Wie Krankenhäuser auf die Pflegepersonaluntergrenzen reagieren

Berlin – Die Pflegepersonaluntergrenzen können derzeit nur zulasten von Mitarbeitern und Patienten effektiv umgesetzt werden. Das hat die Pflegedirektorin des Alexianer Clemenshospitals Münster, Beate Mens, heute auf dem Hauptstadtkongress in Berlin betont.
Die Pflegepersonaluntergrenzen gelten seit Januar dieses Jahres in den Abteilungen Intensivmedizin, Geriatrie, Kardiologie und Unfallchirurgie. Sie schreiben eine Mindestzahl an Pflegekräften pro Patient vor. In der Intensivmedizin darf eine Pflegekraft in der Tagschicht zum Beispiel nicht mehr als 2,5 Patienten betreuen.
Sie habe schon davon gehört, dass es in Krankenhäusern Verlegungen von Patienten gebe, um die ab Mitternacht geltenden Grenzwerte einzuhalten, sagte Mens. Und auch Pflegekräfte würden zwischen den Stationen verschoben.
„Wir können aber nicht einfach Pflegende von A nach B versetzen“, meinte sie. „Pflege ist schließlich eine Teamarbeit. Außerdem wollen wir als Arbeitgeber attraktiv sein und die Pflegekräfte an uns binden.“ Das werde aber nicht gelingen, wenn man so mit ihnen umgehe.
Krankenhäuser sperren Intensivbetten
Der Präsident der Krankenhausgesellschaft Nordrhein-Westfalen, Jochen Brink, berichtete von Bettensperrungen vor allem in der Intensivmedizin, zu denen es infolge der Untergrenzen komme. „Manche Krankenhäuser sperren Intensivbetten, weil sie sonst die Grenzwerte nicht einhalten können“, sagte Brink.
„Im Einzelfall muss dann aber der Mitarbeiter die Entscheidung, treffen, ob ein Notfallpatient abgelehnt wird oder nicht. Derzeit hören wir, dass sich die Mitarbeiter verantwortungsbewusst verhalten und im Zweifel die Patienten annehmen, auch, wenn dann die Pflegepersonaluntergrenzen nicht eingehalten werden.“
In den ersten drei Monaten des Jahres galten noch keine Sanktionen für Krankenhäuser, die die Grenzwerte nicht einhalten konnten. Seit April ist das anders. „Die Sanktionen, die man zahlen muss, wenn man die Untergrenzen nicht einhält, sind nicht unerheblich“, sagte Mens. „Ich glaube, dass die Pflegepersonaluntergrenzen Krankenhäuser bis an ihre Existenzgrenzen bringen können.“
Pflegepersonaluntergrenzen weiterentwickeln
Brink erklärte, dass in der kommenden Woche die Zahlen darüber vorlägen, in welchem Ausmaß die Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen die Pflegepersonaluntergrenzen nicht eingehalten haben. „Wir werden uns die Zahlen dann sachlich anschauen“, sagte er.
In jedem Fall geschehe derzeit viel in den Krankenhäusern aufgrund der neuen Vorgaben. Eine weitere Regelung sehe vor, dass in einer Abteilung dann die Grenzwerte gelten, wenn mindestens 40 Prozent der dort liegenden Patienten einer der vier betroffenen Bereiche zugeordnet werden können.
„Da wird dann schon darauf geachtet, ob sich die entsprechenden Patientenzahlen der 40 Prozent annähern“, sagte Brink. „Und wenn sie sich annähern, wird geschaut, dass nicht noch mehr Patienten aus dem Bereich in die Abteilung verlegt werden.“
Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung, Andreas Westerfellhaus, betonte, dass es sich bei den heute geltenden Pflegepersonaluntergrenzen nur um einen ersten Schritt handle.
Er kündigte an, dass am 4. Juni die Ergebnisse der „Konzertierten Aktion Pflege“ vorlägen, mit dem drei Bundesminister zusammen mit zahlreichen Experten im vergangenen Jahr Maßnahmen gegen den Pflegemangel diskutiert haben. In diesem Zusammenhang sei vorgesehen, die Pflegepersonaluntergrenzen zu einem Pflegepersonalbemessungsverfahren weiterzuentwickeln, erklärte er.
Auch Jochen Brink sprach sich für ein solches Vorgehen aus: „Derzeit beobachten wir eine gewisse Vermischung zwischen einer angemessenen Pflegepersonalausstattung und den Untergrenzen als roter Linie. Intern fällt es manchmal schwer, das auseinanderzuhalten. Man spricht von Pflegepersonaluntergrenzen, meint aber eigentlich eine bedarfsgerechte Pflegeausstattung.“
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft, der Deutsche Pflegerat und die Gewerkschaft Verdi haben bereits angekündigt, gemeinsam ein Pflegepersonalbemessungsinstrument entwickeln zu wollen. „Wir brauchen ein pragmatisches und praxisorientiertes System, das auch die notwendige Flexibilität liefert, um eine Gesamtpersonalausstattung im Krankenhaus zu steuern“, sagte Brink.
„Wir erleben ein extrem aggressives Verhalten der Krankenkassen“
Die Pflegepersonaluntergrenzen gehören zu einem Maßnahmenpaket, mit dem die Bundesregierung den Pflegemangel im Krankenhaus beheben und die Bedeutung der Pflege stärken will. Dazu zählt auch die Vorgabe, dass alle Pflegestellen im Krankenhaus vollständig von den Krankenkassen refinanziert werden sollen.
Die Geschäftsführerin für den Bereich Finanzen und Infrastruktur des Klinikums Region Hannover, Barbara Schulte, kritisierte auf dem Hauptstadtkongress, dass diese Gelder nicht vollständig bei den Krankenhäusern ankämen.
„Wir erleben derzeit ein extrem aggressives Verhalten der Krankenkassen bei der Refinanzierung der Personalkosten in den Budgetverhandlungen, zum Beispiel in den Bereichen Durchschnittsgehälter, Zahlung von Poolmitarbeitern oder von Mitarbeitern, die über Zeitarbeitsfirmen vermittelt wurden“, sagte sie. „Dabei handelt es sich um examinierte Pflegekräfte, die die Kassen aber nicht finanzieren wollen.“
Auch Westerfellhaus kritisierte das Verhalten der Krankenkassen: Es könne nicht sein, dass der Gesetzgeber etwas vorgebe, aber sich die Krankenkassen nicht danach richteten. Da werde die Politik noch einmal nachjustieren.
In 28 Jahren noch nicht erlebt
Trotz der Kritik im Einzelnen lobte Beate Mens vom Clemenshospital Münster, dass die Politik sich den Problemen der Pflege annehme. „Die Pflege erfährt endlich mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung“, sagte sie. „Ich bin seit 28 Jahren im Beruf und habe so etwas noch nicht erlebt.“ In die Pflege komme Bewegung. Man müsse nun aber die Krankenhäuser mitnehmen und schauen, was diese dazu beisteuern könnten, um eine gute Pflegequalität umzusetzen.
„Wir haben im Moment die Riesenchance, dass die Pflege im Bewusstsein vieler Menschen ankommt“, sagte auch Jochen Brink. Man müsse nun jedoch aufpassen, dass nicht durch zu viele technische Vorgaben die eigentliche Intention, mehr für die Pflege und für die Patienten zu tun, überlagert werde.
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