Keine gesetzliche Neuregelung der Suizidbeihilfe

Berlin – Der Versuch einer gesetzlichen Neuregelung des assistierten Suizids ist heute gescheitert. Keiner der beiden vorgelegten Gesetzentwürfe, die festschreiben sollten, unter welchen Bedingungen Suizidwillige in Deutschland Zugang zu todbringenden Medikamenten bekommen können, fand im Parlament bei den namentlichen Abstimmungen ohne Fraktionszwang eine Mehrheit.
Nahezu alle Abgeordneten stimmten dagegen für einen Antrag, mit dem die Bundesregierung aufgefordert wird, im kommenden Jahr einen Regelungsentwurf und eine Strategie für die Suizidprävention vorzulegen.
Mit diesem Ergebnis der heutigen Abstimmungen bleibt die Suizidbeihilfe gesetzlich ungeregelt und legal. Auch durch Sterbehilfevereine können Suizidbeihilfe weiterhin anbieten, da das Bundesverfassungsgericht im Februar 2020 das 2015 beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen, also auf Wiederholung angelegten Beihilfe zum Suizid, gekippt hatte.
Dennoch dürften viele Ärzte mit diesem Ausgang der Abstimmungen nicht unzufrieden sein: In den vergangenen Tagen hatten Ärztekammern und ärztliche Fachgesellschaften mit Unverständnis und deutlicher Kritik die kurzfristig anberaumte Schlussabstimmung über eine Neuregelung der Suizidbeihilfe im Bundestag reagiert.
Sie hatten davor gewarnt, eine solch weitreichende Entscheidung für die betroffenen Menschen sowie für die Gesellschaft „im Hauruckverfahren“ in der letzten Sitzungswoche vor der Sommerpause noch durch das Parlament zu bringen. Unterstützt hatten sie jedoch eine Etablierung einer bundesweiten Suizidpräventionsstrategie.
Nichtsdestotrotz lagen dem Parlament heute neben dem Antrag zur Stärkung der Suizidprävention zwei verschiedene Anträge zur Neuregelung des assistierten Suizids vor. Abgelehnt wurde in einer ersten Abstimmungsrunde ein Vorschlag für eine Regelung der Suizidbeihilfe im Strafgesetzbuch.
Für diesen Entwurf einer Gruppe um die Abgeordneten Lars Castellucci (SPD) und Ansgar Heveling (CDU) stimmten 304 Parlamentarier, mit Nein votierten 363 von 690 an der Abstimmung teilnehmenden Parlamentariern. Es gab zudem 23 Enthaltungen. Mit dem Entwurf wollte die Gruppe die geschäftsmäßige Hilfe zur Selbsttötung grundsätzlich unter Strafe stellen, aber Ausnahmen normieren.
Abgelehnt wurde auch der konkurrierende Entwurf einer Gruppe um Katrin Helling-Plahr (FDP) und Renate Künast (Grüne). Dieser sah ein neues Suizidbeihilfegesetz vor, dass das Recht auf Hilfe zur Selbsttötung und auf Unterstützung von suizidwilligen Personen normieren sollte.
Der aus ursprünglich zwei Vorlagen erst vor zwei Wochen zusammengeführte Entwurf bekam heute 287 Ja-Stimmen und 375 Nein-Stimmen. Unter den 682 insgesamt abgegeben Stimmen in dieser zweiten Abstimmungsrunde waren 20 Enthaltungen.
Mit großer Mehrheit sprachen sich die Parlamentarier dagegen für die Vorlage zur Suizidpräventionen aus. 688 Abgeordnete stimmten für einen entsprechenden Antrag. Dieser fordert die Bundesregierung auf, im kommenden Jahr eine gesetzliche Regelung zu etablieren.
Unter Einbeziehung der Telefonseelsorge und sozialpsychiatrischer Dienste soll ein bundesweiter Suizidpräventionsdienst aufgebaut werden. Menschen mit Suizidgedanken wie auch ihre Angehörigen sollen diesen online und unter einer bundeseinheitlichen Telefonnummer kontaktieren können. Ferner soll die Forschung zu diesem Thema ausgebaut werden.
