5 Fragen an...

„Das Thema Organspende muss enttabuisiert werden“

  • Samstag, 1. Juni 2024

Berlin – Aufklären, entscheiden, Leben retten – seit fast 40 Jahren hebt mit dieser Intention der Tag der Organ­spende Anfang Juni mit verschiedenen Aktionen das Thema Organspende in den Mittelpunkt der Gesellschaft. Trotzdem herrscht nach wie vor in Deutschland ein eklatanter Mangel an Spenderorganen.

Rund 8.500 schwer kranke Patientinnen und Patienten warten drin­gend auf ein Organ. Abhilfe und Verbesse­rungen der Rahmenbedingungen für die Organspende in den Kliniken sollen verschiedene gesetzliche Initia­tiven der vergangenen Jahre schaffen. Besonders wichtig erschien dem Gesetzgeber, die Transplantationsbe­auftragten in den Kliniken zu stärken.

Eine von ihnen ist Anne Trabitzsch. Die Fachärztin für Chirurgie, Unfallchirurgie, Notfallmedizin, Intensivme­dizin leitet das Team der Transplantationsbeauftragten am Universitätsklinikum Dresden. Das Deutsche Ärzte­blatt sprach mit ihr über Erreichtes, permanente Anstrengungen bei der Organspende sowie weitere Ziele und den Wunsch nach der Einführung einer Widerspruchslösung bei der Organspende in Deutschland.

Anne Trabitzsch, Teamleiterin der Transplantationsbeauftragten am Universitätsklinikum Dresden /Universitätsklinikum Dresden
Anne Trabitzsch, Teamleiterin der Transplantationsbeauftragten am Universitätsklinikum Dresden /Universitätsklinikum Dresden

5 Fragen an: Anne Trabitzsch, Teamleiterin der Transplantationsbe­auftragten am Universitätsklinikum Dresden

Angesichts eines deutlichen Mangels an Spenderorganen in Deutschland wird auf verschiedenen Ebenen und mit verschiedenen Gesetzesinitiativen versucht, auch hierzulande eine Kultur der Organ­spende zu schaffen. Gelingt das aus Ihrer Sicht?
Es gibt Fortschritte, jedoch liegt noch ein langer Weg vor uns. Ge­setzesinitiativen und Maßnahmen wie das 2019 in Kraft getretene „Gesetz zur Verbesserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organspende“ sowie die 2020 beschlossene Einführung des Organspenderegisters sind wichtige Schritte.

Allerdings sind zusätzliche Anstrengungen erforderlich, um das Ziel zu erreichen. Das Thema Organspende muss enttabuisiert werden. Dies erfordert eine umfassende Aufklärung, gezielte Bildungskam­pagnen und eine offene gesellschaftliche Diskussion, um Vorurteile und Ängste abzubauen und die Akzeptanz zu steigern.

Sie erwähnen das vor fünf Jahren in Kraft getretene „Gesetz zur Ver­besserung der Zusammenarbeit und der Strukturen bei der Organ­spende“. Dieses sowie der begleitende Gemeinschaftliche Initiativplan Organspende sollten insbesondere das System der Transplantationsbeauftragten (TxB) stärken. Greifen aus Ihrer Sicht als TxB die Verbesserungen? Werden sie tatsächlich gelebt in den Kliniken?
Ja, das System greift in den Krankenhäusern, in denen die TxB gesetzeskon­form für ihre Tätigkeit freigestellt sind. In diesen Einrichtungen funktioniert die Spendererkennung effizient, die Prozesse der Organspende sind gut strukturiert und dadurch steigt auch die Ergebnisqualität.

Die gesetzliche Freistellung der TxB hat dazu beigetragen, dass sie sich voll und ganz auf ihre Aufgabe kon­zentrieren können, was zu einer verbesserten Koordination und einer höheren Anzahl erfolgreich durchge­führ­ter Organspenden führt. Allerdings wird die vorgeschriebene Freistellung der TxB nicht in allen Kliniken gesetzeskonform umgesetzt. Das ist noch Optimierungspotenzial.

Im Jahr 2022 ist das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende in Kraft getre­ten und in diesem Frühjahr endlich auch das damit beschlossene bundesweite Organspenderegister an den Start gegangen. Was bedeutet das für Sie als TxB? Was erhoffen Sie sich?
Das Organspenderegister ist eine zeitgemäße und sinnvolle Ergänzung zur Bekundung des Willens zur Organ­spende. Für uns Transplantationsbeauftragte bringt es in der Anfangsphase gewisse technische Anstrengun­gen mit sich. Es müssen zunächst alle Voraussetzungen geschaffen werden, um die sehr sichere Authentifizie­rung durch die TxB umzusetzen.

Aber es ermöglicht Bürgerinnen und Bürgern, ihren Entschluss zur Organspende sicher und zentral zu doku­mentieren. Allerdings tragen sich vor allem bereits Entschlossene in das Register ein. Unentschlossene Men­schen werden sich vermutlich im Register nicht eintragen lassen. Daher wird das Register nicht zu einem Anstieg der Spendebereitschaft führen.

Es ist jedoch essenziell für die mögliche Einführung einer Widerspruchsregelung. Zudem rückt das Register das Thema Organspende erneut in den Fokus. Mediale Präsenz trägt dazu bei, dass mehr Menschen sich mit dem Thema Organspende auseinandersetzen, was langfristig zu einer höheren Bewusstseinsbildung und Akzeptanz in der Gesellschaft führen kann.

Zurück zu den Kliniken und Ihrer Arbeit als TxB: Studien zeigen, dass ein Problem der Organspende auch in dem Defizit der Entnahmekrankenhäuser liegt, einen potenziellen irreversiblen Hirnfunktionsausfalls (IHA) zu erkennen. Wie bedeutsam ist die Problematik aus Ihrer Sicht und wie kann ihr entgegengewirkt werden?
Die Problematik der fehlenden Erkennung eines potenziellen irreversiblen Hirnfunktionsausfalls ist äußerst bedeutsam, da dadurch potenzielle Organspender nicht identifiziert werden und somit keine lebensrettenden Organe gespendet werden können.

Um dieser Problematik entgegenzuwirken, sind mehrere Maßnahmen notwendig: Die Transplantationsbeauf­trag­ten spielen eine zentrale Rolle bei der Erkennung potenzieller Organspender. Ihre adäquate Freistellung, die gesetzlich vorgegeben ist, ermöglicht es ihnen, sich voll auf diese Aufgabe zu konzentrieren und die Ko­ordination zu verbessern. Dennoch werden die TxB ­– wie eben bereits kurz erwähnt – nicht flächendeckend für ihre Tätigkeit freigestellt, was die Effektivität ihrer Arbeit beeinträchtigt.

Die Einbeziehung der TxB und eine verbesserte innerklinische Kommunikation sind notwendig, um eine rei­bungslose Identifikation und Meldung potenzieller Organspender sicherzustellen. Deshalb kann die Kontrolle und konsequente Umsetzung der Freistellung der TxB sowie die Einhaltung der Bundesärztekammer-Richt­li­nie „Spenderkennung“ zur effizienteren Umsetzung der bereits guten Voraussetzungen für eine optimale Spen­dererkennung beitragen. Regelmäßige und umfassende Schulungen für das medizinische und pflegeri­sche Personal sind ebenfalls essenziell, um die Anzeichen eines IHA frühzeitig zu erkennen.

Der Einsatz des elektronischen Screeningtools DETECT (das am Universitätsklinikum Dresden entwickelt wurde, Anmerkung der Redaktion) kann zudem das Personal auf den Intensivstationen unterstützen und sollte flächendeckend eingeführt werden. Das Tool sorgt dafür, dass die TxB rechtzeitig über Patientinnen und Pa­tien­­ten mit potenziell drohendem IHA informiert werden, wodurch die notwendigen Schritte zur Organspende eingeleitet werden können.

Durch den Einsatz von DETECT konnten wir in Dresden die Erkennungsrate von potenziellen Organspendern signifikant steigern und die Effizienz der Spendererkennung in unserem Krankenhaus verbessern. Die Rück­meldungen des Personals sind durchweg positiv, insbesondere wird die Entlastung durch die automatisierte Unterstützung geschätzt. DETECT trägt somit wesentlich zur Optimierung des Organspendeprozesses bei und stellt daher einen wichtigen Fortschritt dar.

Was ist aus Ihrer Sicht noch nötig, um die Situation der Organspende in Deutschland zu verbessern? Brauchen wir gesetzliche Änderungen?
Da sind aus meiner Sicht mehrere entscheidende Maßnahmen erforderlich: Die Strukturen und Prozesse in den Entnahmekrankenhäusern müssen immer noch optimiert werden. Das elektronische Screeningtool DETECT sollte zu einem essenziellen Werkzeug jedes Transplantationsbeauftragten werden.

Besonders wichtig ist dabei nach wie vor die Stärkung der Rolle der TxB. Die gesetzliche Freistellung der TxB muss konsequent umgesetzt und kontrolliert werden. Nur wenn die TxB vollständig für ihre Aufgaben freige­stellt sind, können sie sich voll auf die Erkennung relevanter Patienten und die Umsetzung strukturierter Abläufe im Rahmen der Organspende konzentrieren.

Die Rolle der TxB sollte weiter professionalisiert und akademisiert werden. Durch spezialisierte Studiengänge und Zertifizierungen, wie sie in anderen Ländern bereits erfolgreich existieren, kann die Attraktivität und Ex­pertise dieser Position gesteigert werden. Dies fördert eine langfristige Motivation und eine hohe Qualität in der Organspende-Koordination.

Zusätzlich sollte die Organspende, wie in einigen Nachbarländern, auch nach einem Herz-Kreislauf-Tod mög­lich sein. Diese Erweiterung des Organspenderpools könnte die Anzahl der verfügbaren Spenderorgane er­heblich steigern.

Eine offene Diskussion darüber und die allgemeine Enttabuisierung des Themas Organspende sind ebenfalls von großer Bedeutung. Insgesamt sind eine konsequente Umsetzung bestehender Pläne und eine offene gesellschaftliche Diskussion sowie die gesetzliche Implementierung der Widerspruchslösung entscheidend, um die Organspendesituation in Deutschland nachhaltig zu verbessern.

ER

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