Ärzteschaft kritisiert Empfehlungen der Regierungskommission zur sektorenübergreifenden Versorgung

Berlin – Die jüngst vorgelegten Empfehlungen der Regierungskommission für eine moderne und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung zur sektorenübergreifenden Versorgung werden von der Ärzteschaft sehr kritisch bewertet. Das zeigen die ersten Reaktionen auf den am vergangenen Freitag an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) übergebenen Bericht.
Grundsätzlich werde es „mehr und mehr zu einem Problem, dass die aus Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern besetzte Regierungskommission Politikempfehlungen abgibt, ohne über das notwendige Versorgungswissen aus Klinik und Praxis zu verfügen“, erklärte der Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt.
Die Kommission wärme mit ihren Äußerungen über die angebliche „doppelte Facharztschiene“ eine Debatte der Vergangenheit auf und stelle leichtfertig die ambulante fachärztliche Versorgung in Deutschland infrage. Worin die behauptete Ineffizienz dieser Versorgung liegen soll, lasse die Empfehlung völlig im Dunkeln, so Reinhardt.
Zudem gebe es schon heute zahlreiche Formen der Zusammenarbeit zwischen niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten und Krankenhäusern – wirklich neue Vorschläge, wie diese Zusammenarbeit erleichtert und gestärkt werden könne, enthielten die Kommissionsvorschläge nicht.
Das deutsche Gesundheitswesen brauche keine Verunsicherung der niedergelassenen Fachärztinnen und Fachärzte, sondern Maßnahmen zur Stärkung der fach- und der hausärztlichen Versorgung sowie der heute schon existierenden sektorenverbindenden Organisationsstrukturen.
Aus Sicht der BÄK könnten die sogenannten „Level-Ii-Kliniken“ die zentrale Rolle für die Versorgung, die die Kommission ihnen zudenkt, nicht übernehmen. „Einrichtungen unter pflegerischer Leitung ohne Notfallambulanz, in denen nachts kein Arzt anwesend ist, sind im Grunde keine Krankenhäuser und können die stationäre Grundversorgung nicht sicherstellen“, warnte Reinhardt.
Es sei bedauerlich, dass die Kommission auch mit dieser Empfehlung bei ihrer Linie bleibt, den Dialog mit denjenigen zu vermeiden, die für die Versorgung im ambulanten wie stationären Bereich stehen. „Das führt zu Empfehlungen, die an der Versorgungsrealität total vorbeigehen.“
Die Abschaffung der wirtschaftlich selbstständigen fachärztlichen Tätigkeit würde einen massiven Paradigmenwechsel weg von einem individualisierten Arzt-Patienten-Verhältnis hin zu staatlich organisierten Strukturen bedeuten, so der BÄK-Präsident. Im Spannungsfeld solcher politischen Diskussionen werde die Bereitschaft junger Ärztinnen und Ärzte, in die wirtschaftlich unabhängige Selbstständigkeit zu gehen, sicher nicht gefördert.
Mit scharfen Worten hat auch der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg (KVBW), Karsten Braun, die Vorschläge der Regierungskommission kommentiert. „Allen Ernstes setzt sich die Kommission dafür ein, dass fast alle fachärztlichen Behandlungen künftig nur noch an oder gemeinsam mit Krankenhäusern stattfinden sollen. Das hätte fatale Konsequenzen für die fachärztliche Versorgung in weiten Teilen der Bevölkerung.“ Die Krankenhäuser zögen sich bereits jetzt Schritt für Schritt aus der Fläche zurück.
