Debatte um Rückgang der Videosprechstunden von Ärzten nach Pandemie

Stuttgart – Mit wenigen Mausklicks zum Arzt statt im Wartezimmer zu hocken: Das ist durch die Coronapandemie für viele Patienten möglich geworden. Aber seither ist die Zahl der Videosprechstunden in baden-württembergischen Arzt- oder Psychotherapiepraxen wieder deutlich zurückgegangen.
Nach Angaben der Barmer nahmen ihre gesetzlich krankenversicherten Patienten im vergangenen Jahr die Onlineberatung 211.418 Mal in Anspruch, ein Jahr zuvor waren es hingegen 298.518 gewesen, also etwa 29 Prozent mehr.
Ähnlich sieht es bei der Kassenärztlichen Vereinigung Baden-Württemberg aus. Dort ist die Zahl der Fälle um acht Prozent auf 158.270 im vergangenen Jahr zurückgegangen. „Wahrscheinlich wird sich dies auch in 2023 fortsetzen“, sagte KV-Sprecherin Gabriele Kiunke.
Es sei wahrscheinlich, dass Patienten wieder häufiger in die Praxen gingen statt auf die Fernberatung zurückzugreifen, vermuteten Barmer und KV. Beide betonten aber auch, es seien in der Pandemie Beschränkungen für die Videosprechstunden aufgehoben worden, die nach der Coronazeit wieder griffen.
Um Mediziner und Pflegepersonal vor einer Infektion zu schützen, konnten Videosprechstunden bis Ende März 2022 dank einer Coronasonderregelung unbegrenzt über die Krankenkassen abgerechnet werden.
„Insbesondere in der Psychotherapie wurde diese Sonderregelung genutzt“, sagte eine Sprecherin der Barmer. Seit April 2022 sind die Onlinetermine für gesetzlich Versicherte allerdings gesetzlich bei 30 Prozent der Kapazität einer Praxis gedeckelt.
„Die Begrenzung von Videosprechstunden ist ein Schritt in die falsche Richtung und steht der digitalen Gesundheitsversorgung im Weg“, kritisierte Winfried Plötze, der Landesgeschäftsführer der Barmer in Baden-Württemberg, die Entscheidung des Bundes.
Die Videosprechstunde habe ihren Mehrwert für die Gesundheitsversorgung längst unter Beweis gestellt. Gerade auf dem Land könne sie sinnvoll ergänzen. Deutschland stehe bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens schlechter da als andere Länder.
Kritik kommt auch von der KV und der DAK-Gesundheit: Im Praxisalltag seien Videosprechstunden in vielen Konstellationen, etwa bei leichten Infekten, medizinisch sinnvoll und sie vereinfachten Patientinnen und Patienten den Zugang zur Versorgung, sagte KV-Sprecherin Kiunke.
„Eine Deckelung ist daher nicht mehr zeitgemäß und wir unterstützen deshalb die politischen Initiativen, die Begrenzung der Videosprechstunden aufzuheben.“ Sollte eine Anschlussbehandlung nötig sein, müssten Patienten aber zeitnah den Arzt in der Praxis aufsuchen können. „Auch im Sinne der Patientensicherheit ist die Möglichkeit der Versorgung in der behandelnden Praxis zwingend zu gewährleisten“, hieß es bei der KV.
Es könnte aber auch gut sein, dass sich zumindest dieses Problem bald erledigt hat. Das Bundesgesundheitsministerium will die Deckelung nach eigenen Angaben wieder kassieren. „Das Bundesministerium für Gesundheit sieht in der Fortentwicklung der Telemedizin große Potenziale für die Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen Versorgung“, hieß es in Berlin.
Deshalb sehe der Entwurf des „Digitalgesetzes“ vor, die bisherige mengenmäßige Begrenzung bei der Videosprechstunde aufzuheben. Durch jüngste Anhörungen sehe sich das Haus in seiner grundsätzlichen Zielrichtung bestätigt.
Siegfried Euerle, der Landeschef der DAK-Gesundheit in Baden-Württemberg, zeigte sich zufrieden mit dem Entwurf. „Die Videosprechstunde hat aus unserer Sicht ein großes Zukunftspotenzial“, sagte er.
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