Ärzteschaft

Vertragsärzte erhalten Plus von 1,7 Milliarden Euro für die ambulante Versorgung

  • Montag, 16. September 2024
/ronstik, stock.adobe.com
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Berlin – In dritter Runde habe sich Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und GKV-Spitzenverband heute in den Honorarverhandlungen für das kommende Jahr auf eine Erhöhung des Orientierungswertes (OW) um 3,85 Pro­zent geeinigt. Damit liegt der OW im Jahr 2025 bei 12,3934 Cent.

Der Orientierungswert bestimmt die Preise für ärztliche und psychotherapeutische Leistungen. Damit fließen für 2025 zusätz­lich etwa 1,7 Milliarden Euro in die ambulante Versorgung. Insgesamt werden die Krankenkassen für die ärztli­che Behandlung ihrer Versicherten in der ambulanten Versorgung im Jahr 2025 voraussichtlich rund 49 Milliarden Euro ausgeben.

Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), betonte, die Einigung sei „kein Grund zum Jubeln“. Die Erhöhung werde von „vielen als unzureichend empfunden werden“, sei aber ein deutliches Signal in Richtung von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD).

Gassen betonte, ohne die Niedergelassenen in den Praxen sei eine gute Gesundheitsversorgung unmöglich. Das würden auch die Krankenkassen erkennen, die durch die milliardenschweren und vom Bundesgesundheits­minis­ter einseitig forcierten Milliardensubventionen für die Krankenhäuser belastet würden.

Mit der Honorarerhöhung reagiere man auf die aktuelle Ausgabensituation in den Arztpraxen und berücksich­tige auch die äußerst angespannte Finanzsituation der Krankenkassen, sagte Stefanie Stoff-Ahnis, stellver­tre­tende Vorstandsvorsitzende GKV-Spitzenverbands. Damit die Versicherten ambulant gut versorgt würden, müssten aber auch Inflation und Fachkräftemangel in Arztpraxen finanziell ausgeglichen werden.

Verständigen konnten sich KBV und Krankenkassen auch darauf, dass die Tarifverträge der Medizinischen Fach­angestellten (MFA) künftig regelhaft auf Basis der aktuellen Abschlüsse in den Honorarabschlüssen berücksich­tigt werden sollen, um Arztpraxen in der angespannten Personalsituation zeitnah zu entlasten.

In einer ersten Reaktion hieß es vom Spitzenverband der Fachärzte (Spifa), die Steigerung von 3,85 Prozent decke den wirklichen Bedarf der Praxen bei Weitem nicht ab. „In Zeiten, in denen sich Versorgung ohnehin immer schwerer flächendeckend oder wohnortnah organisieren lässt, werden mit solchen Honorarabschlüssen die niedergelas­se­nen Strukturen weiter geschwächt“, befindet Spifa-Chef Dirk Heinrich. Die strukturellen Veränderungen bei der künftigen Ermittlung des Orientierungswertes in Bezug auf die MFA bewertet er positiv.

Der Hartmannbund hat die erzielte Verständigung als „am Ende insgesamt enttäuschend“ bezeichnet. „Natürlich können wir angesichts der Situation in den Praxen damit nicht wirklich zufrieden sein, weil diese Steigerung nicht dem tatsächlichen Bedarf gerecht wird“, hieß es in einer Erklärung des Verbandes.

Wenn man dem Ganzen etwas Positives abgewinnen wolle, dann vielleicht, dass die gemeinsame Selbstverw­altung diesmal ohne Schiedsspruch ausgekommen sei. Der Hartmannbund bekräftigte die Forderung, dass die künftigen Verhandlungen zum Orientierungswert nicht mehr auf Grundlage einer retrospektiven Betrachtung durchgeführt werden, sondern ein prospektives Verfahren zur Berechnung der Veränderungsrate entwickelt wird.

„Dieses Ergebnis ist weit davon entfernt, uns Ärztinnen und Ärzte zufrieden zu stellen“, betonte der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin. „Mit einer Erhöhung um 3,85 Prozent bleibt das Ergebnis weit unter unseren Erwartungen. Die jetzigen Regelungen sind in keinster Weise geeignet, die Realität und die Kosten­steigerungen in den Praxen widerzuspiegeln.“

„Eine Einigung weit unter den Erwartungen der Kolleginnen und Kollegen zeigt wieder einmal, dass die Hono­rie­rungssystematik des EBM als Ganzes reformbedürftig ist“, betonte Michael Hubmann, Präsident des Bundes­verbands der Kinder- und Jugendärzt*innen (BVKJ). Es müsse für die Zukunft gelingen, die Dysfunktionalitäten, die der Patientenversorgung entgegenlaufen, aus dem Honorarsystem zu beseitigen.

„Das ist enttäuschend“, sagte Andreas Bartels, stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der KV Rheinland-Pfalz. Er kenne keine Praxis, deren Ausgabenentwicklung unter acht Prozent liege. „Ganz im Gegenteil: Viele Praxen verzeichnen hier sogar zweistellige Zuwächse. Da erscheinen 3,85 Prozent wie Hohn und Spott für die ambulante Ärzte- und Psychotherapeutenschaft.“

„Der Abschluss ist extrem enttäuschend und wird die ambulante Versorgung weiter schwächen“, sagte Bettina Schultz, die Vorstandsvorsitzende der KV Schleswig-Holstein. Der KVSH-Vorstand forderte eine grundsätzliche Reform der Berechnung der ärztlichen und psychotherapeutischen Honorare.

Um zu einer wirklichen Besserstellung der ambulanten Versorgung zu kommen, müssten spätestens jetzt die lebenserhaltenden Maßnahmen für viele unrentable und nicht versorgungsrelevante Kliniken eingestellt und die Krankenversicherungen von versicherungsfremden Leistungen befreit werden, hieß es aus der KV Hessen.

Man benötige „dringend eine Veränderung der Systematik“, sagten die KV-Vorstände Frank Dastych und Armin Beck. „Denjenigen, die sich nun mit ihrer rituellen, wohlfeilen Kritik an der KBV mal wieder zu Wort melden, muss man leider sagen: Die Systematik dieser Finanzierungsverhandlungen, die diese Personen zumindest theoretisch kennen sollten und die eigentlich eher einer Festlegung gleichen, gibt keinen Spielraum für höhere Ergebnisse.“

„Der diesjährige Honorarabschluss ist ein Schritt in die richtige Richtung – allerdings ist der Weg hin zu einer gerechten und ausgewogenen Finanzierung des ambulanten Gesundheitssystems noch lang“, sagte Dirk Spel­meyer, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. Das Ergebnis führe sicherlich nicht zu Freudensprüngen in den Praxen. Klar sollte aber mit Blick auf die kommenden Jahre auch sein, dass solche Verhandlungen nicht als Sprint, sondern eher als Marathon zu verstehen seien.

„Die Verhandlungspartner haben einen guten Ausgleich zwischen den Interessen der Beteiligten erreicht“, sagte hingegen die Vorstandsvorsitzendes des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann. Das sei alles andere als selbst­verständlich angesichts einer Gesundheitspolitik, die ihre Versprechen zur Entlastung der gesetzlichen Kranken­versicherung von versicherungsfremden Ausgaben nicht umsetze und einfach zuschaue, wie sich die Finanzlage der GKV weiter zuspitze.

may/EB

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