Ärzteschaft

Bundesärztekammer legt Konzeptpapier zur Akut- und Notfallversorgung vor

  • Montag, 8. April 2024
/picture alliance, Christian Charisius
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Berlin – Zur künftigen Ausgestaltung einer patientengerechten sektorenübergreifenden akut- und notfall­medi­zinischen Versorgung hat die Bundesärztekammer (BÄK) ein umfassendes Konzeptpapier vorgelegt. Zu den identifizierten Kernelementen gehören unter anderem die Förderung der Kompetenzen und Kenntnisse der Bevölkerung zur Versorgung im Akut- und Notfall sowie vernetzte Leitstellen als Ausgangspunkt für definierte Versorgungspfade.

Bundesärztekammer und Landesärztekammern würden sich in der Pflicht sehen, die geplante Reform der Akut- und Notfallversorgung mitzugestalten und wesentliche Kriterien und Ansatzpunkte für das Gelingen einer Notfallreform vorzulegen, heißt es im Konzeptpapier.

Man vertrete die Perspektive der Ärztinnen und Ärzte sowie ihrer Patientinnen und Patienten aus allen Ver­sor­gungsbereichen, kenne die Gegebenheiten vor Ort und könne wesentlich zu einer sektorenübergreifenden Konsensfindung in strittigen Punkten beitragen.

Aus Sicht der Ärzteschaft ist unter anderem eine Stärkung von Gesundheitskompetenz und Gesundheitsbil­dung vom Kindesalter an zu fordern. Dazu solle der Bereich Gesundheitsbildung in den Schulunterricht auf­genommen und unter Mitwirkung der Ärzteschaft eine entsprechende konzertierte Aktion mit den Vertretern aus dem Bildungswesen angestoßen werden.

Zudem enthält das Papier den Vorschlag, mindestens zwei Schulstunden jährlich in Wiederbelebung, begin­nend mit Jahrgangsstufe 7 und fortgesetzt bis zum Ende der Schulzeit, verpflichtend einzuführen.

Eine barrierefreie, mehrsprachige und multimediale Aufklärungs- und Informationskampagne soll dazu bei­tragen, dass möglichst viele Menschen die vorgesehenen Versorgungspfade der Notfallversorgung kennen und nutzen – hierbei sollen insbesondere auch vulnerable, schwer erreichbare Zielgruppen berücksichtigt werden.

Verbindliche Systeme zur Versorgungssteuerung notwendig

Angesichts von Ärzte- und Fachkräftemangel, zunehmendem Versorgungsbedarf sowie zur Vermeidung von Fehlinanspruchnahmen von Rettungsdienst, Notaufnahmen und vertragsärztlichem Bereitschaftsdienst seien leistungsfähige und verbindliche Systeme zur Versorgungssteuerung unumgänglich. Im Konzeptpapier heißt es dazu, das Prinzip, nach dem alle Patienten mit akuten Beschwerden und in Notfällen zunächst über die 116117 beziehungsweise die 112 eine gemeinsame Leitstelle von Kassenärztlicher Vereinigung (KV) und Rettungsdienst kontaktieren, müsse strikt umgesetzt werden. Durch virtuelle Vernetzung der bestehenden Leitstellen könnten gemeinsame Leitstellen gebildet werden.

Gefordert wird auch, bundesweit eine standardisierte und validierte medizinische Ersteinschätzung für die Ermittlung von Dringlichkeit und adäquater Versorgungsebene einzuführen – dies soll telefonisch, per Video­konsultation sowie als Selbsteinschätzung per App für PC, Tablet oder Smartphone möglich sein.

Um eine gewisse Verbindlichkeit der so erfolgten Zuweisungsentscheidung zu gewährleisten, soll es ziel­ge­richtete Information und Anreize geben, etwa eine bevorzugte Behandlung innerhalb gleicher Dringlich­keits­stufen bei Einhaltung des vorgesehenen Zugangs- und Versorgungspfades.

