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EU-Gesundheits­ausschuss stimmt für Pharmapaket

  • Dienstag, 19. März 2024
/industrieblick, stockadobecom
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Brüssel – Die Reform des EU-Arzneimittelrechtsrahmens hat eine weitere wichtige Hürde genommen: Der Ausschuss für Umwelt, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europäischen Parlaments hat heute die entsprechenden Entwürfe für eine Richtlinie und eine Verordnung mit großer Mehrheit angenommen.

Mit dem sogenannten EU-Pharmapaket sollen unter anderem die Regelungen für den Patent- und Unterla­gen­schutz bei neu auf den Markt gebrachten Arzneimitteln komplexer werden, indem ein Anreizsystem ge­schaffen wird. Dabei wurden einige der ursprünglich geplanten Regeln jedoch bereits aufgeweicht.

So beschloss der ENVI-Ausschuss heute, dass der Unterlagenschutz nicht wie im ursprünglichen Entwurf vom April 2023 vorgesehen von acht auf sechs, sondern auf siebeneinhalb Jahre verkürzt werden soll. Der darauf­folgende Patent- beziehungsweise Vermarktungsschutz, währenddessen andere Hersteller keine Generika oder Biosimilars auf den Markt bringen dürfen, soll wie bisher zwei Jahre betragen.

Mit der Reform sollen dann mehrere Fälle eingeführt haben, in denen die Unternehmen Anspruch auf zusätz­liche Schutzfristen erhalten. So soll der Unterlagenschutz um ein weiteres Jahr verlängert werden, wenn das neue Arzneimittel einen ungedeckten medizinischen Bedarf bedient, und um ein halbes Jahr, wenn dafür ver­gleichende klinische Prüfungen durchgeführt werden.

Um ein weiteres halbes Jahr soll er sich verlängern, wenn ein erheblicher Teil der Forschung und Entwicklung in der EU und zumindest teilweise in Zusammenarbeit mit EU-Forschungseinrichtungen stattfindet. Dabei for­dert der Ausschuss jedoch eine Obergrenze für die kombinierte Datenschutzfrist von achteinhalb Jahren.

Der Vermarktungsschutz kann zudem von zwei auf drei Jahre verlängert werden, wenn das Arzneimittel eine Zulassung für eine weitere Indikation erhält, in der es einen erheblichen Zusatznutzen zu bisherigen Thera­pien nachweisen kann.

Orphan Drugs, also Arzneimittel für seltene Erkrankungen, sollen bis zu elf Jahren Marktexklusivität erhalten, wenn sie einen hohen ungedeckten medizinischen Bedarf bedienen.

Auch die Entwicklung neuer Antibiotika soll mit der Reform gefördert werden: Ein umstrittenes Voucher-Sys­tem soll Anreize zur Entwicklung neuartiger, resistenzbrechender Antibiotika schaffen. Mit den Vouchern sollen die Hersteller die Marktexklusivität eines zugelassenen Arzneimittels um ein Jahr verlängern oder ihn auf andere Zulassungsinhaber übertragen können.

Allerdings soll das nur gehen, wenn besagtes Arzneimittel noch nicht den vollen Unterlagenschutz genießt, und eine Übertragung nur einmal möglich sein. Außerdem fordern die Abgeordneten Maßnahmen, um einen umsichtigeren Einsatz von Antibiotika zu fördern, wie eine Begrenzung der Verordnungsdauer oder eine Be­schränkung der Abgabe auf die für die Behandlung notwendige Menge.

Außerdem sollen die Unternehmen bei Zulassungsanträgen eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) vorle­gen müssen. Um deren angemessene Bewertung zu gewährleisten, fordern die Abgeordneten die Einrichtung einer neuen Ad-hoc-Arbeitsgruppe für Umweltverträglichkeitsprüfungen innerhalb der Europäischen Arznei­mittelagentur (EMA).

Strukturell reformiert werden soll zudem die Behörde für die Krisenvorsorge und -reaktion bei gesundheitli­chen Notlagen (HERA), die derzeit die EU-Kommission angeschlossen ist. Sie soll in eine separate Struktur unter dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten (ECDC) überführt werden.

„Diese Überarbeitung ebnet den Weg zur Bewältigung kritischer Herausforderungen wie Arzneimittelknapp­heit und Antibiotikaresistenz“, zeigte sich der Berichterstatter für die Verordnung, der SPD-Europaabgeordnete Tiemo Wölken, zufrieden. Die vorgesehenen Maßnahmen, würden den Zugang zu Arzneimitteln verbessern und gleichzeitig Anreize für Bereiche mit ungedecktem medizinischem Bedarf schaffen.

Erste Reaktionen aus der Pharmaindustrie sind weniger positiv. „Die Vorschläge reichen leider noch nicht aus, um Europa zu einem attraktiven Standort für die Industrie zu machen“, erklärte der Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), Kai Joachimsen.

Zwar begrüßte Joachimsen die Erhöhung des grundlegenden Unterlagenschutzes von sechs auf siebeneinhalb Jahre. „Das nun vorgeschlagene Anreizsystem ist jedoch nicht zu Ende gedacht, wenn Unternehmen, die alle Voraussetzungen erfüllen, trotzdem nicht die volle Bandbreite an zusätzlichem Unterlagenschutz bekommen.“

Auch die Umweltverträglichkeitsprüfung stelle in der vorgesehenen Form eine erhebliche Belastung für die Industrie dar. Da dabei der gesamte Lifecycle eines Arzneimittels abgebildet werden muss, sei fraglich, ob die Unternehmen diesen Mehraufwand für jedes Arzneimittel leisten können.

Bis das Pharmapaket endgültig verabschiedet wird, wird es voraussichtlich noch dauern. Voraussichtlich auf der Plenartagung am 10. und 11. April werden die Abgeordneten über den Standpunkt des Parlaments debat­tieren und abstimmen.

Vor den Europawahlen im Juni wird das gesamte Gesetzgebungsverfahren allerdings nicht beendet werden können. Es muss nach Angaben des Ausschusses dann vom neuen Parlament abgeschlossen werden müssen.

lau

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