Politik

Arztinformations­system: Spagat zwischen Nutzen- und Wirtschaftlichkeits­bewertung

  • Montag, 27. März 2017
/dalaprod, stock.adobe.com
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Berlin – Ärztinnen und Ärzte sollen durch umfassende Informationen über den Zusatz­nut­zen neuer Arzneimittel, die in der Verordnungssoftware hinterlegt ist, in ihrer Therapie­ent­schei­dung unterstützt werden. So umriss Lutz Stroppe, Staatssekretär im Bundes­ge­sundheitsministerium, am vergangenen Mittwoch das Ziel des geplanten Arztinforma­ti­ons­systems (AIS) bei einer Fachveranstaltung des Pharmaunternehmens Boehringer Ingelheim.

Das AIS ist Teil des Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetzes, dem der Bundestag be­reits zugestimmt hat und das Ende des Monats den Bundesrat passieren soll. Das The­ma AIS habe den sogenannten Pharmadialog von Politik und Pharmaindustrie vom ers­ten Tag an begleitet, sagte Stroppe. Die Gespräche hätten zum einen darauf gezielt, die Innovationskraft des Standorts Deutschland zu stärken. Zum anderen sollte aber auch die Finanzierbarkeit des Gesundheitswesens erhalten bleiben. „Das erzeugt einen ge­wissen Spannungsbogen“, erklärte der Staatssekretär.

Den sieht er auch beim AIS. Das System könne unter anderem Hinweise geben, wie Arz­neimittel am besten eingesetzt würden, sodass das Gesundheitssystem nicht überfordert werde. Das solle jedoch nicht dazu führen, die Therapiefreiheit der Ärzte einzuschrän­ken, betonte Stroppe. Auch Arzneimittel, denen der Gemeinsame Bundes­ausschuss (G-BA) keinen Zusatznutzen zuerkannt habe, könnten für bestimmte Patientengruppen eine Alternative darstellen. „Auch das muss den Ärzten vermittelt werden“, forderte er.

Noch in diesem Jahr soll es dem Staatssekretär zufolge eine Rechtsverordnung geben, die die Einzelheiten des Arztinformationssystems regelt. Die Kritik unter anderem vonsei­ten der Ärzteschaft, das AIS solle der wirtschaftlichen Verordnungssteuerung dienen, ließ Stroppe nicht gelten. „Genau dieses wollen wir nicht“, sagte er. „Wir wollen Therapiemög­lich­keiten schaffen. Aber der Arzt muss über Preise und Wirtschaftlichkeit Bescheid wissen, um eine informierte Entscheidung treffen zu können.“

Nutzenbewertung hat kaum Einfluss auf die Versorgung

„Wir wollen die individuelle Entscheidung des Arztes durch evidenzbasierte Informa­tionen unterstützen“, erklärte Thomas Müller, Leiter der Abteilung Arzneimittel beim G-BA. Noch hätten jedoch die Beschlüsse des Gremiums kaum Einfluss auf die Versor­gung. Dessen Beschlüsse zur Nutzenbewertung sowie die Tragenden Gründe für die Bewertung seien weitgehend für Insider geschrieben und nicht geeignet, das Beratungsgespräch zwi­schen Arzt und Patient zu unterstützen. „Wir müssen die Inhalte anders verpacken“, sagte Müller. „Die Kommunikation darf nicht Interessengruppen überlassen werden.“

Der G-BA-Abteilungsleiter betonte jedoch auch, dass man aufgrund des medizinischen Fortschritts nicht mehr umhinkomme, die Nutzenbewertung auf bestimmte Subgruppen von Patienten herunterzubrechen, was sich wiederum auf die Wirtschaftlichkeit einer Ver­ordnung auswirke. „Ein Arzt muss nach dem SGB V immer prüfen, ob es eine wirtschaftli­chere Therapie gibt“, sagte Müller. Daran ändere auch das jüngste Urteil des Landesso­zial­gerichts Berlin-Brandenburg nichts.

Dieses hatte entschieden, dass Ärzte vom Er­stattungs­betrag, den Pharmaunternehmen und Krankenkassen ausgehandelt haben, nicht auf die Wirtschaftlichkeit in allen Anwen­dungsbereichen des Arzneimittels schließen dürfen. Wenn die Kassenärztliche Bundes­vereinigung versuche, die Ärzte aus dieser Art der Wirtschaftlichkeitsver­antwor­tung aus­zunehmen, „bekommen wir irgendwann eine Positivliste“, warnte Müller.

Aufgrund der Fülle von Entwicklungen in der Arzneimitteltherapie sei es auch für Exper­ten inzwischen schwierig, auf dem neuesten Stand zu bleiben, erklärte Bernhard Wör­mann, Medizinischer Leiter des Hauptstadtbüros der Deutschen Gesellschaft für Häma­to­logie und Medizinischen Onkologie (DGHO). Die Erstellung von Leitlinien dauere in der Re­gel drei bis vier Jahre. Bei Arzneimitteln sei man damit nicht mehr aktuell. Die Arbeits­gemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften habe deshalb eine eigene Kommission zur Nutzenbewertung eingesetzt (www.onkopedia.com).

Beschlüsse müssten verständlich sein und die Vergleichstherapie, die Evidenz sowie ak­tu­elle Daten abbilden, forderte der Onkologe. Bewerte der G-BA beispielsweise den Zu­satz­nutzen eines neuen Arzneimittels mit „nicht belegt“, heiße das nicht automatisch, dass das betreffende Medikament keinen Zusatznutzen habe. Dass ähnlich gut wirksame Präparate in manchen Fällen unterschiedlich bewertet würden, könne beispielsweise an einer veränderten Vergleichstherapie liegen, weil eines der Präparate später auf den Markt gekommen sei. Wörmann setzte sich aus diesem Grund für eine Befristung der G-BA-Beschlüsse ein, um Bewertungen jeweils an die aktuelle Studienlage anpassen zu können.

HK

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