Da notfallmedizinische Strukturen durch Telemedizin entlastet werden können, müssten die diesbezüglich geplanten Maßnahmen aus dem Digitale-Versorgung-und-Pflege-Modernisierungsgesetz (DVPMG) zügig um­gesetzt werden.

Notwendig seien etwa Anreize für die flächendeckende Einführung von über die gemeinsamen Leitstellen vermittelten Videosprechstunden im Rahmen des ärztlichen Bereitschaftsdienstes, Rahmenbedingungen für eine Weiterleitung von Hilfesuchenden aus der telemedizinischen Beratung in die Regelversorgung mit direk­ter Terminvergabe sowie angemessene Finanzierungsregelungen für telemedizinische ärztliche Notfallbera­tungen.

In den Rettungsdienst, den vertragsärztlichen Bereitschaftsdienst und die Notaufnahmen sollten zudem Versorgungsangeboten wie Notfallpflege, Kurzzeitpflege, Palliativversorgung, sozialpsychiatrische Dienste und Sozialdienste eingebunden werden.

Digitalisierung zentrales Handlungsfeld

Eine vernetzte, sektorenübergreifende Reform der Akut- und Notfallversorgung könne nur auf Grundlage einer umfassenden Digitalisierung funktionieren, wird im Papier betont. Die Akteure müssten über digitale Lösun­gen miteinander kommunizieren und Kapazitäten einsehen können.

Gefordert wird unter anderem die Entwicklung eines datenschutzkonformen medizinischen Informationsob­jektes (MIO) „Notfallakte“. Diese Notfallakte soll initial beim ersten Kontakt mit der Notfallversorgung ange­legt werden und für alle weiteren in der Notfallkette Tätigen online verfügbar sein – die Gematik soll dieses MIO und den gesamten Fallaktenprozess in die elektronische Patientenakte (ePA) integrieren.

Auch brauche es eine Definition einheitlicher Standards für interoperable Schnittstellen, Kommunikations­technik und Datensätze sowie eine automatisierte Zusammenführung der in der Akut- und Notfallversorgung erhobenen Daten in einem Register zur Nutzung für Transparenz, Forschung und Qualitätsmanagement.

Ganz wesentlich stelle sich laut Konzeptpapier auch eine Reform des Rettungsdienstes dar. Die aktuellen Rahmenvorgaben des Rettungsdienstes als „Transportleistung“ würden den heutigen Anforderungen an die präklinische Akut- und Notfallmedizin nicht gerecht, heißt es.

Es gelte Rahmenbedingungen und Finanzierungsregelungen zu schaffen, die eine fallabschließende Behand­lung im Rettungsdienst durch eine Ärztin/einen Arzt vor Ort beziehungsweise telemedizinisch ermöglichen und Transportmöglichkeiten in eine Vertragsarztpraxis oder die Übergabe an den ärztlichen Bereitschafts­dienst gestatten.

Wolle man mit einer Notfallreform die Schnittstellen zwischen ambulanter und stationärer Versorgung ohne Versorgungsbrüche für die Patienten ausgestalten und es Ärzten ermöglichen, unter fairen Bedingungen sek­torenverbindend zu agieren, brauche es grundsätzlich einen finanziell abgesicherten Struktur- und Personal­aufbau, so die BÄK. Sanktionen seien hingegen kein probates Mittel, um eine qualitativ hochwertige Versor­gung zu gewährleisten.

Eine spürbare Entlastung der Notfallstrukturen sei nur möglich, wenn im ambulanten und stationären Bereich ausreichend strukturelle und vor allem personelle Kapazitäten vorgehalten werden. Deshalb müssten zeitnah Reformen zur Stärkung des ambulanten und des stationären Sektors umgesetzt und die Transformations­kos­ten ausreichend finanziert werden – inklusive einer Vorhaltefinanzierung im ambulanten und im stationären Sektor, um ausreichende Kapazitäten für nicht-elektive Patienten sicherzustellen.

aha

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