Barmer-Arzneimittelreport sieht große Impflücken bei Kindern

Berlin – Die Impflücken bei Kindern und Jugendlichen in Deutschland sind offenbar größer als bisher angenommen. Das zeigt der Arzneimittelreport 2019 der Barmer. Die Krankenkasse stellte die auf Basis ihrer Versichertendaten von 2017 erhobenen Impfquoten heute in Berlin vor.
Danach haben 3,3 Prozent der 2015 geborenen Kinder in Deutschland in ihren ersten beiden Lebensjahren überhaupt keine der 13 Impfungen erhalten, die die Ständige Impfkommission (STIKO) empfiehlt. Damit gibt es den Hochrechnungen der Kasse zufolge deutschlandweit knapp 26.000 zweijährige Mädchen und Jungen ohne jegliche Impfung.
Auch in ihrem sechsten Lebensjahr haben den Daten der Barmer zufolge etliche Kinder noch niemals eine Impfung erhalten. Bundesweit Spitzenreiter ist Bayern: Dort sind 3,5 Prozent der Kinder auch mit sechs Jahren noch gänzlich ungeimpft¸ während dies beispielsweise in Brandenburg nur auf 1,2 Prozent der Sechsjährigen zutrifft.
„In Deutschland werden immer noch zu wenige Kinder geimpft. Das macht die Ausrottung bestimmter Infektionskrankheiten unmöglich und verhindert den Schutz für all diejenigen, die sich nicht impfen lassen können“, warnte Christoph Straub, Vorstandsvorsitzender der Barmer. Man brauche deshalb dringend zielgruppenspezifische Impfkampagnen, die Impfskepsis und mögliche Ängste vor Impfungen abbauen könnten, sagte er. Erforderlich seien zudem strukturierte Fortbildungsprogramme für Ärzte, um einen adäquaten Dialog mit Impfskeptikern zu trainieren.
Bei der Vorstellung ihrer Daten wies die Barmer auch auf Unterschiede zu den Erhebungen des Robert Koch-Instituts (RKI) hin, das regelmäßig über die Impfquoten in Deutschland berichtet. Zuletzt publizierte es im Mai im Epidemiologischen Bulletin die Impfquoten, die im Rahmen der jährlichen Schuleingangsuntersuchungen 2017 erhoben wurden.
„Der Arzneimittelreport der Barmer liefert aufgrund der gewählten Methodik der Analysen erstmals ein Bild von den tatsächlichen Impfquoten“, sagte Daniel Grandt, Chefarzt am Klinikum Saarbrücken und Autor des Arzneimittelreports. So würden bei den Schuleingangsuntersuchungen, auf die sich das RKI stütze, die Impfquoten nur anhand der vorgelegten Impfpässe ermittelt.
Dabei werde der Impfstatus von Kindern, die keinen Impfpass vorlegen, nicht berücksichtigt, was zu höheren Impfquoten führe. Diese seien jedoch unrealistisch, betonte Grandt heute in Berlin, da nicht geimpfte Kinder natürlich auch keinen Impfpass hätten. Auf diese mögliche Verzerrung hatte das RKI bereits hingewiesen. In seiner Publikation hatte die Bundesbehörde beschrieben, dass die von ihm angegebenen Impfquoten möglicherweise etwas zu hoch seien. Rund neun Prozent der Schulanfänger hatten bei der Erhebung keinen Impfausweis vorgelegt.
Der Barmer-Arzneimittelreport analysiert auch den Impfstatus gegenüber einzelnen Erkrankungen, insbesondere Masern. So war den Barmer-Daten zufolge mehr als jedes fünfte im Jahr 2015 geborene Kind in den ersten beiden Lebensjahren nicht oder unvollständig gegen Masern geimpft.
Im Jahr 2017 waren damit hochgerechnet auf Basis der Daten von Barmer-Versicherten bundesweit knapp 166.000 Zweijährige ohne vollständigen Masernschutz. Zudem hatten im Jahr 2017 nur 88,8 Prozent der Sechsjährigen in Deutschland den empfohlenen Masernimpfschutz.
„Durch Masernimpfungen konnten allein seit der Jahrtausendwende rund 21 Millionen Todesfälle weltweit verhindert werden. Eine Masern- aber auch eine Rötelnerkrankung ist kein unvermeidbares Lebensrisiko, sondern ein Versagen der Gesundheitsvorsorge“, betonte Straub heute in Berlin. Man habe auch eine Verantwortung gegenüber Gefährdeten, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen könnten oder altersbedingt für sich selbst noch keine Impfentscheidung treffen könnten.
Für eine Herdenimmunität, die auch nicht geimpften Personen Schutz bietet, sei eine Immunisierungsrate von mindestens 95 Prozent erforderlich, erklärte Straub. Nach den vom RKI erhobenen Daten der Schuleingangsuntersuchungen lag die Impfquote bei der ersten Masernimpfung 2017 bei rund 97 Prozent. Bei der zweiten Masernimpfung waren es fast 93 Prozent. Würde man alle Kinder ohne Impfpass als ungeimpft ansehen, ergäbe sich mit Blick auf den Masernschutz am Schulanfang nur eine Impfquote von nur 81,4 Prozent.
„Egal, wie man es rechnet, es bleibt dabei: Zu viele Kinder in Deutschland sind unnötig gefährdet, denn zu wenige Kinder sind gegen Masern geimpft“, sagte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) heute. Er sieht durch den Report sein Vorhaben, eine Masern-Impfpflicht einzuführen, bestätigt.
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Das Bundeskabinett hat ein Gesetz für eine Masernimpfpflicht bereits auf den Weg gebracht. Danach müssen ab März 2020 Eltern vor der Aufnahme ihrer Kinder in eine Kita oder Schule nachweisen, dass diese geimpft sind. Die Impfpflicht soll auch für Tagesmütter, Kita-Personal, Lehrer und Beschäftigte im Medizinbereich gelten. Bei Verstößen drohen Bußgelder bis zu 2.500 Euro.
Der Arzneimittelreport weist zudem auf deutliche regionale Unterschiede bei den Impfquoten hin: Vergleichsweise hoch waren die Impfquoten bei den Zweijährigen des Jahrgangs 2015 in Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein. Besonders niedrige Impfquoten sind in Baden-Württemberg, Bayern, Bremen und Thüringen zu verzeichnen.
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