Ampel will Befüllungspflichten bei elektronischer Patientenakte ausweiten

Berlin – Die Regierungskoalition aus SPD, Grünen und FDP will Ärztinnen und Ärzten bei der Nutzung der elektronischen Patientenakte (ePA) mehr Pflichten auferlegen als bisher geplant war. Das geht aus Änderungsanträgen zum Gesetz zur Beschleunigung der Digitalisierung des Gesundheitswesens (Digitalgesetz, DigiG) und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz (GDNG) hervor, die dem Deutschen Ärzteblatt vorliegen.
Die Leistung der Erstbefüllung soll demnach künftig auch die Unterstützung des Versicherten zur Nutzung der ePA umfassen und grundsätzlich einmal durch Ärzte abgerechnet werden dürfen, die Versicherte im Schwerpunkt ärztlich betreuen und dementsprechend auch über Daten aus der medizinischen Vorgeschichte der Versicherten verfügen.
Alle an der vertragsärztlichen Versorgung teilnehmenden Leistungserbringer sowie Leistungserbringer in zugelassenen Krankenhäusern sollen gesetzlich vorgegebene Inhalte verpflichtend in die ePA übermitteln und speichern.
Anders als bisher soll dabei aber zum Beispiel die Eintragung Daten aus Arztbriefen und Daten zu Befunden beziehungsweise Befundberichte – unter anderem zu bildgebender Diagnostik und Laborbefunden – nicht mehr im Ermessen der behandelnden Ärzte liegen, sondern verpflichtend erfolgen.
Ärzte unterliegen einer Hinweispflicht
Weitere mögliche Inhalte sollen hingegen nur auf ausdrückliches Verlangen der Versicherten eingestellt werden, heißt es in den Änderungsanträgen. Auch unterliegen Ärzte weiter einer Hinweispflicht: Sie haben die Versicherten darüber zu informieren, welche Daten sie in die ePA übermitteln und dort speichern. Einen daraufhin erklärten Widerspruch müssen sie in der Behandlungsdokumentation protokollieren.
Zusätzlich sollen sie die Versicherten aber auch darauf aufmerksam machen, dass ihnen nicht nur die Möglichkeit eines Widerspruchs offensteht, sondern sie auch von ihrem Recht Gebrauch machen können, die Verarbeitung zu beschränken.
„Diese zweistufige Ausgestaltung der Befüllungsregelungen gewährleistet, dass behandlungsrelevante Daten möglichst vollumfänglich in der elektronischen Patientenakte verfügbar gemacht werden und damit eine hohe Behandlungsqualität gewährleistet sowie die Versorgung der Versicherten verbessert wird“, schreiben die Ampelparteien.
Klargestellt werden auch die bisher uneinheitlich gehandhabten Altersgrenzen für die ePA: Ab dem vollendeten 15. Lebensjahr sollen Versicherte sie vollumfänglich selbst nutzen können, aber nicht müssen. Davor nehmen ihre gesetzlichen Vertreter die Versicherten- und Widerspruchsrechte wahr.
Minderjährige ab Vollendung des 15. Lebensjahres, die im medizinischen Kontext bereits einwilligungsfähig sein können, sollen auf diese Weise auch im Umgang mit ihrer ePA zu eigenständigen Entscheidungen ermächtigt werden. Auch wird klargestellt, dass die Krankenkassen ePA-Daten ihrer Versicherten spätestens 12 Monate nach deren Tod löschen müssen.
Neue Sicherheitsarchitektur
Zudem soll der veränderten Sicherheitsarchitektur Rechnung getragen werden. Mit dem Kabinettbeschluss zum DigiG und dem GDNG hatten sich nämlich im November die Planungen zum Aufbau der ePA im Vergleich zum Entwurf des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) geändert.
Bis dahin war eine Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der darin enthaltenen Daten vorgesehen, was jedoch dazu geführt hätte, dass eine Übertragung zur Sekundärnutzung nur möglich gewesen wäre, wenn die oder der Versicherte in der ePA-App angemeldet ist.
