Schweden: Mehr als 10.000 Infizierte in Gesundheitsberufen

Stockholm – Fast die Hälfte aller bestätigten COVID-19-Fälle in Schweden wurden Mitte Mai bei Krankenhausmitarbeitern festgestellt. Mehr als 10.000 Ärzte und Pflegekräfte wurden in den ersten drei Monaten der Pandemie positiv auf SARS-CoV-2 getestet. Das berichtete gestern die schwedische Zeitung Aftonbladet.
„Die Exposition am Anfang war enorm“, sagte Johan Styrud, Vorsitzender der Ärztekammer der schwedischen Hauptstadt und Chefarzt der Stockholmer Danderyd Klinik. Es habe überall zu wenig Schutzausrüstung gegeben, auch in größeren Krankenhäusern. Kleine Regionen hätten mit großen Staaten auf dem Weltmarkt um Schutzausrüstung konkurrieren müssen, berichtete er.
Das schwedische Gesundheitsamt hätte am 13. März die vorrangige Testung von Klinikmitarbeitern sowie von Patienten bei Aufnahme in ein Krankenhaus empfohlen. Zwei Monate später stammten dann von 20.754 positiven Testergebnissen 10.315 von medizinischem Personal, schreibt die Zeitung unter Berufung auf die Schwedische Gesundheitsbehörde. Der Großteil der Infektionen sei mild verlaufen.
In den darauffolgenden Wochen änderte die schwedische Regierung mehrmals die Richtlinien zum Schutz von Klinikpersonal, erläuterte Styrud. Die Änderungen hätten dabei jedoch nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basiert, kritisierte er. Vielmehr hätte man sich daran orientiert, welche Materialien vor Ort überhaupt verfügbar waren.
Auch sei weiterhin unklar, wie viele Beschäftigte im Gesundheitswesen bislang an oder mit COVID-19 gestorben sind. Die schwedischen Behörden würden Todesfälle jedoch nicht nach Berufsgruppen geordnet erfassen, schreibt die Zeitung weiter.
Es gebe aber Erfahrungsberichte von ärztlichen Kollegen, erklärte Styrud. Er selbst kenne „zwei verstorbene Ärzte aus Stockholm, bei denen die Wahrscheinlichkeit, dass sie sich bei der Arbeit infiziert haben, sehr hoch ist“. Besonders für Beschäftigte in Altenheimen und in der Grundversorgung habe es „schrecklich wenig Schutz“ gegeben, meinte er.
Die Vorsitzende des schwedischen Pflegeverbands, Sineva Ribeiro, erzählte gegenüber der Zeitung von Beispielen, bei denen Mitarbeiter von ihrem Arbeitgeber unter Druck gesetzt wurden, nicht mit Verwandten oder den Medien über die Ausbreitung der Infektionen zu sprechen.
„Wir haben mehrere Diskussionen geführt, in denen versucht wurde, das Personal zum Schweigen zu bringen“, erzählte sie. Dies hätte in einigen Altenheimen zu einer „Kultur der Stille“ geführt, sagte Ribeiro der Zeitung Aftonbladet.
Insgesamt sind laut Johns Hopkins Universität bisher von den rund 75.000 infizierten Schweden knapp mehr als 5.500 mit dem SARS-CoV-2-Virus gestorben. Von Schwedens rund 10,3 Millionen Einwohnern waren damit 0,75 Prozent infiziert. Die Sterblichkeit unter Infizierten lag bei 7,3 Prozent.
Zum Vergleich: In Deutschland waren Mitte Mai rund 20.000 Beschäftigte in Gesundheitseinrichtungen infiziert, wie das Robert-Koch-Institut (RKI) meldete. Jedoch bei einer etwa acht Mal größeren Bevölkerung in Deutschland als in Schweden.
Insgesamt wurden bis zum 15. Mai mehr als 170.000 Menschen in Deutschland positiv getestet. Somit waren zu diesem Zeitpunkt rund 0,2 Prozent der Bevölkerung infiziert. Das RKI verzeichnete damals 7.824 Tode: 4,6 Prozent aller Infizierten.
Nach neuesten RKI-Zahlen sind hierzulande mehr als 24.000 Mitarbeiter in Gesundheitseinrichtungen infiziert, 63 von ihnen sind mittlerweile mit dem Virus gestorben. Eine Erfassung der genauen Berufsgruppen der Infizierten gibt es auch in Deutschland nicht.
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