EU-Pharmareform: Geringe Erwartungen bei der Industrie

Berlin – Die geplanten Arzneimittelreformen der EU-Kommission stoßen in der Pharmaindustrie auf geteiltes Echo. Die Maßnahmen seien zwar dem Grunde nach richtig, allerdings seien die Hürden vielfach zu hoch, als dass sie eine spürbare Wirkung gegen Lieferengpässe entfalten würden, erklärte die Gesundheitsökonomin Jasmina Kirchhoff gestern bei einer Veranstaltung des Pharmaunternehmens MSD.
Die EU-Kommission hatte im April ihre ersten Entwürfe für eine Reform des Arzneimittelrechtsrahmens vorgelegt und damit in der Industrie auch Hoffnungen geweckt: So soll beispielsweise mit einem Vouchersystem die Entwicklung neuer Antibiotika attraktiver gemacht und unter bestimmten Umständen der Patent- sowie der Unterlagenschutz neuer Medikamente verlängert werden.
Das seien gute Ansätze, erklärte Kirchhoff, die am arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft in Köln (IW Köln) das Projekt Pharmastandort Deutschland leitet, das wiederum vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller (vfa) finanziert wird.
So sollen Unternehmen für die Entwicklung und Herstellung eines neuartigen, resistenzbrechenden Antiinfektivums – beispielsweise eines Reserveantibiotikums – künftig einen Gutschein zur Verlängerung des Unterlagenschutzes um ein Jahr erhalten.
Das sei zwar sinnvoll, weil die Maßnahme nicht nur einen finanziellen Anreiz schaffe sowie zügig und europaweit wirksam sei. Allerdings seien diese Voucher an hohe Auflagen gebunden: So müsse es sich beispielsweise um eine Sprunginnovation, also um eine neue Wirkstoffklasse oder einen neuen Wirkmechanismus, handeln.
Das mache das Instrument für kleine und mittlere Unternehmen untauglich, erklärte Kirchhoff: „Die Idee ist gut, aber die Hürden sind zu hoch.“ Für Mittelständler sei es in den meisten Fällen schlicht nicht wirtschaftlich abbildbar, derlei grundlegende Forschung im Antibiotikabereich kostendeckend durchzuführen.
„Wenn ich das so sehr auf Sprunginnovationen auslege, schreckt das viele kleine und mittlere Unternehmen ab, weil die Schwelle so hoch ist, da etwas zu erreichen“, erklärte sie.
Hinzu komme, dass die Begrenzung der Voucher auf zehn Stück innerhalb von 15 Jahren der Grundlagenforschung keinen Dienst erweise: Durch die Beschränkung hätten Unternehmen gar keine Planungssicherheit, ob sie mit ihren Entwicklungen in Zukunft für die Erleichterungen infrage kommen.
Allgemein sei von den bisher geplanten Maßnahmen nur eine graduelle Verbesserung der Versorgungssituation zu erwarten, da die grundlegenden Probleme nicht angegangen würden. „Wir können Pharmapakete schnüren, so viel wir wollen, solange Unternehmen hier nicht kostendeckend produzieren und ihre Produkte in den Markt bringen können“, kritisierte Kirchhoff. „Solange wir diese Bedingungen nicht verbessern, brauchen wir über Reshoring gar nicht zu reden.“
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