Politik

Diesel-Gipfel: Neue Software, keine Nachrüstung, heftige Kritik

  • Donnerstag, 3. August 2017
/dpa
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Berlin – Der Diesel-Gipfel von Politik und Autobauern hat Leitlinien beschlossen, damit weniger Schadstoffe in die Luft gelangen. Demnach sollen rund 5,3 Millionen Diesel­autos eine neue Abgasreinigungssoftware erhalten, die den Ausstoß des Atemgiftes Stickoxid zurückdrängen und drohende Fahrverbote in Städten verhindern soll.

An den Ergebnissen des Gipfels gab es massive Kritik. Der Grund: Die Autokonzerne versprachen bei dem Spitzentreffen für alle betroffenen Fahrzeughalte lediglich kos­tenfreie Updates der Abgasreinigungssoftware. Umbauten der Motoren, um technisch die Abgase zu reinigen, kommen für sie nicht infrage. „Wir halten es für ausgeschlos­sen, Hardware-Nachrüstungen vorzunehmen“, sagte VW-Konzernchef Matthias Müller.

Kosten von 500 Millionen Euro

Laut Branchenverband VDA soll die Software-Nachrüstung für Autos der Emissions­klassen Euro 5 und teilweise Euro 6 keinen Einfluss auf Motorleistung, Verbrauch oder Lebensdauer haben. Angeboten wird sie von BMW, Daimler, Opel und dem VW-Konzern. Der VDA rechnet mit Kosten für die Hersteller von 500 Millionen Euro. Ziel sei eine Stickoxid-Reduzierung von 25 bis 30 Prozent der nachgerüsteten Wagen.

Stickoxide entstehen als unerwünschte Nebenprodukte bei der Kraftstoffverbrennung in Motoren. Bauartbedingt ist das vor allem bei Dieseln ein Problem. Gesundheitlich bedenklich ist insbesondere Stickstoffdioxid (NO2). Es ist laut Umweltbundesamt (UBA) ein ätzendes Reizgas, das Schleimhäute im Atemtrakt und Augen angreift. Es führt zu Entzündungsreaktionen, die wiederum die Wirkung anderer Luftschadstoffe verschlim­mern. Das führt zu Atemnot, Husten und Anfälligkeit für Atemwegsinfekte. Besonders gefährdet sind Menschen mit Vorschädigung wie etwa Asthmatiker.

Herzkreislauferkrankungen und Todesfälle

Der Behörde zufolge kann bei hohen NO2-Konzentrationen auch eine Zunahme von Herzkreislauferkrankungen und Todesfällen beobachtet werden. NO2 wirkt dabei sowohl direkt als auch indirekt. Es ist in der Luft als Vorläufersubstanz an der Bildung von Feinstaub und dem seinerseits hochaggressiven Schadstoff Ozon beteiligt.

Aus diesem Grund gelten in der EU Grenzwerte für die allgemeine Belastung der Umgebungsluft. Ein Stundenwert von 200 Mikrogramm NOx je Kubikmeter darf höchstens 18-mal im Jahr erreicht werden. Der Jahresdurchschnittsgrenzwert liegt bei 40 Mikrogramm. Viel höhere Grenzwerte gelten in Deutschland am Arbeitsplatz, wo bis zu 950 Mikrogramm erlaubt sind. Die Bezugsmaßstab dafür ist aber eine zeitliche begrenzte Belastung von gesunden Arbeitnehmern.

Erfolg oder Misserfolg: Meinungen gehen auseinander

Die politischen Reaktionen auf den Gipfel gehen auseinander. Verkehrsminister Alexan­der Dobrindt (CSU) nannte die Beschlüsse „eine sinnvolle Basis“ für eine schnelle Redu­zierung von Emissionen. Dobrindt erklärte, neben der zugesagten Software-Umrüstung würden sich die deutschen Hersteller an einem Bundesfonds für umweltfreundlichere Mobilität in Städten beteiligen. Der Bund werde zudem seine Förderung für die Umrüstung von Bussen und Taxis sowie für Radwege erhöhen.

Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) bewertete die Gespräche mit der Branche skeptischer. „Natürlich reicht das heute erzielte Ergebnis am Ende noch nicht aus“, sagte sie. Die zugesagten Software-Updates seien ein erster, wichtiger Schritt. Für eine Verringerung der Stickoxid-Belastung sei dies allein nicht ausreichend. Deshalb sei sie froh über zugesagte Kaufprämien von Herstellern für umweltfreundliche Autos.

Kritik von Umweltverbänden

BMW kündigte eine „Umweltprämie“ von bis zu 2.000 Euro an für Kunden mit einem Dieselfahrzeug mit Euro-4-Abgasnorm oder älter. Bedingung ist demnach der Erwerb eines BMW-Elektroautos i3, eines Plug-in-Hybrids oder eines Dieselwagens mit der Euro-6-Norm. Auch Toyota will den Umstieg auf Hybridfahrzeuge mit einem Zuschuss erleichtern. Ford hatte ebenfalls einen „Umweltbonus“ zwischen 2.000 und 8.000 Euro bei der Verschrottung alter Dieselfahrzeuge bis zum Baujahr 2006 angekündigt. Auch Daimler kündigte einen „vierstelligen“ Umweltbonus für Euro 4-Fahrzeuge an.

Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) reagierte enttäuscht auf die Gipfelbeschlüsse. „Mit der Entscheidung für reine Software-Updates, die nicht einmal verpflichtend sind, werden Fahrverbote unausweichlich“, erklärte der BUND-Vorsitzende Hubert Weiger. „Erneut haben sich die Autohersteller gegen die Interessen von Verbrauchern und Umweltschützern durchgesetzt.“

Auch Greenpeace kritisierte die Ergebnisse scharf. „Saubere Diesel sind den Konzernen zu teuer, und die Politik lässt es ihnen durchgehen.“ Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) kommentierte, der Diesel-Gipfel sei „grandios gescheitert“. Daher würden die von der DUH in 16 Städten betriebenen Klagen unverändert fortgesetzt und die in mehreren Städten beschlossenen Dieselfahrverbote durchgesetzt.

Der Deutsche Städtetag hält Fahrverbote für Diesel in Innenstädten für noch nicht ausgeschlossen. „Falls die Grenzwerte weiterhin nicht eingehalten werden, ist zu befürchten, dass Gerichte für einzelne Städte Fahrverbote verlangen“, erklärte Präsidentin Eva Lohse (CDU), zugleich Oberbürgermeisterin von Ludwigshafen.

Die Debatte um mögliche Dieselfahrverbote in großen Städten dürfte damit auch nach dem Diesel-Gipfel weitergehen. Von Fahrverboten in den Städten könnten am Ende auch zum Beispiel die Notdienste der Kassenärztlichen Vereinigungen, aber auch Ärzte und Pflegekräfte auf Hausbesuch betroffen sein. Wegweisend dürfte der Umstieg auf Alternativen sein. Die Charité Berlin hat zum Beispiel zwei Tage vor dem Gipfel ein Pilotprojekt angekündigt. Ab 2018 testet das Universitätsklinikum selbstfahrende und elektrisch ange­triebene Kleinbusse.

dpa/may

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