Viele Städte überschritten Stickoxidgrenzwert auch 2018

Berlin – Die Luftverschmutzung durch Dieselabgase bleibt in vielen deutschen Städten höher als erlaubt. In mindestens 35 Städten wurde der EU-Grenzwert für gesundheitsschädliches Stickstoffdioxid (NO2) im vergangenen Jahr überschritten, wie das Umweltbundesamt (UBA) nach neuen Daten heute bilanzierte.
Für 28 der 65 Städte, die 2017 über dem Grenzwert lagen, sind noch nicht alle Zahlen für 2018 vorhanden. Umweltschützer, Grüne und Linke forderten von der Bundesregierung deutlich stärkeres Gegensteuern für sauberere Luft.
Die höchste Belastung hatten Stuttgart mit 71 Mikrogramm NO2 pro Kubikmeter Luft und München mit 66 Mikrogramm. Zwei Städte, die 2017 noch knapp im grünen Bereich lagen, überschritten 2018 den erlaubten Wert von 40 Mikrogramm: In Leipzig und Koblenz wurden 42 Mikrogramm NO2 gemessen. Dagegen hielten vier Städte, die 2017 Überschreitungen verzeichneten, den Grenzwert nun ein: Regensburg, Ludwigshafen, Solingen und Halle (Saale).
Insgesamt nahm die NO2-Verschmutzung im vergangenen Jahr leicht ab – im Mittel der verkehrsnahen Messstationen um etwa zwei Mikrogramm pro Kubikmeter. Gab es 2017 an 45 Prozent dieser Stationen zu hohe Werte, waren es 2018 nach einer UBA-Hochrechnung 39 Prozent.
UBA: Es helfen nur saubere Diesel-Pkw
UBA-Präsidentin Maria Krautzberger sagte, dass der seit 2010 verbindliche Grenzwert immer noch in vielen Städten überschritten werde, gefährde die Gesundheit dort lebender Menschen. Hauptquelle sei der Straßenverkehr, vor allem Diesel-Pkw mit zu hohen Emissionen. „Mit den derzeitigen Maßnahmen dauert es einfach zu lange, bis wir überall saubere Luft haben.“ Krautzberger forderte erneut Hardwarenachrüstungen mit Katalysatoren auf Kosten der Autobauer. „Nur saubere Autos bieten Sicherheit vor drohenden Fahrverboten.“
Gründe für den generellen Rückgang der städtischen NO2-Belastungen sind laut UBA Tempolimits, Verkehrsbeschränkungen, mehr neue Autos, Softwareupdates zur besseren Abgasreinigung bei älteren Diesel, aber auch das Wetter. Was wie viel zur Minderung beigetragen hat, lässt sich dem Amt zufolge allein anhand der Messdaten nicht bestimmen.
NO2 in Städten stammt zu einem großen Teil aus Dieselabgasen. Damit werden auch erste Fahrverbote in Städten begründet. In Hamburg wurden schon im vergangenen Jahr Straßenabschnitte für ältere Diesel gesperrt, in Stuttgart sind sie seit dem Jahreswechsel aus dem ganzen Stadtgebiet verbannt.
Weitere Städte – darunter Frankfurt, Berlin und Köln – sollen in diesem Jahr folgen. Die Deutsche Umwelthilfe hatte die Einschränkungen vor Gericht erzwungen. Geschäftsführer Jürgen Resch sagte, Überschreitungen der Grenzwerte auch im neuen Jahr zeigten überdeutlich, dass die bisherigen Maßnahmen nicht reichten.
Grünen-Fraktionsvize Oliver Krischer sagte, die Zahlen bedeuteten leider keine echte Trendwende. Bedenklich sei auch, dass neue Städte bei Überschreitungen hinzukommen. Linke-Verkehrspolitikerin Ingrid Remmers sagte, die derzeitigen Maßnahmen verringerten die Belastung nur im Schneckentempo.
„Die Regierung muss endlich ihre schützenden Hände von der Autoindustrie nehmen und für Hardwarenachrüstungen sorgen.“ FDP-Experte Oliver Luksic sagte dagegen: „Die Luft war noch nie so sauber.“ Er kritisierte die Messverfahren. „Im Süden und im Osten Europas gibt es nicht so viele Überschreitungen und Dieselfahrverbote, da wir näher am Auspuff messen.“
Scheuer will weiter Grenzwerte prüfen
Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) dringt bei der EU weiter auf eine Überprüfung der Grenzwerte. Zur Gewährleistung der Mobilität sei es „dringend erforderlich“, dass sich die Kommission „aktuell und auf geeignete Weise mit den vorgebrachten Zweifeln auseinandersetzt und eine Neubewertung der Grenzwerte prüft“, heißt es in einem Brief Scheuers an EU-Verkehrskommissarin Violeta Bulc.
Er verweist darin darauf, dass sich in der deutschen Ärzteschaft „Stimmen mehren“, die die wissenschaftliche Herleitung des Grenzwerts infrage stellten. Auch vom Bundesgesundheitsministerium würden „die vorgebrachten Zweifel als ernstzunehmend eingeschätzt“. Die Bundesregierung versucht, mit Förderprogrammen und Nachbesserungen älterer Dieselautos der NO2-Belastung gegenzusteuern. Zudem sollen Autobesitzer mit Prämien zum Kauf saubererer Wagen bewegt werden.
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sprach sich heute für eine Versachlichung der Debatte über Stickoxid-Grenzwerte aus. Er halte es für richtig, dass die Nationale Akademie Leopoldina gebeten worden sei, die wissenschaftlichen Erkenntnisse zu diesem Thema zusammenzustellen. „Das sollten wir abwarten“, sagte er der Rheinischen Post. Klar sei aber: „Egal, wo wir die Stickoxid-Grenze definieren – das ist immer eine politische Entscheidung.“ Dies gelte auch dafür, wo Messstellen stehen. „Es wird jedenfalls nie so sein, dass man sagen kann: Unterhalb dieser Grenze ist das völlig gesund, und erst oberhalb schädlich. Die Frage ist nur, was wir auf Grundlage wissenschaftlicher Expertise für tolerabel halten.“
Kein Grund zur Entwarnung
Das Umweltbundesamt bekommt die Daten von den Umweltbehörden der Länder geliefert. Die Bilanz beruht auf Zahlen der Messstationen, die automatisch und stündlich Werte liefern. Im Mai kommen laut UBA die Werte sogenannter Passivsammler dazu, die noch ausgewertet werden. Die Kommunen betreiben auch noch eigene Messstationen, die aber für die EU-Richtlinie zu Luftschadstoffen nicht relevant sind.
Bei Feinstaub (PM10) wurden die Grenzwerte laut UBA 2018 erstmals seit 2005 in keinem Ballungsraum mehr überschritten. An 35 Tagen im Jahr darf die Belastung über 50 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft liegen. Nur eine industrienahe Messstation bei Lünen (NRW) maß an 36 Tagen höhere Werte.
Für das UBA ist das aber kein Grund zur Entwarnung, da die Weltgesundheitsorganisation WHO einen Wert von 20 Mikrogramm empfiehlt. Angestiegen ist die Konzentration von Ozon. Im Rekordsommer 2018 wurde laut UBA das Langfristziel zum Schutz der Gesundheit – nämlich höchstens 120 Mikrogramm pro Kubikmeter im Mittel über acht Stunden – an allen 265 Messstationen überschritten.
Diskutieren Sie mit
Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.
Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.
Diskutieren Sie mit: