Politik

Debatte um Tempo bei Lockerungen in Coronakrise neu entflammt

  • Montag, 4. Mai 2020
Kunden stehen am 24.03.2020 in Köln vor dem Eingang eines Baumarktes in einer Schlange. Plakate fordern die Kunden zum Abstandhalten auf. /picture alliance, dpa Themendienst
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Berlin – Nach dem Vorpreschen Sachsen-Anhalts ist die Debatte um das Tempo bei der Lockerungen von Auflagen in der Coronakrise neu entflammt. Berlins Regierender Bürger­meister Michael Müller (SPD) kritisierte gestern die Entscheidung Sachsen-Anhalts, den Bürgern ab heute mehr Kontakte außerhalb des eigenen Hausstands zu erlauben, und mahnte ein abgestimmtes Vorgehen an. FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg befür­wor­tete dagegen ein regional abgestuftes Öffnungskonzept.

Entgegen den Vereinbarungen von Bund und Ländern vom vergangenen Donnerstag dür­fen sich in Sachsen-Anhalt ab heute statt zwei wieder fünf Menschen außerhalb des ei­genen Hausstands treffen. Zudem sollen ab 11. Mai in dem Bundesland wieder Besuche in Alten- und Pflegeheimen unter Einschränkungen möglich sein.

Auch die 800-Quadrat­meter-Regelung für die Öffnung von Geschäften entfällt. Minister­präsident Reiner Haseloff (CDU) begründete den Alleingang unter anderem mit der lan­des­weit vergleichsweise niedrigen Infektionszahl. Auch das Saarland weicht teilweise von der Bundeslinie ab und erlaubt ab heute beispielsweise private Treffen mit Angehörigen eines weiteren Haushalts.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte sich am vergangenen Donnerstag mit den Ministerpräsidenten der Länder lediglich auf kleinere Öffnungsschritte verständigt. Über das weitere Vorgehen, besonders hinsichtlich der Kontaktsperren, soll erst bei einem neuen Spitzengespräch von Bund und Ländern am Mittwoch entschieden werden.

Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) nannte es im Deutschlandfunk „ärgerlich“, dass der Bund und die anderen Länder über die weitergehenden Lockerungen in Sachsen-Anhalt nicht rechtzeitig informiert wurden.

„Ich hoffe sehr, dass wenn wir am kommenden Mittwoch mit der Kanzlerin zusammen­kom­m­en, wir uns auch wieder auf gemeinsame Maßnahmen verständigen können“, sagte Müller. Entscheidend sei nicht, dass alle Bundesländer die gleichen Maßnahmen be­schlös­s­en, sondern dass im Grundsatz ein gemeinsamer Weg vereinbart werde.

Teuteberg hingegen argumentierte, dass der Föderalismus mit regional abgestuften Lo­ckerungen seine ganze Stärke ausspielen könne. Bei der Lockerung der Auflagen sollten einige Regionen vorangehen dürfen – abhängig von Faktoren wie etwa Infektionsge­sche­hen, Besiedlungsdichte und Auslastung der medizinischen Versorgung.

„Bei der schrittweisen Öffnung geht es nicht um einen Überbietungswettbewerb der Län­der in die eine oder andere Richtung, sondern um strikte Wahrung der Verhältnismäßig­keit", sagte Teuteberg. „Die Freiheit darf nur so viel wie zum Infektionsschutz nötig und verhältnismäßig und so wenig wie möglich eingeschränkt werden.“

Die Bundesregierung strebt trotz der zunehmenden Unterschiede in einzelnen Ländern weiterhin ein gemeinsames Vorgehen an. Bei der Lockerung der Auflagen könne es „na­tür­lich regionale und lokale Nuancen“ geben, sagte Regierungssprecher Steffen Seibert heute in Berlin. Das Wichtige sei dabei, dass Bund und Länder „auf einem gemeinsamen Pfad“ unterwegs seien und eine „gemeinsame Strategie“ verfolgten.

Seibert wollte das unabgestimmte Vorpreschen einiger Landesregierungen bei Lockerun­gen nicht ausdrücklich kritisieren. Die abweichenden Entscheidungen der Landesregie­rung hingen jeweils auch mit den unterschiedlichen „regionalen Gegebenheiten“ zu­samm­en, sagte er.

Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) mahnte zur Geduld bei der schrittweisen Locke­rung der Auflagen. Kritik äußerte er zugleich an den unterschiedlichen Gerichtsentschei­dun­gen in den Ländern vor allem zur 800-Quadratmeter-Regel im Handel. Braun sagte der Welt am Sonntag, er „verstehe und akzeptiere jedes einzelne Urteil“. „Aber ich empfin­de es schon als Herausforderung, wenn sich Gerichte auf den Gleichheitsgrundsatz beru­fen, um einzelne unserer Maßnahmen aufzuheben oder zu modifizieren.“

Der Deutsche Richterbund reagierte mit Unverständnis auf die Kritik. Die Bundesregie­rung „sollte sich darüber bewusst sein, dass eine Korrektur unverhältnismäßiger Maßnah­men durch die Gerichte gerade in der aktuellen Ausnahmesituation erkennen lässt, dass der Rechtsstaat funktioniert“, erklärten die Vorsitzenden des Richterbunds, Barbara Sto­ckinger und Joachim Lüblinghoff.

Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier befürwortet eine Debatte über das Ausmaß der Einschränkungen in Deutschland. „Das erzeugt der Politik gegenüber den heilsamen Zwang, täglich zu begründen, wie lange solche Maßnahmen verantwortbar sind“, sagte er der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Wenn die Beschränkungen jetzt aber zu schnell fallen würden, „hätten wir einen Pyrrhussieg erzielt“, warnte Steinmeier.

afp

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