Politik

Debatte um Diskriminierung gesetzlich Krankenversicherter

  • Freitag, 27. Dezember 2024
/momius, stock.adobe.com
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Berlin – Der GKV-Spitzenverband moniert bei der Vergabe von Arztterminen eine Bevorzugung von Privatver­sicherten gegenüber gesetzlich Krankenversicherten. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kann dem etwas abgewinnen. Die Ärzteschaft wehrt sich.

„Wer echte Gleichbehandlung will, sollte dafür sorgen, dass bei der Terminvergabe nicht mehr danach gefragt werden darf, ob jemand gesetzlich oder privat versichert ist“, sagte die stellvertretende GKV-Chefin Stefanie Stoff-Ahnis dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND).

„Wenn Sie auf ein Buchungsportal gehen und als gesetzlich Versicherte einen Facharzttermin suchen, bekommen Sie einen in 6 Wochen oder noch später angeboten. Klicken Sie dagegen „Privatpatient“ an, klappt es schon am nächsten Tag“, so Stoff-Ahnis.

Sie sagte, 90 Prozent der Menschen in Deutschland seien gesetzlich versichert. „Da ist es mehr als gerechtfertigt, dass es künftig bei der Terminvergabe zu 100 Prozent um die medizinische Notwendigkeit geht und nicht darum, ob jemand GKV- oder PKV-versichert ist.“

Stoff-Ahnis schlug zudem bei der Terminvergabe eine gesetzliche Verpflichtung für alle Arztpraxen vor, freie Termine tagesaktuell einem Onlineportal zur Verfügung zu stellen, auf das die Krankenkassen und die Kassen­ärztlichen Vereinigungen zugreifen können.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) sieht das anders. KBV-Chef Andreas Gassen sprach davon, dass es „unredlich und albern“ sei, jedes Jahr eine Neiddebatte beginnen zu wollen. Dies sei „umso peinlicher“, weil jeder wisse, dass die Krankenkassen zwischen zehn und 15 Prozent der für ihre Versicherten erbrachten Leistungen seit vielen Jahren nicht bezahlen würden.

„Außerdem ist es sachlich falsch und das wissen die Menschen auch“, so Gassen. Es gebe gar nicht so viele PKV-Versicherte, dass diese Termine für gesetzlich Versicherte blockieren könnten. „Rund 90 Prozent der Bürgerinnen und Bürger sind gesetzlich krankenversichert. Die meisten haben kaum oder nur geringe Wartezeiten“, sagte Gassen.

Natürlich führe die freie Arztwahl dazu, dass besonders nachgefragte Praxen auch Wartezeiten haben. „Was wir allerdings brauchen, ist eine zielgerichtete Patientensteuerung insbesondere im Akutfall. Dies können wir grund­sätzlich schon heute über die Nummer 116117 sowie über entsprechende Ersteinschätzungsverfahren leisten.“

„Diesen Dienst bezahlen bisher die niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen alleine. Es handelt sich aber um eine gesellschaftliche Aufgabe und deshalb brauchen wir zusätzliches Geld, um dieses Instrument auszubauen“, so Gassen.

Reinhardt sieht die Lösung in einem Hausarztsystem

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sagte dem Deutschlandfunk, dass es in den vergangenen 30 Jahren durchaus schwieriger geworden sei, einen Arzttermin zu bekommen. Dies gelte allerdings nicht nur für gesetzlich Versicherte, sondern zunehmend auch für Privatpatienten. Eines der Hauptprobleme sei, dass die Terminvergabe völlig unkoordiniert passiere. Daher plädiere er für ein Hausarztsystem. Wenn sich die Menschen zunächst immer an ihren dauerhaft behandelnden Arzt wendeten und dieser dann über die weitere Behandlung entscheide, würde das die Terminlage entzerren. Solche Strukturen müssten aber verbindlich und nicht nur freiwillig sein, erklärte Reinhardt.

Politik könnte sich dem Thema widmen

Bei der Politik scheint das Thema dennoch anzukommen. Das Thema Terminvergabe in Arztpraxen findet sich in unterschiedlicher Form in den Wahlprogrammen der Parteien. Die SPD tritt etwa für den Abbau der „Unter­schie­de bei Wartezeiten zwischen privat und gesetzlich Versicherten“ einsetzen und will eine „Termingarantie der Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigung einführen“.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach nannte infolge die Terminverteilung in den Praxen auf X auch ungerecht. „Wenn privat Versicherte schneller und besser versorgt werden als gesetzlich Versicherte ist das keine Neidde­batte. Es ist schlicht ungerecht, wenn Geld entscheidet, wer zuerst behandelt wird“, schrieb der SPD-Politiker. Das „Tabuthema Zweiklassenmedizin“ müsse endlich angepackt werden, schrieb er in einem weiteren Post.

Längere Wartezeiten für Kassenpatienten in Praxen und Krankenhäusern seien nicht weiter tragbar, sagte er dem Tagesspiegel. Diese Diskriminierung müsse schnellstmöglich enden. Jeder gesetzlich Versicherte müsse genauso schnell behandelt werden wie ein Privatversicherter. Der Minister warf Union und FDP eine Blockadehaltung vor, die eine Gleichbehandlung verhindere und zu einer „Zwei­klassenmedizin“ geführt habe, die beendet werden müsse.

„Vor allem in Facharztpraxen ziehen gesetzlich Versicherte regelmäßig den Kürzeren gegenüber Menschen mit Privatversicherung“, sagte Andreas Philippi (SPD) den Zeitungen der Neuen Presse und der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung.

Der Minister forderte eine verpflichtende Ausweitung der offenen Sprechstunden sowie eine Erhöhung von Mindestsprechstunden. Zudem sollten auch Privatpatienten bei Beschwerden in der Regel erst den Haus- statt gleich einen Facharzt ansteuern. Die kommende Bundesregierung müsse dazu eine Ambulanzreform angehen.

Der Vorschlag des GKV-Spitzenverband habe „Charme“, sagte der Vorsitzende des CDU-Sozialflügels, Dennis Radtke, dem Tagesspiegel. Bei immer weiter steigenden Kosten für gesetzlich Versicherte verliere man irgend­wann Akzeptanz und Vertrauen in das System, wenn man trotz akuter Probleme wochenlang warten müsse und wie zweiter Klasse behandelt werde. „Niemand will Privilegien von privat Versicherten beschneiden, aber bei der Terminvergabe muss es fair zugehen“, sagte Radtke. Kassenpatienten dürften nicht diskriminiert werden.

Auch der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, mahnte gesetzliche Änderungen an. „Das Vergabesystem für Fach- und Hausarzttermine ist undurchsichtig. Auch erfahren die Hilfesuchenden keine Unterstützung von den Krankenkassen“, sagte Brysch. Eine Überprüfung der ärztlichen Präsenzzeiten und Vergabepraxis sei überfällig.

dpa/kna/may

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