Arztinformationssystem: Spagat zwischen Nutzen- und Wirtschaftlichkeitsbewertung

Berlin – Ärztinnen und Ärzte sollen durch umfassende Informationen über den Zusatznutzen neuer Arzneimittel, die in der Verordnungssoftware hinterlegt ist, in ihrer Therapieentscheidung unterstützt werden. So umriss Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium, am vergangenen Mittwoch das Ziel des geplanten Arztinformationssystems (AIS) bei einer Fachveranstaltung des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim.
Das AIS ist Teil des Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes, dem der Bundestag bereits zugestimmt hat und das Ende des Monats den Bundesrat passieren soll. Das Thema AIS habe den sogenannten Pharmadialog von Politik und Pharmaindustrie vom ersten Tag an begleitet, sagte Stroppe. Die Gespräche hätten zum einen darauf gezielt, die Innovationskraft des Standorts Deutschland zu stärken. Zum anderen sollte aber auch die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens erhalten bleiben. „Das erzeugt einen gewissen Spannungsbogen“, erklärte der Staatssekretär.
Den sieht er auch beim AIS. Das System könne unter anderem Hinweise geben, wie Arzneimittel am besten eingesetzt würden, sodass das Gesundheitssystem nicht überfordert werde. Das solle jedoch nicht dazu führen, die Therapiefreiheit der Ärzte einzuschränken, betonte Stroppe. Auch Arzneimittel, denen der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) keinen Zusatznutzen zuerkannt habe, könnten für bestimmte Patientengruppen eine Alternative darstellen. „Auch das muss den Ärzten vermittelt werden“, forderte er.
Noch in diesem Jahr soll es dem Staatssekretär zufolge eine Rechtsverordnung geben, die die Einzelheiten des Arztinformationssystems regelt. Die Kritik unter anderem vonseiten der Ärzteschaft, das AIS solle der wirtschaftlichen Verordnungssteuerung dienen, ließ Stroppe nicht gelten. „Genau dieses wollen wir nicht“, sagte er. „Wir wollen Therapiemöglichkeiten schaffen. Aber der Arzt muss über Preise und Wirtschaftlichkeit Bescheid wissen, um eine informierte Entscheidung treffen zu können.“
Nutzenbewertung hat kaum Einfluss auf die Versorgung
„Wir wollen die individuelle Entscheidung des Arztes durch evidenzbasierte Informationen unterstützen“, erklärte Thomas Müller, Leiter der Abteilung Arzneimittel beim G-BA. Noch hätten jedoch die Beschlüsse des Gremiums kaum Einfluss auf die Versorgung. Dessen Beschlüsse zur Nutzenbewertung sowie die Tragenden Gründe für die Bewertung seien weitgehend für Insider geschrieben und nicht geeignet, das Beratungsgespräch zwischen Arzt und Patient zu unterstützen. „Wir müssen die Inhalte anders verpacken“, sagte Müller. „Die Kommunikation darf nicht Interessengruppen überlassen werden.“
Der G-BA-Abteilungsleiter betonte jedoch auch, dass man aufgrund des medizinischen Fortschritts nicht mehr umhinkomme, die Nutzenbewertung auf bestimmte Subgruppen von Patienten herunterzubrechen, was sich wiederum auf die Wirtschaftlichkeit einer Verordnung auswirke. „Ein Arzt muss nach dem SGB V immer prüfen, ob es eine wirtschaftlichere Therapie gibt“, sagte Müller. Daran ändere auch das jüngste Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg nichts.
Dieses hatte entschieden, dass Ärzte vom Erstattungsbetrag, den Pharmaunternehmen und Krankenkassen ausgehandelt haben, nicht auf die Wirtschaftlichkeit in allen Anwendungsbereichen des Arzneimittels schließen dürfen. Wenn die Kassenärztliche Bundesvereinigung versuche, die Ärzte aus dieser Art der Wirtschaftlichkeitsverantwortung auszunehmen, „bekommen wir irgendwann eine Positivliste“, warnte Müller.
Aufgrund der Fülle von Entwicklungen in der Arzneimitteltherapie sei es auch für Experten inzwischen schwierig, auf dem neuesten Stand zu bleiben, erklärte Bernhard Wörmann, Medizinischer Leiter des Hauptstadtbüros der Deutschen Gesellschaft für Hämatologie und Medizinischen Onkologie (DGHO). Die Erstellung von Leitlinien dauere in der Regel drei bis vier Jahre. Bei Arzneimitteln sei man damit nicht mehr aktuell. Die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften habe deshalb eine eigene Kommission zur Nutzenbewertung eingesetzt (www.onkopedia.com).
Beschlüsse müssten verständlich sein und die Vergleichstherapie, die Evidenz sowie aktuelle Daten abbilden, forderte der Onkologe. Bewerte der G-BA beispielsweise den Zusatznutzen eines neuen Arzneimittels mit „nicht belegt“, heiße das nicht automatisch, dass das betreffende Medikament keinen Zusatznutzen habe. Dass ähnlich gut wirksame Präparate in manchen Fällen unterschiedlich bewertet würden, könne beispielsweise an einer veränderten Vergleichstherapie liegen, weil eines der Präparate später auf den Markt gekommen sei. Wörmann setzte sich aus diesem Grund für eine Befristung der G-BA-Beschlüsse ein, um Bewertungen jeweils an die aktuelle Studienlage anpassen zu können.
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