Um einen besseren Datenfluss zu gewährleisten, wurde entschieden, die Ende-zu-Ende-Verschlüsselung in ein System der Datenverarbeitung in einer Vertrauenswürdigen Ausführungsumgebung (VAU) zu überführen.
Die Daten der Versicherten können dadurch zukünftig anders als bisher geplant – nämlich unabhängig davon, ob sie das Frontend der ePA nutzen oder nicht – automatisch an das Forschungsdatenzentrum Gesundheit (FDZ) übermittelt werden.
Das führt allerdings zu neuen Anforderungen an das Opt-out-Verfahren: Bisher war vorgesehen, dass der Widerspruch aus der Benutzeroberfläche des genutzten Endgeräts heraus erklärt werden kann – schließlich war ohne Frontend auch keine Sekundärdatennutzung möglich.
Deshalb soll es künftig möglich sein, Widerspruch gegen die Übertragung von ePA-Daten an das FDZ auf analogem Wege einzulegen. Demnach soll es reichen, formlosen – mündlichen, schriftlichen oder elektronischen – Widerspruch bei den Ombudsstellen der Krankenkassen einzulegen.
Damit entfalle auch die Notwendigkeit nach einer zusätzlichen Information der Versicherten bei erstmaliger Öffnung der App. „Die Krankenkassen informieren die Versicherten bereits hinreichend über die Datenverarbeitung (…) und auch über die Widerspruchsmöglichkeit (…)“, heißt es in dem Änderungsantrag. „Eine Wiederholung derselben Information in einem zweiten Hinweis ist nicht erforderlich.“
Zudem sollen die Ombudsstellen künftig weitere Aufgaben zur Unterstützung der Versicherten erhalten, die sie funktional getrennt von den Kassen erfüllen sollen. Sie sollen insbesondere diejenigen Versicherten bei der Ausübung ihrer Rechte unterstützen, die ihre ePA nicht über eine eigene Benutzeroberfläche verwalten.
„Ziel ist es, dass alle Versicherten selbstbestimmt und eigenverantwortlich Gebrauch von ihren Widerspruchsrechten machen können“, heißt es in den Änderungsanträgen zum DigiG. Neben dem Widerspruch gegen die generelle Sekundärdatennutzung sollen sie auch die Widersprüche gegen den Zugriff einzelner Zugriffsberechtigter entgegennehmen.
Versicherte, die keine ePA-App nutzen oder nicht über einen stationären Computer auf sie zugreifen, sollen die in ihr gespeicherten Daten bei den Ombudsstellen auf Antrag erhalten. Diese sollen dafür erweiterte Befugnisse zur Datenverarbeitung erhalten, der Zugriff auf medizinische Daten soll aber weiter ausgeschlossen bleiben.
Apotheken sollen Daten auf ePA löschen dürfen
Wer die ePA nicht selbst nutzt, soll aber nicht jedes Mal zu einer Niederlassung der Krankenkasse gehen müssen, um ihre Inhalte zu verwalten. Diese Kompetenz sollen künftig Apotheken im Rahmen der geplanten assistierten Telemedizin erhalten.
So sollen Apotheken nicht nur auf Verlangen der Versicherten Einsicht in deren ePA nehmen, sondern auch Abschriften erstellen oder Daten löschen können. Das Nähere zum Verfahren und zur Vergütung sollen die Spitzenorganisationen der Apotheker mit dem Spitzenverband Bund der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Spitzenverband) aushandeln.
Versicherte sollen außerdem sowohl dem Zugriff einzelner Leistungserbringer auf die ePA insgesamt als auch ihrer Befüllung durch einzelne Leistungserbringer mit bestimmten standardisiert strukturierten Datensätzen und Informationsobjekten widersprechen können. Auch diese Widersprüche sollen an die Ombudsstellen delegiert werden und so die Nutzbarkeit der ePA in Praxen, Krankenhäusern sowie anderen Einrichtungen vereinfachen.
