Politik

Studie: Bürgerversicherung würde Zehntausende Arbeitsplätze kosten

  • Donnerstag, 17. November 2016
Uploaded: 11.02.2015 14:19:10 by mis
/dpa

Berlin – Die SPD hat der Privaten Krankenversicherung (PKV) auch für diese Bundes­tagswahl den Kampf angesagt. SPD, Grüne und Linke wollen sie abschaffen und setzen stattdessen auf eine gesetzliche Bürgerversicherung. Da kommt der PKV eine neue Stu­die aus der Gewerkschaftsecke über den Verlust von Arbeitsplätzen gerade recht.

Die Analyse im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung kommt zum Er­geb­­­nis, dass die Einführung einer Bürgerversicherung zu einem massiven Jobverlust bei der PKV führt. Eine solche von SPD, Grünen und Linken favorisierte gesetzliche Kran­ken­versicherung für alle würde je nach Ausstiegsszenario dazu führen, dass in der PKV zwischen 22.700 und 51.000 Stellen abgebaut werden müssten.

Dieser Abbau entspräche einer Größenordnung von etwa dem Drei- bis Sechsfachen der aktuell bei Tengelmann-Kaiser bedrohten Belegschaft, heißt es in der Studie. Dort mussten nach Gewerkschafts-Angaben zeitweise 8.000 der 15.000 Mitarbeiter mit Ent­lassung rechnen. Die Studie geht von etwa 68.000 Beschäftigten (2014) im Bereich der PKV aus. Die Verluste lägen also zwischen knapp einen Drittel und rund drei Vierteln der Jobs bei den privaten Krankenversicherern.

In der PKV sind rund neun Millionen Menschen versichert. Der PKV-Verband wies wieder­­­holt darauf hin, das jeder Euro in der PKV weitere 2,10 Euro an zusätzlicher Bruttowert­schöpfung in anderen Unternehmen bewirke. Und mit jedem einzelnen Arbeitsplatz seien weitere 4,6 Arbeitsplätze verbunden.

Im Wahljahr 2017 muss sich die PKV wieder auf Angriffe aus SPD und Opposition ein­stellen. Der SPD-Fraktionsvize Karl Lauterbach kündigte bereits an, dass für seine Partei die „paritätische Bürgerversicherung“ ein Riesenthema werde. Damit strebt die SPD eine gesetzliche Krankenversicherung für alle Bürger an und die Abschaffung der privaten.

Ähnlich wollen die Grünen eine Krankenversicherung von allen für alle. Ihre Bürger­ver­sicherung bezieht alle Bürger in die Solidargemeinschaft ein – auch gut verdienende An­gestellte, Selbstständige, Abgeordnete und Beamte. Zur Finanzierung werden alle Ein­kommen herangezogen – neben den Löhnen, Gehältern und Renten auch die Ein­kom­men aus Vermietung und Verpachtung sowie Gewinne.

Auch nach den Vorstellungen der Linken zahlen bei einer Bürgerversicherung alle in ei­ne Kasse ein, egal ob Hartz-IV-Empfängerin, Postbote, Manager oder Lehrerin. Berück­sichtigt werden auch nicht nur Arbeitseinkommen, sondern auch Einkommen aus Ver­mögen und Grund- und Hausbesitz.

Sozialdemokraten, Grüne und Linke gehen davon aus, auf diese Weise die nach ihrer Meinung in Deutschland vorherrschende Zwei-Klassen-Medizin überwinden zu können. Eine ähnliche Studie, die 2013 im Auftrag der Gewerkschaft Verdi erstellt wurde, hatte nach Angaben der Frankfurter Allgemeinen Zeitung von damals ein noch deutlicheres Ergebnis und sorgte im Gewerkschaftslager für großes Aufsehen.

Der CDU-Bundestagsabgeordnete Thomas Stritzl hat unterdessen SPD-Chef Sigmar Gabriel aufgefordert, die Debatte um eine Bürgerversicherung in seiner Partei zu stoppen. „Die SPD verheimlicht bis zum heutigen Tag, was die Bürgerversicherung wirklich bringen soll und wo die tatsächlichen, nachhaltigen Verbesserungen liegen“, sagte er.

Wenn eine Umwandlung in eine Bürgerversicherung Zigtausende von Arbeits­plätzen vernichte, sei der Zeitpunkt gekommen, „wo Herr Gabriel eingreifen muss und sagen muss, dieser Unfug findet nicht mehr statt“. Wenn der Wirtschaftsminister seine Glaubwürdigkeit in dieser Frage behalten wolle, müsse er auch in dieser Frage gleiches Maß halten wie im Fall Tengelmann.

Der CDU-Politiker argumentierte weiter, eine Aufhebung des dualen Systems im deut­schen Gesundheitssystem und die Einführung einer Bürgerversicherung „führt nicht nur zu mehr Arbeitslosigkeit, es wird im Ergebnis auch zu einer schlechteren Gesund­heits­versorgung der Menschen führen, wie alle Einheitssysteme in anderen Ländern zeigen“.

Die PKV betonte, die Bürgerversicherung würde nicht nur zehntausende Arbeitsplätze zerstören, überdies seien in dem Gutachten nur Arbeitsplätze innerhalb der PKV be­rück­sichtigt worden. Weitere zehntausende ebenfalls bedrohte Arbeitsplätze in unmittelbar an­gren­zenden Bereichen seien ausdrücklich nicht mitgezählt worden, etwa bei Ärzten oder Physiotherapeuten und Hebammen. „Sie alle würden bei einem Wegfall der PKV massiv geschwächt. Viele Praxen müssten sogar schließen – den Schaden hätten alle Patien­ten, egal wie sie krankenversichert sind“, sagte Volker Leienbach, Direktor des Ver­ban­des der Privaten Krankenversicherung.

Linke: Bürgerversicherung schafft Arbeitsplätze
Die Linke verweist angesichts der Studie auf eigene Erhebungen. „Schon 2011 haben wir die Folgen für die Arbeitsplätze in einer umfassenden ökonometrischen Studie durch­rechnen lassen“, sagte Harald Weinberg, Sprecher der Fraktion Die Linke für Kranken­hauspolitik und Gesundheitsökonomie. Die sei zu einem ganz anderen Ergebnis gekom­men: Weil die Bürgerversicherung starke Entlastungen bei den unteren und mittleren Ein­kommen und damit eine massive Steigerung der Binnennachfrage bewirke, würden über eine Million neue Arbeitsplätze entstehen, erklärte er.

„Was nun die Lobby der Versicherungskonzerne und die CDU durch die Medien treiben, ist kein Skandal, sondern banal. Natürlich fallen Arbeitsplätze in der privaten Kranken­ver­sicherung weg, wenn man sie abschafft. Das haben wir nie verschwiegen“, so Wein­berg. Man müsse sich aber als verantwortlicher Politiker die Frage stellen, ob die Kran­ken­versicherungsbeiträge in hohen Provisionszahlungen an Versicherungsver­käu­fer und der teuren Verwaltung der privaten Versicherungen wirklich gut angelegt seien – oder ob man diese Gelder nicht lieber dort einsetzen sollte, wo sie Patienten nutzten.

dpa/may

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