Kappert-Gonther sieht verbindliche primärärztliche Versorgung als Gebot der Stunde

Mainz – Die amtierende Vorsitzende des Bundestagsgesundheitsausschusses, Kirsten Kappert-Gonther (Grüne), setzt sich für eine Stärkung der primärärztlichen Versorgung nach dem Vorbild des Modells der Hausarztzentrierten Versorgung (HZV) ein. Dies sei notwendig, um angesichts der größer werdenden Lücke von Bedarf und Ressourcen die Qualität der Versorgung zu erhalten, sagte sie heute auf dem 128. Deutschen Ärztetag, der sich mit dem Thema Patientensteuerung beschäftigt hat.
Es gebe zu große Defizite bei der Patientensteuerung in Deutschland, so Kappert-Gonther. Es müssten deshalb Reformen angegangen werden, damit „die Patienten in dem Wust von Versorgungsangeboten die Möglichkeit haben, die Versorgungsebene und den Kollegen anzutreffen, den sie benötigen. Und das ist zu häufig nicht der Fall“, sagte die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie.
48 Prozent der Personen, die eine Hausärztin oder einen Hausarzt haben, hätten auch noch eine zweite hausärztliche Person, die sie regelmäßig aufsuchten, erklärte Kappert-Gonther: „Das ist ein interessanter Befund. Auf der anderen Seite haben wir signifikant viele Menschen, die überhaupt keine Hausärztin und keinen Hausarzt haben.“
In Zukunft müsse deshalb ein Fokus darauf gelegt werden, dass die hausärztliche Versorgung verbindlicher sein müsse. „Ich finde, ein Einschreibesystem, wie wir es in der HZV haben, ist da ein sinnvoller Weg“, erklärte Kappert-Gonther. „Und ich bin nicht der Meinung, dass das die freie Arztwahl einschränkt, denn sie haben ja als Patient die Möglichkeit, auszusuchen, wo sie sich hausärztlich hinwenden.“
Es handele sich dabei nicht nur um ein akademisches oder ein Ressourcenproblem, denn es sei für die einzelnen Patienten relevant, wenn sie nicht die adäquate Versorgungsstruktur oder -ebene fänden, die für ihre Problemlage angemessen sei. „Deswegen ist es hier verantwortungsvoll, wenn man sagt, man möchte eine verbindlichere Steuerung in diesem Bereich haben.“
Sie unterstütze deshalb ausdrücklich die Forderungen, die der Vorstand der Bundesärztekammer (BÄK) in seinem diesbezüglichen Antrag stellt. Patienten in Deutschland sollten für die primäre Inanspruchnahme ärztlicher Versorgung eine Arztpraxis verbindlich wählen, heißt es darin.
Dieser erste Anlaufpunkt solle dann für alle gesundheitlichen Anliegen die primärärztliche Versorgung sowie die Koordination einer notwendigen Weiterbehandlung bei Fachärzten in allen Gebieten und in weiteren Versorgungsbereichen übernehmen.
Bei Patienten mit einer besonders im Vordergrund stehenden chronischen Erkrankung, die eine intensive und kontinuierliche fachärztliche Versorgung erfordere, könne die Behandlungskoordination auch durch den behandelnden Facharzt erfolgen. Die in der primärärztlichen Versorgung erbrachten Leistungen müssten dann sowohl im hausärztlichen wie auch konsekutiv auf Überweisung im fachärztlichen Bereich entbudgetiert werden, heißt es weiter.
„Ich finde es wirklich ganz richtungsweisend, was sie da reingeschrieben haben. Das ist genau der richtige Weg“, erklärte Kappert-Gonther. „Das ist das Gebot der Stunde und ich würde mich sehr freuen, wenn von diesem 128. Deutschen Ärztetag dieses Signal ausgehen würde.“
Neben einer Stärkung der Primärversorgung müsse zudem die Prävention als zentrale Gesundheitsaufgabe verstanden werden. „Wenn wir nicht langsam besser werden mit Prävention und präventiven Angeboten, werden die Versorgungsbedarfe noch weiter ansteigen“, betonte Kappert-Gonther.
Es sei kein Wunder, dass unter dem Druck der großen, sich überlappenden Krisen eine Zunahme von Gesundheitsproblemen in der Bevölkerung zu verzeichnen sei. Vielen sei noch nicht klar, welche Auswirkungen die Klimakrise sowohl auf die körperliche als auch die psychische Gesundheit habe. Es sei deshalb sehr gut, dass sich bereits die Hälfte der Krankenhäuser auf den Weg gemacht habe, Nachhaltigkeitsstrategien umzusetzen.
Zwingend sei zudem eine Reform der Notfallversorgung, die einhergehen müsse mit einer Reform des Rettungsdienstes. Der jüngsten Stellungnahme des Sachverständigenrates Gesundheit und Pflege (SVR) zufolge könnten demnach zwischen 12 und 32 Millionen Behandlungstage im Jahr eingespart werden, sagte sie.
Durch eine bessere Patientensteuerung könnten noch einmal 20 Millionen hinzukommen. „Das sind valide Zahlen, die einen Schub in diese Richtung geben können“, erklärte sie. „Das sind aus meiner Sicht die beiden Reformen, die das größte Potenzial für eine effizientere und bessere Versorgung mit sich bringen.“
Notfall- und Rettungsdienstreform müssten parallel auf den Weg gebracht und ihre Finanzierung klar gesetzlich geregelt werden. Um Patienten effektiver zu steuern, brauche es dazu aber auch eine evidenzbasierte, standardisierte und qualitätsgesicherte Leitstellenabfrage.
Als weiteren Punkt brauche es eine verbindliche sektorübergreifende Zusammenarbeit. „Seit 30 Jahren sagen wir das und kommen nicht wirklich weiter“, unterstrich Kappert-Gonther. Dabei müsse man die aus allen Nähten platzenden Praxen auch dadurch entlasten, dass man ihnen nicht primärärztliche Aufgaben, die sie oft mit übernehmen – von Sozialberatung über die Suche nach Pflegediensten bis zu Anträgen an die Krankenkassen – abnimmt.
„Auch hier ist wichtig, dass wir gucken, mit welcher Versorgungsebene, die dafür zuständig ist, besser zu kooperieren“, erklärte sie. „Ich bin der Meinung, dass wir nicht-ärztliche Anlaufstellen in den Quartieren brauchen.“
Eine verbindliche multiprofessionelle Zusammenarbeit zwischen ärztlichen und nicht-ärztlichen müsse zudem ebenfalls in den Fokus genommen werden. Denn es fehle in Deutschland an niedrigschwelligen Angeboten, vor allem in wirtschaftlich schwachen Gegenden.
„Ich meine nicht, dass wir ärztliche und fachärztliche Ressourcen dauerhaft verbrauchen sollten für Aufgaben, die andere besser und einfacher machen können“, sagte Kappert-Gonther. Deutschland sei weltweit Spitze im hochspezialisierten Angebot. „Wo wir noch nicht ausreichend gut sind, ist die Basis.“
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