Politik

Rettungsdienst: Wissenschaftlicher Dienst sieht Regelungs­möglichkeiten beim Bund

  • Mittwoch, 17. April 2024
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Berlin – Durch die medizinische Weiterentwicklung der Notfallmedizin sowie die Erweiterung des Leistungs­umfangs kann der Rettungsdienst verfassungsrechtlich betrachtet der Gesundheitsversorgung und nicht mehr ausschließlich der Gefahrenabwehr zugerechnet werden.

Daraus kann sich eine gesetzgeberische Kompetenz für die Bundespolitik ergeben, speziell in dem Fall, wenn der Not- und Rettungsdienst ein eigenständiger Leistungsbereich im Sozialgesetzbuch V (SGB V) werden würde. Das geht aus einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages hervor, das dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt.

In der 18-seitigen Expertise beschreiben die Expertinnen und Experten des Bundestages ausführlich, wie das bisherige Verhältnis zwischen Finanzierung des Rettungsdienstes zwischen Bund und Ländern sowie der gesetzlichen Krankenversicherung geregelt ist.

Da der „Rettungsdienst eine öffentliche Aufgabe der Daseinsvorsorge ist", gehört das Rettungswesen bislang in die Zuständigkeit der Bundesländer. Dazu gehören die Regelungen zur Trägerschaft, Aufgabenverteilung, Genehmigungspflichten sowie die konkrete Durchführung eines funktionierenden Rettungsdienstes, heißt es in dem Gutachten.

Allerdings habe sich „Expertenmeinungen zufolge die Notfallrettung in den vergangenen Jahrzehnten zuneh­mend zu einer präklinischen Versorgung der Notfallpatienten entwickelt", schreibt der Wissenschaftliche Dienst des Bundestages. Es gehe nicht mehr ausschließlich um die Herstellung der Transportfähigkeit der Patienten. „Vielmehr beginne die notfallmedizinische Versorgung des Patienten bereits am Einsatzort" und sei deshalb immer mehr Teil der „Gesundheitsvorsorge", heißt es weiter in dem Gutachten.

An einer anderen Stelle betonen die Autorinnen und Autoren das Wirtschaftlichkeitsgebot aus dem SGB V: Da bei Notfällen nur dann der Transport von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bezahlt werde, wenn die medizinische Versorgung vor Ort nicht abgeschlossen werden könne, komme es zu Transporten, die nicht notwendig seien. „Diese Fehlanreize stehen im Widerspruch zum Wirtschaftlichkeitsgebot“, heißt es im Gut­achten.

Derzeit ist die Finanzierung des Rettungsdienstes geprägt durch die gesetzgeberische Kompetenz der Länder, die für die Sicherstellung, Organisation und Durchführung zuständig sind. Gleichzeitig haben die Kranken­kassen die bundesrechtliche Verpflichtung, die Versorgung ihrer Versicherten entsprechend zu finanzieren.

Die Länder und Kommunen sind entweder selbst Träger der Rettungsdienste, oder haben für den Rettungsd­ienst entsprechende Rettungszweckverbände gegründet. Nur in Baden-Württemberg ist der Rettungsdienst privatrechtlich organisiert.

Insgesamt unterscheiden sich aber die Kosten für Rettungsdienstfahrten: In den Landesrettungsgesetzen sind unterschiedliche Gebührenordnungen und Entgelte vorgesehen, so dass es „regional sehr unterschiedliche Vergütungsmodelle“ für Rettungsdienstfahrten gebe.

Für die Krankentransportleistungen, die nicht unter die jeweiligen Landesgesetze fallen, gilt das bundesweite Personenbeförderungsgesetz. Das komplizierte Finanzverhältnis zwischen den Krankenkassen sowie den kommunalen und landesweiten Trägern hatte auch schon der Bundesrechnungshof 2018 kritisiert und dafür plädiert, die derzeitige Mischfinanzierung von Steuer- sowie Krankenkassenmittel für den Rettungsdienst und die Gefahrenabwehr zu trennen.

Es müsse eine „klare Trennung zwischen den Rettungsdienstleistungen, die von den Krankenkassen zu tragen seien, und den von den Ländern zu tragenden Ausgaben für die Gefahrenabwehr und Daseinsvorsorge“ geben, so der Bundesrechnungshof. Diese Aussage zitiert auch das Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages.

Die Ausarbeitung beschreibt in einem weiteren Kapitel die juristische Perspektive, wie in diesem Fall die sogenannte konkurrierende Gesetzgebung von Bund und Land betrachtet werden könnte.

Aus den bisherigen grundgesetzlichen Regelungen sowie der Rechtsprechung und Kommentierungen in der Fachliteratur habe der Bund nur dann eine Befugnis zur Gesetzgebung, wenn der Rettungsdienst als eigen­ständiges Leistungssegment im SGB V definiert wird, heißt es im Gutachten.

Und weiter: Die „Realisierung einer medizinischen Akutversorgung, insbesondere die Durchführung lebens­rettender Maßnahmen am Notfallort und während der Rettungsfahrt, gehört neben der ambulanten und stationären ärztlichen Behandlung zum Kern einer sozialversicherungsrechtlichen Absicherung.“

Auch die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung hat in ihrer neunten Stellungnahme vorgeschlagen, die Notfallbehandlung als konkreten Leistungsanspruch in einer eigenständigen Norm im Sozialgesetzbuch V zu regeln. Damit könnten auch die Vergütungsregelungen für Notdienst- und Rettungsfahrten neu verhandelt werden.

Im Gutachten des wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages wird an verschiedenen Stellen Fachliteratur erwähnt, deren Autor für einen Auftrag an ein Gremium plädiert, die einen „Katalog von Pauschalen für die Erfüllung von Strukturqualitätsparametern beim Notfallmanagement, bei der Notfallbehandlung und beim Notfalltransport" festlegen könnte. Mit solch einer Regelung läge die Gesetzgebungskompetenz beim Bund, der in Verknüpfung mit Qualitätskriterien für die „Sicherstellung einer bundeseinheitlichen Struktur- und Versorgungsqualität“ zuständig ist.

Damit könnte der Bundesgesetzgeber auch bundeseinheitliche Vorgaben für die Vergütung der Inanspruch­nahme von Leistungen des Rettungsdienstes und von Krankentransporten festlegen. Diese Verhandlungen müssten dann die Leistungserbringer – in diesem Fall die jeweiligen Rettungsdienste – sowie die Kranken­kassen führen. Dabei gehört laut Gutachten auch zur Kompetenz des Bundes, Qualitätsparameter festzulegen, die von den jeweiligen Trägern in den Landkreisen erfüllt werden müssen.

Allerdings hatte der Bund in früheren Gesetzgebungsverfahren – etwa 2015 beim GKV-Versorgungsstärkungs­gesetz – noch dafür plädiert, den Rettungsdienst und die medizinische Notfallrettung nicht – wie damals vom Bundesrat gefordert – in das Sozialgesetzbuch V aufzunehmen.

Beauftragt hat das Gutachten der gesundheitspolitische Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, Janosch Dahmen. „Der wissenschaftliche Dienst des Bundestags hat ein bemerkenswertes Gutachten zur Gesetzge­bungskompetenz des Bundes für das Rettungswesen in Deutschland vorgelegt“, erklärte Dahmen im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt. Besonders mit Blick auf die geplante Gesetzgebung zur Notfall- und Rettungs­dienstreform unterstreiche das Gutachten die Möglichkeiten des Bundes, auch beim Rettungsdienst tätig zu werden.

Für das Gesetz zur Notfallreform liegen bereits Eckpunkte vor, die zu Beginn des Jahres vorgestellt wurden. Für das Rettungsdienstgesetz ist allerdings noch keine Vorlage bekannt. Beide Gesetze – die zum Quartett der Gesetze im Rahmen der Krankenhausreform gehören – sollen Ende Mai im Bundeskabinett beschlossen werden. Dahmen ist in den Ampelfraktionen einer der Treiber einer Rettungsdienstreform.

„Aus dem Gutachten geht hervor, dass der Bund aus seiner Zuständigkeit für die Sozialversicherung nicht nur die grundsätzliche Gesetzgebungskompetenz, sondern dem Grundgesetz nach sogar die Pflicht zur Sicherung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Rahmen der Sozialversicherung und für den Schutz des Lebens hat“, resümiert Dahmen.

Bundesweit müssten sich Bürgerinnen und Bürger im Notfall darauf verlassen können, „nach dem Stand der medizinischen Wissenschaft versorgt zu werden“. Es sei „Aufgabe des Bundes durch Vereinheitlichung wesent­licher Standards für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Rettungsdienst zu sorgen“, erklärte Dahmen weiter. So fehle es in vielen Bundesländern an der Erhebung der Versorgungsqualität im Rettungsdienst.

„Für uns als regierungstagende Fraktionen ist dies im Bundestag Rückenwind und Auftrag zugleich“, sagte Dahmen. „Nicht nur die verfassungsrechtliche Perspektive, sondern auch die Ausgabenentwicklung der GKV für den Rettungsdienst, die sich in den letzten zehn Jahren auf inzwischen fast neun Milliarden pro Jahr verdoppelt haben, zeigen den dringenden Handlungsbedarf an.“

bee

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