Digitale-Versorgung-Gesetz: Experten sehen noch Nachbesserungsbedarf

Berlin – Vor allem die digitalen Gesundheitsanwendungen und deren Implementierung in die Routineversorgung, aber auch die geplanten Regelungen zur Datentransparenz und damit verbundene Fragen zum Datenschutz und zur Datennutzung standen im Zentrum der gestrigen Anhörung des Digitale-Versorgung-Gesetzes (DVG) vor dem Gesundheitsausschuss des Bundestages.
Die grundsätzliche Zielsetzung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung, digitale Innovationen schneller in die medizinische Versorgung zu bringen, stößt dabei auf einhellige Zustimmung der Gesundheitsexperten. Viele Fragen ergaben sich dann aber im Detail im Hinblick auf die dafür vorgesehenen Maßnahmen.
So sollen sich Patienten künftig etwa Gesundheits-Apps vom Arzt verschreiben lassen können. Das beschleunigte Verfahren dazu sieht vor, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) die Anwendung auf Datensicherheit und Funktionalität überprüft. Ein Jahr lang wird sie dann vorläufig von der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstattet. Während dieser Zeit muss der Hersteller positive Versorgungseffekte nachweisen.
Risikobehaftetes Verfahren
Die Krankenkassen sehen jedoch Probleme bei der Bewertung digitaler Anwendungen und befürchten ein Missverhältnis zwischen Nutzen und Kosten solcher Programme. So hält etwa der GKV-Spitzenverband die Kriterien für eine Aufnahme digitaler Innovationen in das geplante Verzeichnis digitaler Versorgungsangebote beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) für unzureichend.
Eine Einführung von Anwendungen der Risikoklassen I und IIa allein aufgrund der Prüfung von Unterlagen der Hersteller durch das BfArM ohne Einbezug von Ärzten und Krankenkassen sei „risikobehaftet“, so deren Vorstandsvorsitzende Doris Pfeiffer. Die Kriterien dafür seien unbedingt zu schärfen, etwa nach dem Vorbild des britischen NICE, das einen Anforderungsrahmen hierfür erarbeitet habe.
Durch den Anspruch auf Kostenerstattung der App-Hersteller im ersten Jahr befürchten die Krankenkassen zudem Fehlanreize. Vor dem Hintergrund schneller Entwicklungszyklen und der modularen Erweiterbarkeit der Produkte müsse damit gerechnet werden, dass es nach einem Jahr nicht mehr zu der geforderten Bewertung der Apps komme. Für die Hersteller müsse es außerdem strukturierte Informationsangebote über die verschiedenen Zugangswege in die Regelversorgung geben, forderte Pfeiffer.
Erprobungsregion für Gesundheits-Apps
Auch die Bundesärztekammer (BÄK) bemängelte, dass bei den im Gesetzentwurf angelegten neuen Zulassungsverfahren für digitale Gesundheitsanwendungen die spezifischen Bedürfnisse der Patienten und Ärzte nicht berücksichtigt würden, obgleich sie die Kernzielgruppe dieser Anwendungen seien.
In ihrer Stellungnahme forderte sie zudem eine klare Regelung der datenschutzrechtlichen Verantwortlichkeit innerhalb der Telematikinfrastruktur sowie für Entwickler verlässliche Rahmenbedingungen zur Erprobung ihrer Technik. In diesem Kontext plädiert die BÄK für eine bundesweite Erprobungsregion für digitale Anwendungen.
„Digitale Anwendungen müssen belegen, dass sie keinen Schaden anrichten“, erläuterte Norbert Butz, Dezernatsleiter Telematik bei der BÄK. Hierzu sei eine Erprobung erforderlich, die etwa ein Patientenkollektiv, teilnehmende Ärzte und andere Leistungserbringer, Krankenkassen und eine begleitende Evaluation umfasse.
Für die Hersteller digitaler Anwendungen stelle dieses Setting eine „prohibitiv hohe Hürde“ dar. Eine etablierte Erprobungsregion würden den Entwicklern digitaler Anwendungen verlässliche und dauerhafte Rahmenbedingungen für die Erprobung zur Verfügung stellen. Die Kosten für die Erprobung und die Evaluation würden dadurch deutlich geringer werden, das Verfahren dadurch insgesamt schneller, so Butz.
Kritik von Herstellern
Aus Sicht der Industrieverbände Bitkom, bvitg – Bundesverband Gesundheits-IT, dem Fachverband Elektromedizinische Technik (ZVEI) und dem Bundesverband Medizintechnik (bvmed) ist es nicht zielführend, den Versorgungsanspruch der Versicherten nur auf digitale Anwendungen der geringen Risikoklassen I und IIa der Medizinprodukteversorgung (MDR) zu beschränken.
Ein grundlegendes Problem bestehe unter anderem darin, dass es für eine digitale Anwendung „von ihrer Natur her häufig schwierig ist, die gewünschten Evidenznachweise zu erbringen“, erläuterte etwa Peter Bursig vom ZVEI. Viele der Anwendungen seien in sektorübergreifende Versorgungsprozesse integriert, Beispiel Telemonitoring.
Der bvmed plädierte zudem dafür, Kombinationsprodukte in das DVG mit aufzunehmen, darunter fallen Software oder Zubehör-Apps, die Informationen eines Medizinprodukts wie eines Herzschrittmachers für den Arzt oder Patienten aufbereiten.
Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) begrüßt grundsätzlich, dass Gesundheits-Apps künftig von der gesetzlichen Krankenversicherung bezahlt werden sollen. „Digitale Anwendungen können gerade psychische Behandlungen intensivieren, Behandlungserfolge stabilisieren und dazu beitragen, psychische Erkrankungen zu vermeiden“, betonte Nikolaus Melcop, Vizepräsident des BPtK-Vorstandes.
Es gebe bereits eine Reihe evaluierter Anwendungen für psychische Erkrankungen. Wichtig sei, dass Psychotherapeuten solche Programme auch verordnen könnten. In das BfArM-Verzeichnis „sollten allerdings nur solche Anwendungen aufgenommen werden, deren Wirksamkeit auch nachgewiesen ist“, forderte Melcop. Denn andernfalls könnte auch großer Schaden entstehen. Aus Sicht der BPtK haben zudem nur Psychotherapeuten oder Ärzte die fachliche Qualifikation zu beurteilen, ob und welche Gesundheits-App in einer Behandlung eingesetzt werden kann.
Bedeutung der arztgeführten Kommunikation
Auch aus Sicht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) ist es unbedingt erforderlich, Ärzte bei der Ausgestaltung der Digitalisierung und bei der Entwicklung digitaler Angebote einzubeziehen. „Es wäre eine vertane Chance, wenn nur diejenigen tätig werden dürfen, die gar nicht in die Behandlung der Patienten eingebunden sind“, sagte der KBV-Vorstandsvize Stephan Hofmeister.
Die KBV lehne es daher ab, dass Krankenkassen ihren Versicherten künftig digitale Versorgungsangebote machen können, ohne die behandelnden Ärzte einzubeziehen. Denn auch digitale Angebote müssten in ein therapeutisches Gesamtkonzept integriert sein.
Hofmeister hob jedoch die Bedeutung der arztgeführten Kommunikation neben der elektronischen Patientenakte hervor: Die Ärzte seien besorgt, dass in der digitalisierten Welt der ursprünglich generische Weg der Arzt-Patienten-Kommunikation und der Arzt-zu-Arzt-Kommunikation untergehe. Aus Ärztesicht gehe es darum, dass die Kommunikation zwischen den Ärzten für einen Patienten in einem Behandlungsfall vernünftig in Echtzeit stattfinde.
„Wir sind dringend darauf angewiesen, dass hier unkompromittierte medizinische Fachdaten ausgetauscht werden können“, so Hofmeister. Hierfür sei eine sichere elektronisch gestützte arztgeführte Kommunikationslösung unerlässlich.
Gesundheitsdaten besser für Forschung nutzen
Aus Sicht einiger Experten besteht bei den erweiterten Regelungen zur Nutzung von Sozialdaten der Krankenkassen zu Forschungszwecken noch Nachbesserungsbedarf. So ist etwa für den Einzelsachverständigen Dominique Schröder, Universität Erlangen-Nürnberg, der Datenschutz im Gesetzentwurf generell nicht ausreichend umgesetzt.
Die Patienten sollten ihm zufolge ein Recht haben, über ihre Daten zu entscheiden. Das sei im Gesetz nicht enthalten. Zudem gewährleiste ihm zufolge die „mangelhafte Technik“ der Pseudonymisierung und Anonymisierung von Daten nicht unbedingt den Datenschutz, wie Beispiele zur De-Anonymisierung von Daten aus der Kryptographie und der IT-Sicherheit gezeigt hätten.
Schröder empfahl, nur auf verschlüsselten Daten Berechnungen durchzuführen. „Das funktioniert, wir sind in der Forschung so weit“, sagte er. In einen Projekt konnte ihm zufolge gezeigt werden, dass der Patient über die Verwendung einer einzelnen App jede Berechnung auf seinen genetischen Daten freigeben kann.
Auch die Rolle des GKV-Spitzenverbandes als Datensammelstelle sieht der Experte kritisch. Hierfür sei eine unabhängige Stelle erforderlich, die keinerlei finanzielle Interessen verfolge. Die Daten angemessen zu schützen, sei schwierig und ein überaus komplexer Prozess, erläuterte er.
Bündnis 90/Die Grünen kritisieren in einem eigenen Antrag (DS 19/13539), der ebenfalls Gegenstand der Anhörung war, dass den Aktivitäten der Bundesregierung eine „kohärente Strategie für die weitere Digitalisierung des Gesundheitswesens“ fehle.
Unter anderem vermissen sie klare Vorgaben zur Interoperabilität der Daten und Systeme im Gesundheitswesen sowie Maßnahmen zur Verbesserung der Datenqualität. Sie fordern deshalb, unter Beteiligung der Patienten sowie weiterer Akteure eine sich an gesundheits-, versorgungs- und pflegepolitischen Prioritäten orientierende Strategie zur Umsetzung der Digitalisierung für das Gesundheitswesen auf den Weg zu bringen.
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