Merkel sagt mehr Mittel für saubere Luft in Städten zu

Berlin – Viele deutsche Städte stehen unter Druck, weil Dieselautos die Luft verschmutzen. Beim Diesel-Gipfel wurden ihnen Millionenhilfen in Aussicht gestellt. Nun legt der Bund noch einmal nach. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) stellte heute zusätzliche 500 Millionen Euro für Kommunen in Aussicht.
Das Geld stehe bereits im laufenden Haushalt zur Verfügung, sagte sie in Berlin nach einem Treffen mit Vertretern von Städten und Bundesländern. Es werde „sofort“ eine Koordinierungsstelle von Bundesministerien, Ländern und Kommunen eingerichtet, um über förderfähige Projekte in den Städten beraten zu können.
Weil die Belastung der Luft mit gesundheitsschädlichem Stickoxid in vielen deutschen Städten zu hoch ist, könnten Gerichte die Politik schon bald zu Fahrverboten zwingen. Auch die EU macht deswegen Druck auf Deutschland.
Alle seien der Meinung, dass pauschale Fahrverbote für einzelne Antriebsarten oder Fahrzeugtypen verhindert werden sollten, sagte Merkel. „Die Zeit drängt, und wir sind uns alle einig, dass es ein großer Kraftakt ist.“ Parallel liefen die Gespräche mit der Autobranche weiter, etwa zu Software-Updates für neuere Diesel und Umtauschprämien für ältere Modelle.

Beim Diesel-Gipfel von Politik und Autobranche Anfang August hatte die Bundesregierung bereits einen Fonds „Nachhaltige Mobilität für die Stadt“ angekündigt, der Pläne für einen möglichst abgasarmen Verkehr für 28 besonders belastete Regionen finanzieren soll. Bisher war geplant, dass die Autobranche mit 250 Millionen Euro die Hälfte übernimmt. Insgesamt solle der Fonds nun auf eine Milliarde aufgestockt werden, sagte Merkel.
Außenminister und Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) sagte, die Autobranche könne seiner Ansicht nach „durchaus mehr“ als 250 Millionen Euro beitragen. „Was wichtig ist, ist, dass wir die Städte und Gemeinden in Deutschland nicht mit dieser Aufgabe alleine lassen“, sagte er, denn diese könnten „am wenigsten“ für die aktuelle Lage. Gabriel warnte vor „überzogenen Hoffnungen“ in einen schnellen Durchbruch der Elektromobilität bei Privatautos und mahnte, nicht die Potenziale der Verbrennungsmotoren der Zukunft außer Acht zu lassen.
Neue Studie sieht Probleme auch bei Euro-6-Dieseln
Unterdessen hat eine heute veröffentlichte Untersuchung der Umweltorganisation ICCT ergeben, dass nur jeder zehnte moderne Diesel der Abgasnorm Euro 6 im Alltag auf der Straße so sauber wie auf dem Papier und bei Tests im Labor ist. ICCT, die den Abgas-Skandal 2015 mit ins Rollen brachte, hat Messdaten von Behörden und anderen Organisationen in Europa für 541 Diesel-Pkw der Normen Euro 5 und 6 ausgewertet.
Im Schnitt stoßen die Euro-6-Diesel auf der Straße demnach 4,5-mal mehr gesundheitsschädliches Stickoxid (NOx) aus, als die Norm vorgibt, 90 Prozent der Fahrzeuge reißen den Labor-Grenzwert auf der Straße. Illegal ist das nicht, da erst seit September in der EU für Neuzulassungen die Abgasnorm auch für den Ausstoß auf der Straße maßgeblich ist. Zudem dürfen die Stickoxid-Werte weiterhin um einen Konformitätsfaktor über den Grenzwerten liegen.
Allerdings gelten die teils drastischen Überschreitungen im Alltag als Grund dafür, dass die Luft in vielen Städten trotz immer strengerer Grenzwerte schmutziger ist, als die EU erlaubt. Gerichte könnten deswegen die Politik zu Fahrverboten zwingen.
„Die Ergebnisse bestätigen frühere Erkenntnisse, basieren nun aber auf einer sehr großen Anzahl an Fahrzeugtests und erlauben damit auch Rückschlüsse auf das durchschnittliche Emissionsverhalten einzelner Hersteller“, sagte der Geschäftsführer von ICCT in Europa, Peter Mock. Die realen NOx-Emissionen einiger Euro-6-Fahrzeuge liegen demnach sogar unterhalb des Grenzwerts, während andere den Grenzwert um das Zwölffache überschreiten. Die 541 Diesel-Pkw repräsentieren 145 verschiedene Modelle.
Die ICCT-Forscher fordern für die Zukunft weitere unabhängige Tests unter realen Fahrbedingungen, die nicht nur den Ausstoß von Stickoxiden, sondern auch von CO2 unter die Lupe nehmen – und zwar von Autos, die Kunden oder Mietwagen-Firmen bereitstellen, nicht die Autobauer selbst.
Stickstoffoxide (NOx) sorgen in vielen deutschen Städten für schlechte Luft. Zwar gibt es für die gasförmigen Verbindungen auch natürliche Quellen. In der Stadt ist dem Umweltbundesamt zufolge aber hauptsächlich der Straßenverkehr für den NOx-Ausstoß verantwortlich – vor allem durch Dieselfahrzeuge, die dort 60 Prozent der Stickoxid-Emissionen verursachen.
Problematisch sind die Gase vor allem für empfindliche oder vorgeschädigte Personen wie etwa Asthmatiker und ältere Menschen. Stickoxide wirken reizend auf Schleimhäute in den Atemwegen und der Lunge. Die Europäische Umweltagentur macht die Luftschadstoffe für mehr als 10.000 vorzeitige Todesfälle allein in Deutschland im Jahr 2012 verantwortlich.
Keine Entwarnung
Bundesweit ging der Stickoxid-Ausstoß zwischen 1990 und 2015 zwar um fast 60 Prozent zurück. Grund zur Entwarnung ist das laut Umweltbundesamt aber nicht. Die zulässigen EU-Grenzwerte werden an vielen Stellen weiter verfehlt. 2016 wurden sie der Behörde zufolge an mehr als jeder zweiten verkehrsnahen Messstation im Jahresmittel überschritten.
Laut den EU-Grenzwerten für die allgemeine Belastung der Umgebungsluft darf ein Stundenwert von 200 Mikrogramm NOx je Kubikmeter höchstens 18-mal im Jahr erreicht werden. Der Jahresdurchschnittsgrenzwert für NOx liegt bei 40 Mikrogramm. Viel höhere Grenzwerte gelten in Deutschland am Arbeitsplatz, wo bis zu 950 Mikrogramm erlaubt sind. Die Bezugsmaßstab dafür ist aber eine zeitlich begrenzte Belastung von gesunden Arbeitnehmern.
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