Der KV-Chef beklagte zudem die Einseitigkeit der Sichtweise der Kommission. „Die Kommission hat sich zum Ziel gesetzt, Vorschläge für eine sektorenübergreifende Versorgung zu unterbreiten. Selbst war sie aber nicht fähig, die Sektoren zu überwinden. Kein einziges Mitglied der Kommission kommt aus dem ambulanten Sektor, die Kommission setzt sich ausschließlich aus Vertretern der Kliniken zusammen. Kein Wunder, dass jegliches Verständnis für die ambulante Versorgung fehlt.“
Braun warnte davor, die Versorgung aufs Spiel zu setzen. „Vor allem die Facharztpraxen sorgen dafür, dass immer mehr Behandlungen ambulant stattfinden und die Patienten dafür nicht ins Krankenhaus müssen. Das spart dem Gesundheitswesen enorme Kosten.“ Das funktioniere aber nur, weil es ein leistungsfähiges und in der Fläche breit aufgestelltes Netz an Facharztpraxen gebe.
Die Vorschläge der Kommission zielten darauf ab, dieses Netz zu zerstören. Er kündigte Widerstand gegen weitergehende Pläne an, sollten die Vorschläge seitens der Bundesregierung aufgegriffen werden.
Die Regierungskommission sitze einem „folgenschweren Irrtum auf“, wenn sie glaubt, dass die fachärztliche Versorgung künftig in erster Linie stationär oder in neuen hybriden Strukturen stattfinden könne, sagte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein (KVNO), Frank Bergmann. Weder organisatorisch noch medizinisch seien die Kliniken dazu in der Lage, die Arbeit der Niedergelassenen allein zu schultern.
Insofern sei es auch in der Sache grundfalsch, wenn die sogenannte Expertenkommission in diesem Kontext das Argument der ‚doppelten Facharztschiene‘ aus der Mottenkiste politischer Kampfbegriffe hole und gegen die Praxen als ineffiziente Kostentreiber wettere. „Das Gegenteil ist der Fall, zumal kürzlich mit dem Gutachten des Sachverständigenrats Gesundheit & Pflege (SVR) – unter anderem beim Thema der fachärztlichen Aus- und Weiterbildung – längst sehr viel differenziertere Vorschläge in die Diskussion eingebracht wurden“, so Bergmann.
Er betonte, sollte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach den Empfehlungen der Regierungskommission folgen, seien die Konsequenzen schon jetzt absehbar: Es würde – andere Länder hätten es vorgemacht – zu längeren Wartezeiten und zu einer Einschränkung des Leistungsversprechens kommen – und das wohlgemerkt aus rein ideologischen Gründen. „Das können wir nicht wollen und dürfen auch nicht riskieren, dass bewährte Strukturen aufs Spiel gesetzt und das Potential des Gesundheits- und Wirtschaftsstandortes Deutschland geschwächt werden. Leidtragend wären am Ende nicht nur die Praxen, sondern vor allem die Patientinnen und Patienten.“
Der Spitzenverband Fachärztinnen und Fachärzte Deutschlands (SpiFa) zeigte sich indes fassungslos über die Stellungnahme der Regierungskommission. „Die Ergebnisse der Kommission sind ein Produkt aus gravierenden Fehlannahmen und einer einseitigen Interessenvertretung der Universitätsmedizin. Die Kommission zeigt sowohl bei ihrer Analyse rein aus der Sicht von (Universitäts-)klinikern als auch in ihren Folgerungen eine erschreckende Distanz zur realen Versorgung“, erklärte der Vorstandsvorsitzende des SpiFa Dirk Heinrich.
Sinnvolle Vorschläge, wie eine Stärkung der Ambulant-Spezialfachärztlichen-Versorgung (ASV), der Ausbau des Belegarztwesens und eine deutliche Ausweitung der Hybrid-DRG, gingen in dem Papier der Kommission leider unter.
„Dem Papier der Regierungskommission fehlt eine ausreichende empirische Grundlage. So wird bei der Forderung, die sogenannte ‚doppelte Facharztschiene‘ abzubauen, völlig außer Acht gelassen, dass die allermeisten Krankenhäuser, insbesondere in ländlichen Regionen, die Breite der fachärztlichen Versorgung gar nicht anbieten“, betonte der Vorstandsvorsitzende des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi), Dominik von Stillfried.
