Bundesärztekammer legt Konzeptpapier zur Akut- und Notfallversorgung vor

Berlin – Zur künftigen Ausgestaltung einer patientengerechten sektorenübergreifenden akut- und notfallmedizinischen Versorgung hat die Bundesärztekammer (BÄK) ein umfassendes Konzeptpapier vorgelegt. Zu den identifizierten Kernelementen gehören unter anderem die Förderung der Kompetenzen und Kenntnisse der Bevölkerung zur Versorgung im Akut- und Notfall sowie vernetzte Leitstellen als Ausgangspunkt für definierte Versorgungspfade.
Bundesärztekammer und Landesärztekammern würden sich in der Pflicht sehen, die geplante Reform der Akut- und Notfallversorgung mitzugestalten und wesentliche Kriterien und Ansatzpunkte für das Gelingen einer Notfallreform vorzulegen, heißt es im Konzeptpapier.
Man vertrete die Perspektive der Ärztinnen und Ärzte sowie ihrer Patientinnen und Patienten aus allen Versorgungsbereichen, kenne die Gegebenheiten vor Ort und könne wesentlich zu einer sektorenübergreifenden Konsensfindung in strittigen Punkten beitragen.
Aus Sicht der Ärzteschaft ist unter anderem eine Stärkung von Gesundheitskompetenz und Gesundheitsbildung vom Kindesalter an zu fordern. Dazu solle der Bereich Gesundheitsbildung in den Schulunterricht aufgenommen und unter Mitwirkung der Ärzteschaft eine entsprechende konzertierte Aktion mit den Vertretern aus dem Bildungswesen angestoßen werden.
Zudem enthält das Papier den Vorschlag, mindestens zwei Schulstunden jährlich in Wiederbelebung, beginnend mit Jahrgangsstufe 7 und fortgesetzt bis zum Ende der Schulzeit, verpflichtend einzuführen.
Eine barrierefreie, mehrsprachige und multimediale Aufklärungs- und Informationskampagne soll dazu beitragen, dass möglichst viele Menschen die vorgesehenen Versorgungspfade der Notfallversorgung kennen und nutzen – hierbei sollen insbesondere auch vulnerable, schwer erreichbare Zielgruppen berücksichtigt werden.
Verbindliche Systeme zur Versorgungssteuerung notwendig
Angesichts von Ärzte- und Fachkräftemangel, zunehmendem Versorgungsbedarf sowie zur Vermeidung von Fehlinanspruchnahmen von Rettungsdienst, Notaufnahmen und vertragsärztlichem Bereitschaftsdienst seien leistungsfähige und verbindliche Systeme zur Versorgungssteuerung unumgänglich. Im Konzeptpapier heißt es dazu, das Prinzip, nach dem alle Patienten mit akuten Beschwerden und in Notfällen zunächst über die 116117 beziehungsweise die 112 eine gemeinsame Leitstelle von Kassenärztlicher Vereinigung (KV) und Rettungsdienst kontaktieren, müsse strikt umgesetzt werden. Durch virtuelle Vernetzung der bestehenden Leitstellen könnten gemeinsame Leitstellen gebildet werden.
Gefordert wird auch, bundesweit eine standardisierte und validierte medizinische Ersteinschätzung für die Ermittlung von Dringlichkeit und adäquater Versorgungsebene einzuführen – dies soll telefonisch, per Videokonsultation sowie als Selbsteinschätzung per App für PC, Tablet oder Smartphone möglich sein.
Um eine gewisse Verbindlichkeit der so erfolgten Zuweisungsentscheidung zu gewährleisten, soll es zielgerichtete Information und Anreize geben, etwa eine bevorzugte Behandlung innerhalb gleicher Dringlichkeitsstufen bei Einhaltung des vorgesehenen Zugangs- und Versorgungspfades.
Da notfallmedizinische Strukturen durch Telemedizin entlastet werden können, müssten die diesbezüglich geplanten Maßnahmen aus dem Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungsgesetz (DVPMG) zügig umgesetzt werden.
Notwendig seien etwa Anreize für die flächendeckende Einführung von über die gemeinsamen Leitstellen vermittelten Videosprechstunden im Rahmen des ärztlichen Bereitschaftsdienstes, Rahmenbedingungen für eine Weiterleitung von Hilfesuchenden aus der telemedizinischen Beratung in die Regelversorgung mit direkter Terminvergabe sowie angemessene Finanzierungsregelungen für telemedizinische ärztliche Notfallberatungen.
In den Rettungsdienst, den vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst und die Notaufnahmen sollten zudem Versorgungsangeboten wie Notfallpflege, Kurzzeitpflege, Palliativversorgung, sozialpsychiatrische Dienste und Sozialdienste eingebunden werden.
Digitalisierung zentrales Handlungsfeld
Eine vernetzte, sektorenübergreifende Reform der Akut- und Notfallversorgung könne nur auf Grundlage einer umfassenden Digitalisierung funktionieren, wird im Papier betont. Die Akteure müssten über digitale Lösungen miteinander kommunizieren und Kapazitäten einsehen können.
Gefordert wird unter anderem die Entwicklung eines datenschutzkonformen medizinischen Informationsobjektes (MIO) „Notfallakte“. Diese Notfallakte soll initial beim ersten Kontakt mit der Notfallversorgung angelegt werden und für alle weiteren in der Notfallkette Tätigen online verfügbar sein – die Gematik soll dieses MIO und den gesamten Fallaktenprozess in die elektronische Patientenakte (ePA) integrieren.
Auch brauche es eine Definition einheitlicher Standards für interoperable Schnittstellen, Kommunikationstechnik und Datensätze sowie eine automatisierte Zusammenführung der in der Akut- und Notfallversorgung erhobenen Daten in einem Register zur Nutzung für Transparenz, Forschung und Qualitätsmanagement.
Ganz wesentlich stelle sich laut Konzeptpapier auch eine Reform des Rettungsdienstes dar. Die aktuellen Rahmenvorgaben des Rettungsdienstes als „Transportleistung“ würden den heutigen Anforderungen an die präklinische Akut- und Notfallmedizin nicht gerecht, heißt es.
Es gelte Rahmenbedingungen und Finanzierungsregelungen zu schaffen, die eine fallabschließende Behandlung im Rettungsdienst durch eine Ärztin/einen Arzt vor Ort beziehungsweise telemedizinisch ermöglichen und Transportmöglichkeiten in eine Vertragsarztpraxis oder die Übergabe an den ärztlichen Bereitschaftsdienst gestatten.
Wolle man mit einer Notfallreform die Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung ohne Versorgungsbrüche für die Patienten ausgestalten und es Ärzten ermöglichen, unter fairen Bedingungen sektorenverbindend zu agieren, brauche es grundsätzlich einen finanziell abgesicherten Struktur- und Personalaufbau, so die BÄK. Sanktionen seien hingegen kein probates Mittel, um eine qualitativ hochwertige Versorgung zu gewährleisten.
Eine spürbare Entlastung der Notfallstrukturen sei nur möglich, wenn im ambulanten und stationären Bereich ausreichend strukturelle und vor allem personelle Kapazitäten vorgehalten werden. Deshalb müssten zeitnah Reformen zur Stärkung des ambulanten und des stationären Sektors umgesetzt und die Transformationskosten ausreichend finanziert werden – inklusive einer Vorhaltefinanzierung im ambulanten und im stationären Sektor, um ausreichende Kapazitäten für nicht-elektive Patienten sicherzustellen.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: