„Wir benötigen eine einheitliche Finanzierung für die sektorenübergreifende Versorgung“
Berlin – Am 24. September ist Bundestagswahl. Das Deutsche Ärzteblatt hat die gesundheitspolitischen Sprecher der Parteien, Länderminister, Verbände und Ärzte aus der Patientenversorgung befragt, wie es mit der Gesundheitspolitik in der kommenden Legislatur weitergehen sollte.

Fünf Fragen an Heiner Garg (FDP), Minister für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren in Schleswig- Holstein
DÄ: Welche drei gesundheitspolitischen Initiativen werden Sie nach der Bundestagswahl als erstes in den Bundesrat einbringen?
Heiner Garg: Das hängt natürlich auch davon ab, wie der Koalitionsvertrag für die kommende Legislaturperiode aussieht. Ich wünsche mir auf jeden Fall eine Bundesregierung, die ein klares und eindeutiges Signal zur Stärkung der Freiberuflichkeit und der Selbstverwaltung setzt. Die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Gesundheits- und Pflegeversorgung in einer älter werdenden Gesellschaft ist für mich die zentrale Aufgabe der Gesundheitspolitik. Dabei gibt es eine Reihe von Themen, die rasch angepackt werden müssen, exemplarisch folgende:
Wir benötigen dringend rechtliche Grundlagen und eine einheitliche Finanzierung für die sektorenübergreifende Versorgung. Zusammenarbeit muss sich lohnen – und zwar für beide Sektoren. Hier muss die Politik endlich eine zukunftsfeste Grundlage schaffen.
Die Stärkung der Telematik in der Medizin. Telemedizin kann und soll Ärztinnen und Ärzte sowie Pflegekräfte sinnvoll unterstützen und entlasten. Das peinliche Trauerspiel um die elektronische Gesundheitskarte darf sich nicht wiederholen. Wir brauchen eine leistungsfähige digitale Infrastruktur, eine elektronische Patientenakte und auch das eRezept. Digitalisierung kann und soll eine Brücke zwischen dem ambulanten und dem stationären Sektor werden.
Bei der ambulanten Notfallversorgung setzt Schleswig-Holstein seit vielen Jahren auf ein flächendeckendes System der sogenannten KV-Anlaufpraxen. Umso bedauerlicher ist es, dass die Bundesregierung bisher die notwendigen gesetzlichen Änderungen im SGB V nicht umsetzt, um diese Anlaufpraxen zu echten Portalpraxen weiterzuentwickeln. Diese wären ein wichtiges Bindeglied zwischen ambulanter und stationärer Versorgung und würden einen wesentlichen Beitrag für eine bessere Notfallversorgung leisten. Kassenärztliche Vereinigung, Krankenhausgesellschaft, Krankenkassen und das Land haben dafür sowohl ein gemeinsames Konzept entwickelt wie auch die notwendigen gesetzlichen Änderungen erarbeitet. Hier erwarten wir von der Bundesregierung in der neuen Legislaturperiode schnellstmöglich die notwendigen gesetzlichen Änderungen und werden diese auch einfordern.
DÄ: Wo liegen im Gesundheitswesen die größten Konflikte zwischen Bund und Ländern?
Garg: Ein größer werdendes Konfliktfeld sehe ich in der Rolle des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) und der Nicht-Beteiligung der Länder. Es ist faktisch heute so, dass der G-BA mit seinen Vorgaben die Versorgungsstruktur der gesamten medizinischen Versorgung der Bevölkerung bestimmt. Von einem Expertengremium hat es sich zu einem eigenständigen und machtvollen Player entwickelt. Die Entscheidungen des G-BA greifen immer wieder tief in die Planungshoheit der Länder ein. Gleichzeitig wird den Ländern eine tatsächliche Mitbestimmung beim G-BA und seinen zahlreichen Arbeitsgruppe häufig verwehrt. Eine demokratische Legitimierung und Kontrolle des G-BA zu sichern und die Länder an der Ausgestaltung der Gesundheitsversorgung zu beteiligen, ist ein wichtiges Thema der nächsten Legislaturperiode.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist der Basisfallwert in der Krankenhausfinanzierung:Es ist ein Unding, dass Krankenhäuser noch immer für dieselbe Leistung je nach Bundesland unterschiedlich vergütet werden. Es gibt keine schlüssige Begründung dafür. Der Bund muss endlich einen vollständigen bundeseinheitlichen Basisfallwert umsetzen.
DÄ: Stichwort Krankenhauspolitik: Was machen Sie besser als andere Länder – oder anders gefragt: Wo sehen Sie Ihr Land in einer Vorreiterrolle?
Garg: Schleswig-Holstein ist bereits recht weit, was den Umbruch in der Krankenhauslandschaft angeht. Die Zentrenbildung ist in Schleswig-Holstein schon lange vor dem Krankenhausstrukturgesetz angelaufen. Insbesondere in der Onkologie und bei der Versorgung von Schwerverletzten (Traumanetzwerk) beweisen die Krankenhäuser im Land tagtäglich ihre gute Zusammenarbeit unabhängig von der Trägerschaft.
Unser gestuftes geriatrisches Versorgungskonzept hat ebenfalls Modellcharakter: Der konsequente Ausbau der stationären und tagesklinischen Versorgung in der Geriatrie verbunden mit hohen Qualitätsanforderungen trägt zur Sicherung einer flächendeckende Versorgung bei. Beim Abbau des Sanierungsstaus haben wir uns als Landesregierung hohe Ziele gesteckt – und packen damit ein Problem an, was in der Vergangenheit gerne auf kommende Generationen verschoben wurde.
DÄ: Viele Ärzte und Pflegekräfte im Gesundheitswesen leiden unter Zeitdruck, Personalmangel und Bürokratisierung. Welche konkreten Rezepte sind notwendig, um die Situation in der kommenden Legislaturperiode zu verbessern?
Garg: Zuallererst müssen die Länder ihren Investitionsverpflichtungen im stationären Sektor endlich wieder nachkommen, damit aus entsprechend kalkulierten DRGs auch wieder tatsächlich das notwendige Personal finanziert werden kann. Darüber hinaus müssen wir uns darüber im Klaren sein, dass jede Forderung der Politik – zum Beispiel bei qualitätssichernden Maßnahmen oder im Bereich der Hygiene oder der Dokumentation auch personell und finanziell hinterlegt sein muss.
Wir dürfen hier weder Arztpraxen noch Krankenhäuser permanent mit zusätzlichen Aufgaben betrauen – ohne an deren Finanzierung zu denken. Und selbstverständlich müssen sich Arbeitgeber darüber im Klaren sein, dass bereits heute der Gesundheitsarbeitsmarkt zum großen Teil ein ‚Arbeitnehmermarkt’ ist. Das heißt, nur wer attraktive Arbeitsbedingungen und eine adäquate Vergütung bietet, wird dauerhaft qualifizierte, engagierte und hochmotivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter finden.
DÄ: Wo weichen Sie auf Landesebene in Bezug auf die Gesundheitspolitik am meisten von der Bundespolitik ab?
Garg: Vor der Selbstverwaltung habe ich nicht nur höchsten Respekt, sondern halte sie für ebenso unverzichtbar wie die Freiberuflichkeit. Prinzipien, die in der abgelaufenen Legislaturperiode nicht selten mehr oder weniger offen immer wieder infrage gestellt wurden.
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