Politik

Verbände dringen auf schnelles Gesetz zur Suizidprävention

  • Dienstag, 14. Mai 2024
/picture alliance, Jens Kalaene
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Berlin/Kassel – Eine gesetzliche Regelung der Suizidprävention ist dringend notwendig und sollte keine Absichtserklärung bleiben, sondern möglichst bald erfolgen. Dies betonten heute gemeinsam Vertreter von Ärzteschaft, Fachgesellschaften sowie Verbänden und Organisationen der Suizidprävention.

Die Anfang Mai von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) vorgestellte Suizidpräventionsstrategie bewerteten sie grundsätzlich als Meilenstein, mahnten aber die Umsetzung und vor allem die Finanzierung der geplanten Maßnahmen an.

Als positiv sehen die Expertinnen und Experten vor allem das geplante breite Bündel an Maßnahmen an, die in der Strategie vorgesehen sind. Dieses spiegele die komplexen Anforderungen in der Suizidprävention sehr gut wider, so ihre Einschätzung.

Barbara Schneider, geschäftsführende Leiterin des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (NaSPro), betonte, dass das NaSPro und andere Organisationen bereits heute schon viele der in der Strategie genannten Aufga­ben wahrnehmen würden, jedoch durch unbezahlte ehrenamtliche Arbeit. „Die Expertise und jahrelange fruchtbare multiprofessionelle Zusammenarbeit im Nationalen Suizidpräventionsprogramm muss erhalten und auskömmlich finanziell abgesichert werden“, forderte sie.

Die Deutsche Akademie für Suizidprävention (DASP) setze sich zusammen mit Fachleuten und Verbänden schon seit langem für eine möglichst auskömmliche und langfristige finanzielle Unterstützung von bestehen­den Angeboten und Strukturen ein, betonte auch Georg Fiedler vom DASP-Vorstand.

„Deutschland verfügt über eine breite Palette von vorhandenen suizidpräventiven Angeboten, Strukturen und Netzwerken.“ Nun bestehe durch den nahezu einstimmigen Beschluss des Bundestages zur Förderung der Suizidprävention vom Juli 2023 die Hoffnung, dass diese vorhandenen Strukturen auch auskömmlich finan­ziert und weiterentwickelt werden könnten.

„Wir appellieren deshalb an die Abgeordneten des Bundestages, eine umfassende finanzielle Förderung be­stehender Angebote und Strukturen in den Bundeshaushalt 2025 und in ein Suizidpräventionsgesetz aufzu­nehmen“, betonte Fiedler.

Dazu gehöre auch die gesetzliche Verankerung eines 24/7-bundesweit einheitlich erreichbaren „Hilfetelefons Suizidprävention“ im Rahmen einer zentralen Beratungs- und Koordinationsstelle für Menschen mit Suizidge­danken, für An- und Zugehörige, Hinterbliebene, Professionelle und andere Interessierte.

Auch Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer (BÄK), bekräftigte die Forderung nach einem Suizidpräventionsgesetz: „Die vom Bundesgesundheitsminister vorgestellte Suizidpräventionsstrategie enthält zwar richtige Ansätze, sie ist aber kein Ersatz für ein Suizidpräventionsgesetz“, betonte sie. Nur die gesetzliche Verankerung der Suizidprävention sorge für die notwendige dauerhafte finanzielle Absicherung der einzelnen Maßnahmen.

Ein Beispiel für bereits bestehende Maßnahmen ist die Telefonseelsorge. Sie übernehme einen ansonsten in dieser Form nicht abgedeckten Teil der gesellschaftlichen Fürsorge für Menschen in Krisen, sagte Helmut Ellensohn, Vorsitzender der Telefonseelsorge Deutschland.

Eine mögliche Ausweitung der Aufgaben wäre ohne weitere finanzielle Unterstützung nur schwer möglich. „Die Strategie des BMG ist eine Absichtserklärung – als solche ist sie zu begrüßen“, sagte Ellensohn. Ob und wann sie umgesetzt werde, sei aber unklar. „Da erwarten wir mehr.“

Auch Jakob Henschel vom Online-Beratungsangebot MANO bestätigte, dass der Bedarf an Beratung deutlich höher ist als das derzeitige Angebot. Aufgrund der begrenzten finanziellen Ressourcen könne eine Registrie­rung für neue Ratsuchende nur sehr selten freigeschaltet werden. „Die wichtigen niedrigschwelligen Hilfen in der Suizidprävention müssen nachhaltig finanziell abgesichert und in einem ausreichenden Umfang verfüg­bar gemacht werden“, forderte er.

Einig waren sich die Fachleute, dass durch die Suizidpräventionsstrategie keine Doppelstrukturen entstehen dürften. „Das wird entscheidend für den Erfolg sein“, sagte Frank Petratschek von der Anlaufstelle für junge Menschen.

An Orten, wo Angebote und Strukturen der Suizidprävention noch nicht vorhanden seien, müssten diese auf­gebaut werden, hier könnten die positiven Erfahrungen bestehender Projekte genutzt werden. „Ob bestehende oder aufzubauende Projekte – in jedem Fall muss die Finanzierung langfristig planbar zur Verfügung gestellt werden“, betonte Petratschek.

Ein weiterer wichtiger Bestandteil der Suizidprävention ist die Hospiz- und Palliativversorgung. Darauf wies Winfried Hardinghaus, Vorsitzender des Deutschen Hospiz- und Palliativverbands (DHPV) heute hin. Er be­grüßte Pläne für eine Nationale Suizidpräventionsstrategie, zeigte sich aber irritiert über die mangelnde Berücksichtigung des suizidpräventiven Potenzials von Hospizarbeit und Palliativversorgung.

„Wir möchten noch einmal dringend darauf hinweisen, dass der Hospizarbeit und Palliativversorgung mit Blick auf die Suizidprävention eine wichtige Aufgabe zukommt“, betonte er. Die hospizliche und palliative Praxis zeige, dass Menschen mit schweren, lebensverkürzenden Erkrankungen meist von geäußerten Suizid­wünschen Abstand nehmen würden, wenn sie sich gut begleitet und versorgt wüssten. Auch die Angebote für trauernde Menschen müssten weiter ausgebaut und verlässlich finanziert werden, so Hardinghaus. „Denn Trauerarbeit wirkt suizidpräventiv.“

Auch Claudia Bausewein, Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP), sieht großen Versorgungsbedarf in der Palliativmedizin. „Palliativversorgung trägt wesentlich zur Suizidprävention und auch zur Prävention des assistierten Suizids bei Menschen mit fortschreitenden Erkrankungen und am Lebensende bei“, betonte sie.

Das ergebnisoffene, wiederholte und qualifizierte Gesprächsangebot auch über Sterbewünsche an Menschen in kritischen Lebenssituationen sei grundlegender Bestandteil der Hospiz- und Palliativversorgung. Todes­wünsche müssten geäußert werden dürfen, nur auf diesem Wege ist ein ernsthafter und offener Austausch mit Betroffenen wie ihren An- und Zugehörigen möglich.

Die DGP blicke aber mit Besorgnis auf die Zukunft der Palliativversorgung, sagte Bausewein. „Wir sehen erst­mals einen Rückgang der Palliativstationen und befürchten, dass im Rahmen der anstehenden Krankenhaus­re­form die Palliativversorgung aufgrund eines falsch niedrig ermittelten Versorgungsbedarfs deutlich einge­schränkt wird.“

ER

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