Dreistündige Debatte
Den heutigen Abstimmungen war eine nochmalige Debatte im Plenum vorausgegangen, bei der die Abgeordneten ihre Anträge warben. „Jeder Mensch hat ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben und ein Recht darauf, hierbei Hilfe zu erhalten“, sagte die FDP-Abgeordnete Helling-Plahr. Als Fachanwältin für Medizinrecht habe sie zu oft mitgelitten. Man dürfe Menschen nicht länger allein mit Angst und Schmerzen lassen, sagte sie.
Die Juristin unterstrich, dass das Bundesverfassungsgericht vor drei Jahren ein Grundrecht auf selbstbestimmtes Sterben formuliert habe. „Einen gegen die Autonomie gerichteten Lebensschutz darf es nicht geben", sagte sie. „Wir brauchen eine rechtssichere Lösung, die vor dem Bundesverfassungsgericht besteht.“
Die Grünen-Politikerin Renate Künast betonte, dass der freiverantwortliche Suizid Ausübung des Selbstbestimmungsrechtes sei. Da es sich um ein Grundrecht handele, könne das auch nicht im Strafrecht geregelt werden. „Wir müssen eine Regelung schaffen, die die Menschen tatsächlich nutzen wollen.“
Auch der SPD-Abgeordnete Castellucci hatte vor den Abstimmungen nochmal für den Entwurf seiner Gruppe geworben. „Lassen Sie uns den begleiteten Suizid ermöglichen, aber nicht fördern", rief er den Abgeordneten zu. „Wir müssen bessere sozial- und gesundheitspolitische Antworten geben und nicht einfach einen Wegweiser zum assistierten Suizid", sagte er.
Castellucci betonte, dass der Entwurf seiner Gruppe das Selbstbestimmungsrecht achte. Aber der Gesetzgeber müsse nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts auch Sorge tragen, dass es sich tatsächlich um einen freien und langfristigen Willen handele und nicht um eine suizidale Krise im Rahmen einer psychischen Erkrankung.
„Unser Schutzkonzept stellt den freien Willen in den Mittelpunkt“, erklärte er. Setze sich jemand über das Schutzkonzept hinweg, müsse das aber auch Konsequenzen haben, erläuterte er mit Blick auf die strafgesetzliche Regelung.
Unterstützt wurde der Entwurf auch von Kirsten Kappert-Gonther (Grüne). Sie habe als Psychiaterin viele suizidale Menschen begleitet und viele würden nicht mehr leben, hätte es eine leicht erreichbare Suizidassistenz gegeben, sagte sie.
Gespräche mit Ärztinnen und Ärzten seien in suizidalen Krisen nicht paternalistisch, sondern eröffneten Gesprächsräume. Die Gesprächspartner müssten jedoch qualifiziert sein, sonst werde man der Tragweite der Problematik nicht gerecht. „Ich habe ein großes Unbehagen gegenüber staatlich finanzierter Suizidberatungs-Infrastruktur“, sagte die Ärztin.
Auch der Hausarzt Stephan Pilsinger (CSU) betonte, dass es nicht nur um alte, leidende Menschen gehe, sondern dass 90 Prozent der Suizidwilligen unter psychischen Störungen leide. „Es kann nicht sein, dass man einen assistierten Suizid schneller bekommt als einen Psychotherapieplatz“, betonte er.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach will nach dem Scheitern der Initiativen zu einem gesetzlichen Rahmen für die Sterbehilfe Verbesserungen bei der Suizidvorbeugung angehen. Er bedauere, dass keiner der Anträge im Bundestag eine Mehrheit gefunden habe, sagte der SPD-Politiker in Berlin.
Die jetzige Situation hinterlasse „natürlich eine gewisse Rechtsunsicherheit“. So werde es nun auch auf das eine oder andere Gerichtsurteil ankommen, wie der Rahmen für Suizidhilfe auszulegen sei. Lauterbach begrüßte einen vom Bundestag in einem Antrag eingeforderten nationalen Suizidpräventionsplan. Im Ministerium werde schon daran gearbeitet.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: