Coronakrise: Heftige Debatte um Belegung von Intensivbetten

Berlin – Haben die Krankenhäuser und Ärzte in der Coronapandemie Geld verdient, indem sie Patienten auf die Intensivmedizin verlegt haben, die dort nicht hingehörten? Diesen Verdacht äußert der Mediziner und Gesundheitsökonom Matthias Schrappe unter anderem in der Welt. Er hat dazu mit anderen Fachleuten aus Wissenschaft und Praxis ein neues Thesenpapier erarbeitet. Ärzte und Krankenhäuser sind empört, das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) reagiert gelassen.
„Das Papier kennen wir“, sagte heute ein Sprecher des Ministeriums vor Journalisten in der Berliner Bundespressekonferenz. Die Experten behaupteten darin, dass Krankenhäuser sich Fördermittel erschlichen hätten. „Dafür haben sie aber keinen Beleg. Zumindest keinen, den ich in dem Papier erkennen würde“, so der BMG-Sprecher.
Er betonte, dass es ebenfalls keine Belege dafür gebe, dass in Deutschland Coronapatienten auf Intensivstationen der Krankenhäuser behandelt worden seien, die dort nicht hätten versorgt werden müssen. „Der starke Vorwurf, dass Menschen auf Intensivstationen aufgenommen worden sind, die es nicht sollten, ist nicht belegt“, sagte der Ministeriumssprecher.
Schrappe hatte der Welt unter anderem gesagt, man habe sich die Zahlen der COVID-19-Patienten auf Intensivstationen in Deutschland angesehen und sei zu dem Schluss gekommen, dass es in den Krankenhäusern „offensichtlich die Tendenz“ gegeben habe, „Patienten ohne Not auf die Intensivstation zu verlegen – während der Pandemie“.
Es habe gemessen an der Sieben-Tage-Inzidenz nirgendwo auf der Welt so viele COVID-19-Kranke auf Intensivstationen gegeben wie in Deutschland. „Erkranken Bundesbürger schwerer als die übrigen Menschen in Europa? Oder könnte es sein, dass manche Krankenhäuser sich in Erlösmaximierung versuchen?“, sagte Schrappe in der Welt.
Der Gesundheitsökonom erklärte weiter, dass ein Intensivbett einen höheren Erlös bringe als ein Normalbett. Auch müsse ein Patient auf einer Intensivstation nicht unbedingt beatmet werden. „Es gibt Zweifel an einem zielgerichteten, adäquaten Einsatz unserer Ressourcen.“
Es habe sogar einzelne Tage gegeben, an denen offiziell mehr Patienten auf Intensivstationen gelegen hätten als überhaupt hospitalisiert gewesen seien. Zweifel hat er auch, ob tatsächlich so viele Intensivbetten geschaffen worden sind, wie an Fördergeldern dafür geflossen seien.
Die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), der Marburger Bund (MB) und die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) wiesen die Vorwürfe von der Manipulation offizieller Statistiken und der Unterstellung, rein aus finanziellem Interesse Patienten intensivmedizinisch zu behandeln, heute gemeinsam „aufs Schärfste“ zurück.
Auch die Behauptung, die Krankenhäuser hätten zu Unrecht Fördergeld für nie aufgebaute Intensivbetten kassiert, bezeichneten sie als „nicht haltbar“. „Viele der Anwürfe Schrappes basieren auf Fehleinschätzungen und mangelnder Kenntnis der tatsächlichen Lage in Kliniken“, schreiben MB, DIVI und DKG.
So sei ein Intensivbett nicht nur das vorhandene Bett mit Beatmungsgerät. Es gehe um die Anzahl tatsächlich betreibbarer Betten – auch im Krankenhausfinanzierungsgesetz stehe dieser Begriff. Ein intensivmedizinischer Behandlungsplatz gelte als betreibbar/betriebsfähig, wenn ein vorgesehener Raum, funktionsfähige Geräte und Material pro Bettenplatz, Betten, und personelle Besetzung mit pflegerischem und ärztlichem Fachpersonal vorhanden seien und eingesetzt werden könnten.
Außerdem würden dabei noch nach den drei Versorgungsstufen Low-care, High-care und ECMO unterschieden. Bei letzterer werde Blut von Patienten mit schwerem Lungenversagen in einer Maschine mit Sauerstoff angereichert – eine Art externe Lunge.
Für den Rückgang der Intensivbettenzahl im weiteren Verlauf des Jahres gibt es nach Darstellung von DIVI, MB und DKG mehrere Gründe. Bereits Anfang August 2020 sei es im DIVI-Intensivregister zu einem Rückgang der Intensivbettenzahl gekommen. Dieser sei auf eine Änderung bei der Abfrage der intensivmedizinischen Kapazitäten sowie dem Einsetzen der Pflegepersonaluntergrenzen zurückzuführen. In der Konsequenz hätten zahlreiche Kliniken ihre Bettenmeldungen an diese Personalvorgaben angepasst.
Außerdem würden seitdem die Notfallreservekapazitäten separat abgefragt. „Die Angaben zur Anzahl der freien betreibbaren Bettenkapazitäten haben sich in den folgenden Meldungen entsprechend reduziert“, heißt es. Die Daten legten nahe, dass ein Teil der vorher gemeldeten freien Bettenkapazitäten nun als Notfallreservekapazität gemeldet werde. Die Notfallreserve könne stückweise aktiviert werden, indem andere Behandlungen abgesagt bzw. verschoben werden.
Der Vorwurf, offizielle Statistiken im Nachhinein manipuliert zu haben, könne ebenfalls direkt entkräftet werden, heißt es weiter. Das DIVI-Intensivregister habe im Verlauf der Pandemie die Betten der Kinderintensivstationen aus der Gesamtzahl der betreibbaren Betten herausgerechnet – Betten auf der Frühchenstation (NICU) und schwerstkranke Kleinkinder (PICU). Diese spielten für die Versorgung von COVID-19-Patienten keine Rolle. Auf die Veränderung der Darstellung reiner Erwachsenenbetten werde in sämtlichen Statistiken aber auch explizit hingewiesen.
Gänzlich unbelegt ist Ärzten und Kliniken zufolge der Hinweis, im internationalen Vergleich habe die Versorgung der COVID-19-Patienten in Deutschland unangemessen häufig in den Intensivstationen stattgefunden. Dies sei eben gerade die Stärke der deutschen Krankenhausstrukturen, schwerkranke Patienten adäquat intensivmedizinisch zu versorgen und dadurch Leben zu retten.
Wer daraus eine „Fehlversorgung“ konstruiere, müsse gleichzeitig Daten vorlegen, dass die Behandlungsergebnisse in anderen Ländern gleich gut oder sogar besser waren, hieß es. Dass Patienten ohne Not auf Intensivstationen gelegt worden wären, sei „ein wirklicher Schlag ins Gesicht“ der Ärzte und der Pflegekräfte in den Krankenhäusern.
Pflegekräfte und Ärzte hätten in den vergangenen Monaten unter höchster Belastung große Leistungen vollbracht. „Jeder Intensivpatient, der nach oft monatelanger höchst anspruchsvoller Behandlung wieder auf eine Normalstation verlegt werden konnte, bedeutete nicht nur ein gerettetes Leben, sondern auch etwas mehr Entlastung für die Beschäftigten.“
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