Zudem seien Krankenhäuser in der Regel nicht darauf ausgerichtet, Patientinnen und Patienten ambulant zu versorgen. Tatsächlich könnten nach Zi-Auswertungen viele Krankenhäuser ihre Versorgungsangebote ohne die Mitwirkung niedergelassener Fachärztinnen und -ärzte gerade in weniger gut versorgten Regionen nicht umsetzen, so von Stillfried.
„Die fachärztliche Versorgung am Krankenhaus erfolgt komplementär zum niedergelassenen Bereich und nicht doppelt“, betonte in diesem Zusammenhang Michael Hubmann, Präsident des BVKJ. Es sei der falsche Ansatzpunkt, Strukturen, die sich als zu teuer und als nicht erhaltenswert erwiesen haben, auf die ambulante Versorgung überzustülpen.
Die Level-Ii-Kliniken werden nach seiner Einschätzung nicht in der Lage sein, einen relevanten Anteil der täglichen Menge notwendiger Behandlungen abzudecken. „Die bestehende erstklassige ambulante fachärztliche Versorgung wird durch solche Gedankenspiele unnötig gefährdet“, warnte Hubmann.
Der Berufsverband Deutscher Anästhesistinnen und Anästhesisten (BDA) sprach sich gegen die Überlegungen des Bundesgesundheitsministers aus, mit dem „Hybridarzt“ eine komplett neue „Belegarztart“ zu definieren. Gleiches gilt für die Vorschläge der Regierungskommission zur „Reduktion der doppelten Facharztvorhaltung“.
Der BDA begrüßt, dass die starren Strukturen einer Sektorentrennung weiter aufgebrochen werden sollen. Um beiderseits der Sektorengrenzen personelle Ressourcen gleichermaßen nutzen zu können, brauche es aber ein klares Konzept zur sektorenverbindenden Versorgung. Polemiken wie „doppelte Facharztschiene“ hält der BDA indes für vollkommen fehl am Platz.
Stattdessen fordert der Berufsverband, dass Lauterbach darauf hinwirkt, die vielen Hürden abzuschaffen, die Kooperationen zwischen Niedergelassenen und Krankenhäusern seit langer Zeit behindern, erklärte BDA-Präsidentin Grietje Beck. Der BDA habe bereits mehrfach darauf hingewiesen, dass Kooperationen über die Sektorengrenzen hinweg nicht an mangelndem Willen und künstlicher Abgrenzung, sondern an arbeits- und sozialrechtlichen Beschränkungen scheiterten.
Armin Grau (Grüne), Obmann im Gesundheitsausschuss, erklärte, hingegen die Regierungskommission unterbreite eine Reihe von begrüßenswerten Therapievorschlägen. Die Vorschläge der Kommission wiesen „in die richtige Richtung“. Auch die mittel- und langfristig vorgesehenen Vorschläge sollten nicht auf die lange Bank geschoben werden. Vieles davon könne man mit Gesetzen noch in dieser Legislaturperiode auf den Weg bringen.
Grau begrüßte ausdrücklich, dass die Kommission für die sektorenübergreifenden Versorger (sogenannte Level1i-Krankenhäuser) ein eigenes pflegerisches Leistungserbringungsrecht im Sozialgesetzbuch fordert und damit die Pflege stärken wolle.
Auch der Vorschlag eines regionalen Planungsgremiums für die ambulante Versorgung in diesen Häusern aus Ländern, Krankenkassen, Kassenärztlicher Vereinigung und Krankenhausgesellschaft sei sinnvoll – ebenso wie die Möglichkeit eines Gesamtbudgets für alle Leistungen, egal ob ambulant oder stationär. Die Einrichtung von Institutsambulanzen, der Ausbau der sogenannten Hybrid-DRGs und des Belegarztwesens seien weitere begrüßenswerte und kurzfristig umsetzbare Maßnahmen.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: