Ausland

Oberstes Gericht in Arizona erlaubt Abtreibungsverbot von 1864

  • Mittwoch, 10. April 2024
9. April 2024, Tucson, Arizona, USA: Pro-Choice-Demonstration in Tucson nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von Arizona, die ein nahezu vollständiges Verbot von Abtreibungen im Bundesstaat Arizona vorsieht./picture alliance, Christopher Brown
9. April 2024, Tucson, Arizona, USA: Pro-Choice-Demonstration in Tucson nach der Entscheidung des Obersten Gerichtshofs von Arizona, die ein nahezu vollständiges Verbot von Abtreibungen im Bundesstaat Arizona vorsieht./picture alliance, Christopher Brown

Washington/Phoenix – In Arizona könnte schon bald ein 160 Jahre altes Abtreibungsverbot wieder in Kraft treten. Das Oberste Gericht des US-Bundesstaats entschied gestern, dass ein Gesetz von 1864 Anwendung finden dürfe, wonach Schwangerschaftsabbrüche selbst in Fällen von Vergewaltigung oder Inzest untersagt sind. Ausnahmen gelten nur, sollte das Leben der betroffenen Frau in Gefahr sein. Inwieweit das Gesetz voll­streckt werden wird, ist allerdings unklar.

So setzten die Richter zunächst eine 14-tägige Frist, um möglicherweise noch offene verfassungsrechtliche Fragen vor einer unteren Instanz klären zu lassen. Innerhalb dieser Zeitspanne tritt das Gesetz erst einmal nicht in Kraft. Wegen einer separat laufenden Klage könnte diese Zeitspanne dann noch einmal um weitere 45 Tage verlängert werden.

Zudem kündigte die Generalstaatsanwältin von Arizona an, das Gesetz nicht vollstrecken zu wollen. „Ich sage
deutlich: Solange ich Generalstaatsanwältin bin, wird in diesem Bundesstaat keine Frau oder kein Arzt wegen dieses drakonischen Gesetzes strafrechtlich verfolgt“, teilte die in ihr Amt gewählte Demokratin Kris Mayes mit.

Strafverfolgungsbehörden auf lokaler Ebene würde dies aber nicht unbedingt davon abhalten, dem Gesetz folge zu leisten, hieß es in US-Medien. Abtreibungsbefürworter warnten davor, dass allein diese Unsicherheit schon zu einem stark eingeschränkten Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen in dem Bundesstaat führen werde.

Demnach würden Kliniken die Prozedur aus Angst vor strafrechtlicher Verfolgung schlichtweg nicht mehr durchführen. Bereits jetzt ist Abtreibung in Arizona ab der 15. Schwangerschaftswoche verboten, es sei denn, das Leben der Mutter ist in Gefahr.

Lange Haftstrafen möglich

Das Verbot aus dem 19. Jahrhundert kriminalisiert nicht direkt die Frauen, die einen Schwangerschaftsab­bruch wünschen, sondern Personen, die ihnen dabei helfen. So könnte etwa ein Arzt oder eine Ärztin zu einer Haftstrafe von bis zu fünf Jahren verurteilt werden. Zwar war das Gesetz 1973 mit dem landesweit verfass­ungsmäßig geschützten Recht auf Schwangerschaftsabbrüche in den USA ungültig geworden, es wurde aber nie wirklich abgeschafft.

Rund 50 Jahre später – im Juni 2022 – kippte der Supreme Court dann das wichtige Grundsatzurteil zum landesweiten Abtreibungsrecht. Seitdem liegt die Hoheit über die Gesetzgebung wieder bei den einzelnen Bundesstaaten. Es ist ein rechtlicher Flickenteppich entstanden.

So sind Schwangerschaftsabbrüche in 16 Bundesstaaten inzwischen praktisch verboten, während andernorts eine für deutsche Verhältnisse weiterhin recht liberale Gesetzgebung gilt. In Arizona trat zunächst das fast gänzliche Verbot ab der 15. Schwangerschaftswoche in Kraft, dem dann viel juristisches Tauziehen folgte. Mit der Entscheidung gestern könnte nun das noch viel striktere Gesetz von 1864 wieder Gültigkeit erlangen.

Kritik aus dem Weißen Haus

US-Präsident Joe Biden äußerte umgehend Kritik. Das „grausame Verbot“ sei erlassen worden, „bevor Arizona überhaupt ein Bundesstaat war und lange bevor Frauen das Wahlrecht erhielten“, hieß es in einer Mitteilung des Weißen Hauses. Das Urteil sei „das Ergebnis der extremen Agenda republikanischer Amtsträger, die sich dafür einsetzen, Frauen ihre Freiheit zu nehmen“.

Umfragen zufolge unterstützt eine Mehrheit der Menschen in den USA ein begrenztes Recht auf Abbrüche. Das Thema spielt im Präsidentschaftswahlkampf eine große Rolle – vorgestern hatte Bidens republikanischer Konkurrent Donald Trump bei Abtreibungsgegnern für Enttäuschung gesorgt, weil er sich entgegen der Er­war­tung seiner rechtskonservativen Basis nicht explizit für ein nationales Verbot von Schwangerschaftsab­brü­chen aussprechen wollte.

Auf die Frage eines Reporters, ob er ein solches Gesetz unterzeichnen würde, antwortete Trump laut dem US-Sender CNN mit „Nein“. Angesprochen auf Arizona sagte er demnach außerdem, die Entscheidung gehe „zu weit“. Er nehme an, dass die Sache „rasch geklärt“ werde. Die Gouverneurin von Arizona – eine Demokratin – „und alle anderen werden es zur Vernunft zurückbringen“.

Die Entscheidung des Obersten Gerichts in Arizona ist auch deshalb brisant, weil der Bundesstaat als Swing State gilt, der weder Demokraten noch Republikanern fest zugerechnet werden kann. Schon vor dem Urteil gestern hatten Abtreibungsbefürworter angestrebt, das Thema im November auf den Wahlzettel zu bringen.

Sollten sie Erfolg haben – womit Beobachter rechnen – würde in Arizona auch über die Frage abgestimmt werden, ob das Recht auf Abtreibung in der Verfassung des Bundesstaats verankert werden soll. Bidens Demokraten könnte ein solches Votum in dem Swing State also als wichtige Wahlkampfhilfe dienen.

dpa

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