In Zukunft will das BMG hier umfangreicher allein entscheiden können: Seine Ermächtigungsgrundlage zum Erlass einer Rechtsverordnung soll dahingehend erweitert werden, dass das BMG neben der Festlegung von Fristen und einzelnen Informationsobjekten in der ePA auch Details zum Umfang und zur Nutzung der einzelnen Anwendungsfälle via Rechtsverordnung festlegen kann.
Dabei kommt auch die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ins Spiel. Sie soll ein Informationsobjekt mit Daten zur Prüfung der Arzneimitteltherapiesicherheit – beispielsweise bestehende Allergien oder Unverträglichkeiten – in semantisch und syntaktisch interoperabler Form festlegen und sie so für den digital unterstützten Medikationsprozess nutzbar machen.
Bei diesem Prozess müsse die KBV berücksichtigen, dass diese Daten zukünftig auch für weitere Anwendungsfälle genutzt werden können. So habe sie in ihren Vorgaben auch vorzusehen, wie die festgelegten Inhalte im medizinischen Behandlungsprozess durch die Leistungserbringer verwendet werden sollen.
„Damit soll insbesondere die optimale Nutzung und Unterstützung der Leistungserbringer im Rahmen des digital unterstützten Medikationsprozesses aber auch für weitere Anwendungsfälle gewährleistet werden“, heißt es in den Änderungsanträgen.
Darüber, welche Anwendungen das sein könnten, soll sich die Gematik Gedanken machen. Sie soll einem weiteren Änderungsantrag zufolge ein Umsetzungskonzept vorlegen, um das Fortentwicklungspotenzial der ePA hin zu einem Gesundheitsdatenraum konsequent und zügig nutzbar zu machen.
Arzneimittelrückrufe über die ePA
Einen konkreten Auftrag zur Erarbeitung eines Konzepts erhält die Gematik darüber hinaus für ein elektronisches Verfahren, über das Warnungen zu Arzneimittelrückrufen über die Telematikinfrastruktur (TI) ermöglicht werden sollen.
Dabei sollen die betroffenen Chargennummer des zurückgerufenen Arzneimittels mit den gespeicherten Chargennummern in der ePA abgeglichen werden. Die Versicherten sollen dann Warnungen im Fall von Arzneimittelrückrufen zum Schutz der menschlichen Gesundheit oder Umwelt über die ePA-App erhalten können.
Regulären Arzneimittelrückrufe auf Grund von Qualitätsmängeln, fehlender Wirksamkeit, Fälschungen oder ähnlichem sollen davon hingegen nicht umfasst sein. Die neue Funktion soll spätestens 2030 verfügbar sein. Prüfen soll die Gematik darüber hinaus, ob es möglich ist, Patientenverfügungen in der ePA zu speichern. Dazu soll sich dich auch mit der Bundesnotarkammer beraten und bis spätestens 1. Februar 2025 einen Bericht vorlegen.
Eine weitere Anmeldungsmöglichkeit befindet sich ebenfalls bereits in den Änderungsanträgen: Die Krankenkassen sollen es Versicherten ermöglichen dürfen, über ihre ePA-Benutzeroberfläche auch Daten aus Wearables der Versicherten, beispielsweise aus Smartwatches oder Fitnesstrackern, in die ePA zu übermitteln und dort zu speichern.
Damit sollen sie auf Wunsch eigene Gesundheitsdaten wie Schrittzählung, Herzfrequenz, Schlafqualität oder Körpertemperatur aus genutzten Wearables in ihrer ePA speichern und zur Verfügung stellen. Die Übermittlung der Daten soll über eine sichere Schnittstelle erfolgen.
Für die Hersteller und Anbieter von Wearables und deren Applikationen soll ein Zugriff auf diese Daten ausgeschlossen bleiben. Umgekehrt soll sich aus der Regelung aber auch kein Anspruch der Versicherten auf Bereitstellung von Wearables gegenüber der gesetzlichen Krankenversicherung ergeben.
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