Politik

Regierungskommission empfiehlt, doppelte Facharztschiene abzubauen

  • Freitag, 3. Mai 2024
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in der Endoskopie-Abteilung bei einem Besuch des Sana-Klinikums. Dort wurde ihm das Gutachten der Regierungskommission überreicht. /picture alliance, AFP POOL, John Macdougall
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in der Endoskopie-Abteilung bei einem Besuch des Sana-Klinikums. Dort wurde ihm das Gutachten der Regierungskommission überreicht. /picture alliance, AFP POOL, John Macdougall

Berlin – Die Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung hat heute eine Reihe von Empfehlungen vorgelegt, mit denen insbesondere die Sektorengrenzen zwischen dem statio­nären und dem ambulanten Bereich überwunden werden sollen.

Dazu zählen neben einer gemeinsamen Planung beider Bereiche unter anderem der Aufbau von Level-1i-Krankenhäusern – im Gesetzentwurf zur Krankenhausreform heißen diese sektorenübergreifende Versor­gungs­einrichtungen –, der Aufbau eines Primärarztsystems und die Einführung von Regionalbudgets.

Die mittlerweile zehnte Stellungnahme der Kommission, die den Titel „Überwindung der Sektorengrenzen des deutschen Gesundheitssystems“ trägt, übergab deren Leiter Tom Bschor heute an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) in Berlin.

„Die sektoralen Trennungen – insbesondere die ambulant-stationäre Sektorentrennung – erzeugen erhebliche Fehlsteuerungen und weitere Probleme, die zum Teil bereits seit Jahrzehnten benannt werden“, heißt es in der Stellungnahme.

„Die Sektorengrenzen sind tief im Gesundheitssystem verwurzelt und ein Hauptgrund für Ineffizienz.“ Für Reformansätze seien vor allem jene Behandlungen relevant, die statt voll-, teil- oder tagesstationär ambulant erbracht werden könnten und damit prinzipiell den Leistungserbringern der beiden (bisherigen) Sektoren offenständen.

„Wenn wir die Sektorengrenzen nicht aufbrechen, werden wir es nicht schaffen, die Generation der Babyboo­mer mit der Zahl der Fachkräfte, die wir jetzt im Gesundheitssystem haben, gut zu versorgen“, betonte Lauter­bach.

„Für die 1.720 Krankenhäuser in Deutschland haben wir weder genug Ärztinnen, Ärzte und Pflegekräfte noch die wirtschaftlichen Voraussetzungen oder den medizinischen Bedarf. Die heutigen Strukturen sind in keiner Weise zukunftsfähig. Wir müssen das medizinische Personal effizienter einsetzen.“

Drängender Reformbedarf

„Der Reformbedarf ist so drängend geworden, dass wir nicht mehr um eine Generalüberholung des deutschen Gesundheitswesens herumkommen“, betonte Bschor. Hintergrund sei insbesondere der Fachkräftemangel. „In diesem Jahr feiern 1,4 Millionen Menschen ihren 60. Geburtstag“, sagte Bschor – aber nur 800.000 Menschen ihren 20. Geburtstag.

„Wenn wir wirklich die Sektorentrennung überwinden wollen, müssen wir den ambulanten und den stationä­ren Bereich gemeinsam planen“, so Bschor weiter. „Damit können wir bei den Level-1i-Krankenhäusern starten, die regional geplant werden können.“

Dabei könne man dann zum Beispiel sehen, dass es in einer Region eine gute Abdeckung mit niedergelasse­nen Kardiologen gebe, aber vielleicht keine gute Abdeckung mit Urologen. Die Fachrichtung Urologie könne dann verstärkt im Krankenhaus abgebildet werden.

Lauterbach betonte in diesem Zusammenhang, dass die Politik die niedergelassenen Fachärzte in keiner Weise angreifen wolle. Es gehe nur darum, in Regionen, in denen es nicht genügend Fachärzte gibt, um sowohl die stationäre als auch die ambulante Versorgung sicherzustellen, die Möglichkeit zu schaffen, dass niedergelassene Fachärzte im Krankenhaus arbeiten können. „Wir prüfen derzeit, ob die Einführung eines Hybridarztes möglich ist, der sowohl im Krankenhaus als auch als Vertragsarzt arbeiten kann“, so der Minister.

Qualitätsvorgaben für die Level-1i-Kliniken

Die Regierungskommission gibt in ihrem Gutachten Empfehlungen, die kurzfristig umgesetzt werden können und Empfehlungen für die langfristige Umsetzung. Kurzfristig könnten demnach die Level-1i-Krankenhäuser aufgebaut werden, die die Kommission in ihrem dritten Gutachten bereits dargestellt hatte.

Diese Krankenhäuser sollen demnach sowohl ambulante als auch stationäre Leistungen erbringen können, um dadurch regional flexibel und integrierend die Gesundheitsversorgung sicherzustellen.

Um auszuschließen, dass Level-1i-Krankenhäuser komplexe Behandlungen durchführen, schlägt die Kommis­sion vor, dass die Selbstverwaltungspartner eine Positivliste mit den Behandlungen erstellen, die ein Level-1i-Krankenhaus durchführen darf.

