Politik

Notfallreform wichtiges Vorhaben, Ausgestaltung bleibt umstritten

  • Donnerstag, 10. Oktober 2024
/picture alliance, dpa
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Berlin – Eine Notfallreform im Gesundheitswesen ist dringend notwendig. Allerdings bleibt die Frage der Ausgestaltung umstritten. Das zeigte gestern Abend die Debatte der Bundestagsabgeordneten bei der ersten Lesung des Gesetzentwurfs zur Reform der Notfallversorgung (NotfallGesetz). Die Abgeordneten brachten zudem einige konkrete Vorschläge zur Verbesserung des vorliegenden Entwurfs vor.

„Die Notaufnahmen sind überlaufen und überlastet“, erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Die Menschen seien wegen langer Wartezeiten frustriert, deswegen komme es teils zu nicht akzeptab­ler Gewalt gegen das Personal in den Notaufnahmen, erläuterte er weiter.

Die Notfallversorgung sei bei medizinischem Personal unbeliebt, finanziell nicht genügend abgedeckt und könne deshalb nicht mit der Qualität arbeiten, mit der sie arbeiten könnte. „Dieses Problem kennen wir seit mindestens zehn Jahren“, sagte Lauterbach. Bei dieser Beschreibung des Istzustands der Notfallversorgung waren sich alle Abgeordneten gestern Abend einig.

Die Notfallreform sieht die Einführung von integrierten Notfallzentren (INZ) vor, in der eine Notaufnahme mit einer Notdienstpraxis der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) kombiniert wird. Zudem ist die Verknüpfung der Notrufnummer 112 und des ärztlichen Bereitschaftsdienstes 116117 vorgesehen.

Eine digitale Fallübergabe mit medienbruchfreier Übermittlung bereits erhobener Daten soll wechselseitig möglich sein. Telemedizinische Versorgung und Terminvergaben über das Telefon oder Internet sollen die Notaufnahmen entlasten.

Neben der Reform der Notfallversorgung ist auch eine Novelle der Rettungsdienste geplant. Vorgesehen ist unter anderem eine Trennung der medizinischen Leistung und des Transports. Medizinische Leistungen der Rettungsdienste sollen künftig über das Sozialgesetzbuch V (SGB V) bundeseinheitlich als Leistung der ge­setzlichen Krankenversicherung (GKV) abgerechnet werden können.

Diese Maßnahmen würden die Versorgung für Menschen im Notfall in diesem Land besser machen, zeigte sich der gesundheitspolitische Sprecher der Grünenfraktion im Bundestag, Janosch Dahmen, überzeugt. Es sei sinnvoll, rund um die Uhr eine telemedizinische Beratung zur Verfügung zu stellen, so Dahmen.

Hausbesuchsdienste dürften nicht durch das Abziehen von Ärztinnen und Ärzten aus der Arztpraxis realisiert werden, sondern müssten durch multiprofessionelle Teams, etwa Gemeindenotfallsanitätern, Community Health Nurses oder Notfallpflegeteams vor Ort übernommen werden, schlug er vor.

Verbesserungsvorschläge kommen auch von den Ampelfraktionen

Die Reform müsse im parlamentarischen Verfahren noch verbessert werden, betonte der gesundheitspoliti­sche Sprecher der FDP-Fraktion, Andrew Ullmann. Durch die Etablierung von Notdienstpraxen an den Klini­ken dürften niedergelassene Ärztinnen und Ärzte nicht zusätzlich belastet werden.

„Viele Praxen arbeiten jetzt schon am Limit“, sagte Ullmann. Er wolle zudem die Kosten der Reform genau prüfen. „Der Entwurf sieht geschätzte Mehrausgaben für die Krankenkassen vor, die langfristig zu Einsparun­gen führen sollen. Hier werden wir wachsam bleiben“, sagte der FDP-Politiker. GKV-Versicherte dürften nicht mit höheren Beiträgen belastet werden. Auch der CDU-Politiker Axel Müller kritisierte die geplante Finanzie­rung der Notfallreform als „unklar“.

Ullmann warnte zudem vor der Schaffung von Doppelstrukturen. So müsse die geplante Anbindung von Apo­theken an die INZ geprüft werden, denn es gebe bereits die etablierten Apothekennotdienste. Zudem brauche es eine bessere Abstimmung der Notfallversorgung und der ambulanten Versorgung. Insbesondere in ländli­chen Bereichen könnte dies sonst zu Problemen führen.

Weitere Vorschläge zur Weiterentwicklung der Reform brachte der SPD-Politiker Dirk Heidenblut an. Er plä­dierte dafür, dass die Behandlung von psychischen Erkrankungen klar bei den INZ angesiedelt werden müsste. Eine entsprechende fachlich klare Ausrichtung der Zentren müsste vorgesehen werden, betonte er. Außerdem forderte er einen barrierefreien Zugang zu den INZ für Menschen mit Behinderungen, so dass alle dort Hilfe bekommen könnten.

Notfallreform mit anderen Reformen besser verzahnen

Auch die Opposition sprach sich für die Reform aus. Es sei richtig im Rahmen der Reform eine bessere Patien­tensteuerung auf den Weg zu bringen, räumte der gesundheitspolitische Sprecher der Unionsfraktion, Tino Sorge, ein.

Allerdings sollte die Notfallreform besser mit der Krankenhausreform und Novellierung der Rettungsdienste verzahnt werden, forderte der CDU-Politiker. Sorge warf Lauterbach zudem vor, die lange auf dem Tisch lie­genden Vorschläge, nicht schnell genug auf den Weg gebracht zu haben.

Eine 24/7-Notfallversorgung sei zwar wünschenswert, aber es ergebe keinen Sinn. Die Arbeit der Pflegekräfte, der Mediziner, den Kassenärztlichen Bereitschaftsdienst, die Notaufnahmen und Rettungsdienste parallel lau­fen zu lassen, sagte Sorge weiter. Um dies zu vermeiden, sollte Lauterbach mit den Ländern und Kommunen sprechen, die vor Ort gute Lösungen für diese Probleme gefunden hätten, schlug Sorge vor.

Auch sein Parteikollege Axel Müller warnte vor zentralistischen Vorgaben des Bundes hinsichtlich der Refor­mierung der Rettungsdienste. „Flexible Lösungen vor Ort werden so unterbunden“, sagte Müller. Sorge warnte zudem davor, mit der Notfallreform zusätzliche Bürokratie zu schaffen und er rief Lauterbach auf, die Betei­ligten im Notfallsystem aktiv am Reformprozess zu beteiligen.

Die digitale Vernetzung der Rufnummern 112 und 116117 nannte auch die AfD einen „guten Ansatz“. Aller­dings heiße gut gemeint, nicht auch gut gemacht, sagte der AfD-Abgeordnete Thomas Dietz. Er schlug einen sofortigen Notfallfonds für Krankenhäuser vor, die von der Insolvenz bedroht seien.

Ampel investiere lieber in Panzer statt Gesundheit

Am deutlichsten kritisierte Kathrin Vogler von der Gruppe Die Linke die geplante Notfallreform. „Die Notfall­re­form verschärft Probleme, anstatt sie zu lösen“, sagte sie. Vogler bemängelte ähnlich wie Ullmann und Müller eine unklare Finanzierung und fragte, woher man das zusätzlich benötigte Personal hernehmen solle.

„Mehr Effizienz ist nicht ohne Investition zu haben, investieren will die Ampel aber nur in Panzer und Hau­bit­zen, aber nicht in die Gesundheitsversorgung“, kritisierte Vogler. Sie bemängelte weiter, dass die Sektoren­gren­zen zwischen dem ambulanten und dem stationären Bereich nicht angetastet werden sollen. Dadurch bleibe es undurchschaubar für die Patientinnen und Patienten, bemängelte sie.

In der ersten Novemberhälfte soll es eine Anhörung von Sachverständigen im Gesundheitsausschuss zur Notfallreform geben. Ziel der Ampelfraktionen ist es, die Notfallreform noch in diesem Jahr abzuschließen.

Eine Reform der Notfallversorgung steht nicht das erste Mal auf der Agenda. Bereits 2020 hatte der ehema­lige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) einen Entwurf zur Reform der Notfallversorgung vorgelegt.

Auch in dem damaligen Entwurf war bereits die Rede von integrierten Notfallzentren sowie gemeinsamen Notfallleitsystemen, die eine verbindliche Zusammenarbeit der beiden Notrufnummern etablieren sollte. Aufgrund der damaligen COVID-19-Pandemie und nach Gesprächen mit den Ländern und anderer beteiligter Akteure ist das Vorhaben damals aber gescheitert.

Kritik kommt auch aus der Ärzteschaft

Kritik an dem Vorhaben kam nicht nur von der Opposition, sondern auch vonseiten der Kassenärztlichen Bun­desvereinigung (KBV). Es drohten Doppelstrukturen, Personalmangel und Unterfinanzierung, so die Vorstände Andreas Gassen, Stephan Hofmeister und Sibylle Steiner.

„Zweifelsohne ist eine Reform der Notfallversorgung längst überfällig – insbesondere was das Thema Patien­tensteuerung anbelangt. Die Frage ist also nicht ob, sondern wie man eine solche Reform angeht.“ Beim Wie lasse der gestern im Bundestag diskutierte Gesetzesentwurf noch deutlich zu wünschen übrig, so der KBV-Vorstand.

„So sollen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) im Rahmen des Sicherstellungsauftrags dazu ver­pflichtet werden, einen 24/7-Fahrdienst für die Akutversorgung bereitzustellen. Das ist weder versorgungs­notwendig noch wirtschaftlich und personell umsetzbar“, betonten Gassen, Steiner und Hofmeister.

Der Betrieb eines solchen Notdienstes während der Praxisöffnungszeiten schaffe Doppelstrukturen, die man sich angesichts der ohnehin knappen Personalressourcen unter keinen Umständen leisten könne. Die KBV warnte zudem vor einer mangelhaften Finanzierung sowie zusätzlicher Bürokratie.

Die stellvertretende Vorstandsvorsitzende des GKV-Spitzenverbandes, Stefanie Stoff-Ahnis, sieht in der Re­form hingegen eine Chance. „Die Notfallreform muss bundesweit dafür sorgen, dass Hilfesuchende zielgenau gesteuert werden, um in die richtige Versorgungsebene zu kommen“, betonte Stoff-Ahnis.

„Wir haben jetzt die Chance, mit der Notfallreform einheitliche und gleichwertige Versorgungsstrukturen auf­zubauen. Der Entwurf enthalte viele richtige Ansatzpunkte, damit Versorgungsstrukturen für unsere Versicher­ten leichter zugänglich werden, begrüßte sie.

Stoff-Ahnis schlägt außerdem vor, die Erfahrung des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) bei der Defini­tion von zentralen Strukturvorgaben für die Standortauswahl der INZ sowie für die personelle und apparative Ausstattung von KV-Notdienstpraxen zu nutzen. Diese Aufgabe sollte dem G-BA per Gesetz übertragen wer­den, denn hier liegen die Fachkompetenz und jahrelange Erfahrung vor, betonte Stoff-Ahnis.

cmk

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