, eingeschränkte Freizeitmöglichkeiten und soziale Kontakte, allgemeine Unsicherheit im Wegfall vieler Angebote des Hilfesystems und eine konkrete Angst vor einer Coronainfektion.
Daher wären Maßnahmen zur Anpassung der psychotherapeutischen Versorgung an den gestiegenen Bedarf notwendig, um mögliche Folgeschäden der Pandemie zu begrenzen.
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