Deutscher Ethikrat gegen Schnellschuss bei Neuregelung der Suizidbeihilfe

Berlin – Obwohl das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits vor fünf Monaten das 2015 beschlossene Verbot der geschäftsmäßigen, organisierten Suizidbeihilfe – den Paragrafen 217 Strafgesetzbuch (StGB) – für nichtig erklärt hatte, sieht Helmut Frister, Direktor des Instituts für Rechtsfragen der Medizin an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf und Mitglied des Deutschen Ethikrates, keinen dringenden Handlungsbedarf bezüglich einer gesetzlichen Neuregelung – zumindest nicht im strafrechtlichen Bereich.
„Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts bedeutet lediglich eine Rückkehr zu der vor 2015 geltenden Rechtslage, nach der die Hilfe zur Selbsttötung grundsätzlich straffrei sei“, erläuterte er heute im Rahmen einer Gesprächsreihe zum Thema Suizidbeihilfe, zu der Katrin Helling-Plahr, Expertin für Gesundheits- und Rechtspolitik der FDP-Bundestagsfraktion, eingeladen hatte. Zudem habe das Gericht keine Frist für eine Neuregelung gesetzt.
Nach Ansicht des Juristen, der seit dem Frühjahr Mitglied des Deutschen Ethikrates ist, gelte es jetzt, gründlich zu überlegen, wie und ob die Hilfe zur Selbsttötung zu regeln sei. „Meine Sorge ist, dass ein zweiter Schnellschuss erfolgen könnte. Das wäre nicht sinnvoll“, betonte Frister. In diesem Punkt seien sich auch die anderen Mitglieder des Ethikrates einig, die ansonsten kontroverse Ansichten vertreten würden.
Um das Thema umfassend zu diskutieren hat der Deutsche Ethikrat gleich zu Beginn seiner neuen Amtsperiode im Frühjahr eine etwa zehnköpfige Arbeitsgruppe „Selbsttötung“ eingesetzt, deren Sprecher Frister ist. Diese bereite gerade zwei Tagungen zu dem Thema vor, die im Oktober und Dezember stattfinden sollen, berichtete der Jurist.
Die erste Tagung soll die Frage „Wann beruht eine Selbsttötung auf einer freien Entscheidung?“ beleuchten. „Diese Frage ist keineswegs banal“, betonte Frister. Wie eine tatsächlich freie Suizidentscheidung gewährleistet werden kann, müsse in verschiedenen Facetten diskutiert werden.
Die zweite Tagung im Dezember werde sich dann der Frage widmen, in welchen Bereichen das Phänomen der Selbsttötung auftritt. „Bei einer schnellen Neureglung könnte die Gefahr stehen, dass sie nur einen Teil der Bereiche in den Blick nimmt“, warnte Frister.
Katrin Helling-Plahr plädierte dagegen für ein liberales Sterbehilfegesetz, das am besten noch in dieser Legislaturperiode verabschiedet werden solle. „Wir brauchen eine klare Regelung, unter welchen Voraussetzungen Hilfe von Dritten bei der Selbsttötung in Anspruch genommen werden darf und wer tödlich wirkende Medikamente erhält“, erklärte sie.
Sollte das Parlament tatsächlich noch in dieser Legislaturperiode eine Entscheidung treffen wollen, sieht Frister allerdings wenig Chancen dafür, dass eine mögliche Stellungnahme des Ethikrates noch Eingang in die Debatte finden könnte. Wenn überhaupt, sei mit einer Stellungnahme des interdisziplinären Gremiums erst im kommenden Jahr zu rechnen. Diese werde zudem wohl nicht einheitlich ausfallen, prophezeite der Jurist.
Vor einer Debatte im Parlament gründlich sichten möchte auch das Bundesgesundheitsministerium die jetzt 52 eingegangenen Stellungnahmen zu möglichen Neuregelungen bezüglich der Suizidbeihilfe. Die Sichtung dauere noch an, teilte das Ministerium vor einigen Tagen auf eine Kleine Anfrage der FDP mit.
Um einen breiten Austausch zu unterstützen, habe man bei Verbänden, Fachgesellschaften, Kirchen und Sachverständigen aus den Bereichen Palliativmedizin, Ethik, Suizidprävention und Rechtswissenschaften praktische und wissenschaftliche Erfahrungen eingeholt, heißt es.
Von einem „breiten Austausch“ könne überhaupt nicht die Rede sein, kritisiert dagegen Helling-Plahr. „Es ist offensichtlich, dass vor allem Vertreter, die sich bereits öffentlich gegen eine Liberalisierung der Sterbehilfe positioniert haben, angehört werden oder wurden. Die Bundesregierung hält sich, was die Auswahlkriterien angeht, auffällig bedeckt“, sagte sie. Bemerkenswert sei, dass das BMG offenbar hauptsächlich mit Gegnern einer liberalen Regelung der Sterbehilfe in Kontakt stehe. Das werfe Fragen auf.
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