„Zur Sicherung der Behandlungsqualität sollen von Selbstverwaltungspartnern, zum Beispiel im Gemeinsa­men Bundesausschuss, Personal- und andere Strukturqualitätsvorgaben für Level-1i-Krankenhäuser ausgear­beitet werden“, heißt es weiter in der Stellungnahme.

Institutsambulanzen und Belegärzte

Darüber hinaus umreißt die Kommission detailliert, wie sie sich die künftige Aufstellung von Level-1i-Kran­ken­häusern vorstellt. Diese sollen vorrangig ambulante Behandlungen anbieten, nach Tagespauschalen ab­rech­nen und von den Bundesländern geplant werden. Bei Unterversorgung in einer Region sollen sie ambu­lante Leistungen mit den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) abrechnen.

Mit den KVen sollen sie dafür Budgets aushandeln, um für bislang stationär erbrachte Behandlungen die Vergütung als ambulante Leistungen auch in nicht unterversorgten Gebieten zu regeln. Die Standorte der Level-1i-Krankenhäuser sollen zudem Platz bieten für weitere Gesundheitsangebote wie Apotheken, Arzt­praxen, Medizinische Versorgungszentren, Gesundheitskioske, Sanitätshäuser oder andere Gesundheitsberufe.

Zu den kurzfristig umzusetzenden Maßnahmen zählen zudem der Aufbau von Institutsambulanzen, die Weiterentwicklung der Hybrid-DRG und der Ausbau des Belegarztsystems. Die Kommission empfiehlt, die Möglichkeit von Institutsambulanzen nach dem Vorbild der psychiatrischen Institutsambulanzen auf weitere Fächer auszuweiten, da diese eine bewährte Möglichkeit der sektorenübergreifenden Versorgung böten und in den Fächern Psychiatrie sowie Kinder- und Jugendpsychiatrie heute in relevantem Umfang zur ambulanten Versorgung beitrügen.

„Um die Sektorengrenzen aus beiden Richtungen zu überwinden, ist das Belegarztsystem, das in den letzten Jahren zunehmend an Bedeutung verloren hat, zu stärken, das heißt, unter Beteiligung des Bundesverbands der Belegärzte und Belegkrankenhäuser und anderer kompetenter Verbände und Institutionen sollen Hürden identifiziert und dann abgebaut sowie Anreize geschaffen werden“, heißt es in der Stellungnahme.

„Doppelte Facharztschiene“ abbauen

Zu den mittel- und langfristigen Maßnahmen zählen der Aufbau regionaler Gremien unter Landesvorsitz, die die ambulante und stationäre Versorgung gemeinsam planen, und der Aufbau eines Primärarztsystems beste­hend aus Allgemeinmedizinern, Internisten, Pädiatern, Gynäkologen und Psychiatern, die die Gesundheitsver­sorgung steuern und die „doppelte Facharztschiene“ abbauen sollen.

Mittel- bis langfristig sollen auch eine flächendeckende Versorgung durch qualifiziertes Pflegefachpersonal mit weitgehenden Kompetenzen – inklusive einer Einschränkung des Arztvorbehalts – umgesetzt und Regio­nal­budgets eingeführt werden.

„Die gemeinsame Planung der ambulanten und stationären Versorgung durch ein regionales Planungsgre­mium ist für alle Regionen und Krankenhäuser aller Level sinnvoll, da eine echte Überwindung der Sektoren­grenzen an eine sektorenübergreifend harmonisierte Planung geknüpft ist“, heißt es in der Stellungnahme.

Als Zukunftsmodell empfiehlt die Regierungskommission, analog den erweiterten Landesausschüssen, paritä­tisch besetzte Gremien zu schaffen, die sektorenverbindend die ambulante und stationäre Versorgung eines Bundeslandes oder einer Region planen.

Die Kommission konstatiert schließlich, dass im Sozialgesetzbuch V bereits zahlreiche spezielle Regelungen existierten, die die Sektorengrenzen aufweichen sollen. „Ihnen gemeinsam ist im Wesentlichen, dass sie nicht zu einer grundsätzlichen Überwindung der Sektorenproblematik geführt haben“, so die Kommission.

Zudem werde die praktische Umsetzung der meisten Regelungen durch rechtliche, bürokratische und organi­sa­torische Hürden stark erschwert. „Mittelfristig wollen wir davon wegkommen, Sonderregelungen zu haben, um die Sektorengrenzen zu überwinden“, so Bschor.

Lauterbach erklärte, dass das BMG prüfen werde, „ob wir noch kurzfristig Empfehlungen der Regierungskom­mission in die Krankenhausreform oder das Versorgungsgesetz mit aufnehmen“. Der Minister geht davon aus, dass die Krankenhausreform am 15. Mai auf die Tagesordnung des Kabinetts gesetzt wird.

Derzeit befinde sich das BMG bei der Krankenhausreform in enger Abstimmung insbesondere mit dem Bun­desjustizminister. „Wir wollen absolut sichergehen, dass das Gesetz im Bundesrat nicht zustimmungspflichtig ist“, sagte Lauterbach. Deshalb werde es derzeit daraufhin genau geprüft. Er machte erneut deutlich, dass er keine Öffnungsklausel in der Reform haben will, mit der die Länder die bundesweit einheitlichen Qualitäts­vorgaben umgehen können.

fos

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