Nationale Suizidpräventionsstrategie: Prävention soll ausgebaut werden

Berlin – Die Bundesregierung will die Anlaufstellen und Hilfen zur Suizidprävention ausbauen. Dazu stellte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) heute eine Nationale Suizidpräventionsstrategie vor. „Wir müssen das gesellschaftliche Tabu von Tod und Suizid überwinden, psychische Erkrankungen von ihrem Stigma befreien und Hilfsangebote besser bündeln", sagte er.
Seit gut 20 Jahren nehme die Zahl der Suizide mit rund 10.000 betroffenen Menschen pro Jahr nicht ab, so Lauterbach. Dies seien Tragödien, auch für die Familien. „Da muss die Solidargemeinschaft etwas machen“, bekräftigte Lauterbach.
Entsprechend der Strategie sollen eine bundesweite Koordinierungsstelle für Beratungs- und Kooperationsangebote aufgebaut, besondere Schulungen für Fachkräfte in Gesundheitswesen und Pflege unterstützt sowie ein Konzept für eine zentrale deutschlandweite Krisendienstnotrufnummer entwickelt werden. Denkbar wäre für letzteres die 113, sagte Lauterbach.
Konkret soll der Strategie zufolge die geplante zentrale, bundesweite Koordinierungsstelle für Suizidprävention in den kommenden Jahren betroffene Menschen, deren Angehörige und Fachkräfte über eine bundesweite Webseite zu dem Thema Suizid informieren und mit vertieften Informationen zu Hilfeangeboten und zu Angeboten der Suizidprävention versorgen.
Verstärkte Schulung für Fachkräfte im Gesundheitswesen
Ferner sollen über sie Maßnahmen zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen und zur Enttabuisierung der Themen Sterben, Tod und Suizid ergriffen werden. Auch Fachkräfte im Gesundheitswesen und in der Pflege sollen künftig verstärkt geschult werden. Zudem soll das Monitoring von Suizidversuchen und Suiziden ausgebaut werden.
Darüber hinaus wird in der Strategie empfohlen, „methodenbegrenzende“ Maßnahmen deutlich auszubauen. Bestimmte Orte wie Brücken oder Bahnstrecken sollten stärker gesichert werden, sagte Lauterbach. Erwiesenermaßen zeige dies gute Effekte, erläuterte er. Stünden diese „Gelegenheiten“ nicht zur Verfügung, würde ein Teil der Suizide auch nicht verübt.
Dreiviertel aller Suizide würden von Männern begangen, sagte Ute Lewitzka, Vorstandsvorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Suizidprävention. Bei zwischen 50 bis 90 Prozent der Suizidopfer läge zudem eine psychische Erkrankung vor, häufig Depressionen, Psychosen, Suchterkrankungen oder Persönlichkeitsstörungen. Betroffen seien viele ältere Menschen, aber durchaus Jüngere, beispielsweise in der Pubertät.
„Wir brauchen deshalb Ansätze auf mehreren Ebenen“ sagte die Psychiaterin. Man müsse die verschiedenen Ursachen adressieren. „Die bestehenden Angebote reichen dazu nicht aus“, betonte Lewitzka. Viele seien befristet und arbeiteten nur projektbasiert. „Die Strategie ist ein Meilenstein“, ist sie überzeugt. Es brauche bei einigen Punkten eine gesetzliche Verankerung. Vor allem aber müsse für Finanzierung und Verstetigung der Angebote gesorgt werden.
Mit der Vorlage der Nationalen Suizidpräventionsstrategie folgt das Bundesgesundheitsministerium einem Beschluss des Haushaltsausschusses des Bundestags und auch des Parlaments. Dieses hatte am 6. Juli 2023 mit einer großen Mehrheit den Antrag „Suizidprävention stärken“ angenommen und die Bundesregierung aufgefordert, bis zum 30. Juni 2024 einen Gesetzentwurf und eine Strategie für Suizidprävention vorzulegen.
Kosten noch nicht abschätzbar
Auch im Koalitionsvertrag hatte die Ampel bereits vereinbart, das Thema Suizidprävention im Kontext eines Nationalen Präventionsplans umzusetzen. Das heute vorgestellte Konzept der Nationalen Suizidpräventionsstrategie sei an Bundestags-Haushaltsausschuss weitergeleitet worden, sagte Lauterbauch heute. Die Kosten könnten noch nicht abgeschätzt werden, sagte er. Er sei aber zuversichtlich, dass man diese Haushaltsherausforderung bewältigen könne.
Die Suizidpräventionsstrategie aus dem Bundesgesundheitsministerium wird in Politik und Gesellschaft grundsätzlich begrüßt, aber auch die Rufe nach einem Suizidpräventionsgesetz werden lauter. „Die heute vorgestellte Suizidpräventionsstrategie ist ein richtungsweisender Anfang, um Menschen mit Suizidgedanken besser aufzufangen und nicht allein zu lassen“, sagte Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), Mitglied im Gesundheitsausschuss.
Der parlamentarische Beschluss zur Stärkung der Suizidprävention sei im letzten Sommer interfraktionell breit getragen worden und sehe nun als nächsten Schritt ein Suizidpräventionsgesetz vor, um flächendeckend Angebote für Betroffene zu schaffen.
„Es ist zu begrüßen, dass Minister Lauterbach heute ein Suizidpräventionsgesetz angekündigt hat“, so die Psychiaterin. Es dürfe zudem nicht dabei bleiben, nur ein Konzept zu erstellen. „Die Umsetzung muss auf dem Fuße folgen.“ „Wir müssen nun alle vorhandenen Ressourcen bündeln, um zu verhindern, dass sich so viele Menschen in Deutschland das Leben nehmen“, betonte auch die stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, Dagmar Schmidt.
Kirchliche Verbände rufen die Bundesregierung die weiteren Maßnahmen auf. Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) verlangte beispielsweise die Vorlage eines verbindlichen Suizidpräventionsgesetzes bis zum Sommer. Die vorgestellte Strategie liefere zwar wichtige Bausteine für die Stärkung von Prävention, ersetze aber keine gesetzlichen Regelungen, erklärte ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp.
Auch der evangelische Wohlfahrtsverband Diakonie verlangte ein verbindliches Gesetz zur Suizidvorbeugung. Um Menschen in Lebenskrisen besser zu erreichen, müssten bestehende Angebote gesichert und ausgebaut werden, sagte Präsident Rüdiger Schuch. So sei die bundesweit tätige Telefonseelsorge angesichts des hohen Bedarfs überlastet. Es fehlten auch spezielle Hilfsangebote etwa für Jugendliche oder sterbenskranke Menschen.
Caritas-Präsidentin Eva Maria Welskop-Deffaa erklärte: „Eine Gesellschaft, die tatenlos wegsieht, wenn sich in Deutschland pro Tag 30 Menschen das Leben nehmen, ist nicht die Gesellschaft, in der wir leben wollen.“ Der Deutsche Caritasverband leiste seit über 20 Jahren mit der Online-Suizidpräventionsberatung „U25“ einen konkreten Beitrag, um jungen Menschen zu helfen. Einsamkeit sei kein Thema älterer Menschen allein. Sie forderte zudem konkrete Schutzkonzepte, die dem spontanen Suizidwunsch auch bauliche Maßnahmen entgegenstellten.
Auch der Malteser Hilfsdienst forderte mehr Unterstützung für Menschen in Krankenhäusern, Hospizeinrichtungen und Altenheimen. Alle in der Pflege tätigen Personen müssten Basisschulungen zur Suizidprävention erhalten. Deutschland benötige ferner mehr niedrigschwellige Hilfen für Trauernde.
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