Ärzteschaft

Digitalisierung: Genderbias in Daten muss beendet werden

  • Mittwoch, 18. Oktober 2023
/BillionPhotos.com, stock.adobe.com
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Berlin – Im Zuge der Digitalisierung im Gesundheitswesen und der Möglichkeiten der digitalen Technologien müssen Daten gendersensibel erhoben und verarbeitet werden, um Fehlversorgung von Frauen wie Männern zu vermeiden.

Vor einem Genderbias in den Daten der Anwendungen, die auf Künstlicher Intelligenz und Algorithmen beruhen, warnten zwölf Verbände aus dem Gesundheitswesen, die sich beim „Runden Tisch Frauen im Ge­sundheitswesen“ engagieren. Dazu zählen unter anderem der Deutsche Ärztinnenbund, der BMC Managed Care, die Healthcare Frauen, der Verein Pro Quote Medizin sowie die Spitzenfrauen Gesundheit.

„Vorhandene Wissensdefizite der geschlechtersensiblen Medizin dürfen nicht in die digitale Welt übertragen werden“, heißt es in einem Forderungspapier, das bei einem parlamentarischen Abend Anfang der Woche in Berlin vorgelegt worden ist.

Damit sollen die Akteure des Gesundheitswesens für die Wirkweise und den Aufbau von Algorithmen sen­si­bilisiert werden und in die künftigen Entscheidungsprozesse einbezogen werden. Dazu zähle auch, dass es eine paritätische Besetzung von Frauen und Männern in den Gestaltungspositionen der Digitalisierung geben müsse.

Der Genderbias, der bisher schon in den klinischen Studien herrsche, dürfe sich nun nicht auch noch bei der Weiterentwicklung von digitalen Technologien in der Medizin fortsetzen. „Frauen sind in klinischen Studien jedoch nach wie vor unterrepräsentiert. Dies führt dazu, dass die Datengrundlagen, auf die sich die Analyse der KI beziehen, unzureichend sind und somit ein Genderbias besteht“, heißt es in dem Forderungspapier.

Denn erst 1993 sei gesetzlich festgelegt worden, dass Frauen in klinische Studien überhaupt einbezogen werden müssten, berichtete Sylvia Thun, Direktorin der Core-Unit eHealth und Interoperabilität (CEI) an der Berliner Charité. Seit Anfang der 2000er-Jahre müssten die Geschleterschiede in Deutschland und Europa auch noch einmal gesondert ausgewiesen werden.

Die geschehe laut Thun aber nicht immer: Zwar werde immer öfter paritätisch rekrutiert, doch bei der Analyse werde das Geschlecht nicht mehr mit einbezogen oder außen vor gelassen. Daher müsse die Datenlage von Studien künftig um die weiblichen Daten erweitert werden und dies bereits auch in den zugrundeliegenden Tierversuchen.

Das Argument „weibliche Mäuse sind teurer“, dürfe nicht zählen, betonte Thun. Auch müsse deutlicher heraus­gestellt und publiziert werden, welche Unterschiede es unter den Geschlechtern in der Datenlage gebe.

„Die Gender-Data-Gap kostet Leben“, betonte auch Lisa Paus (Grüne), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, in ihrer Rede. Die Geschlechterunterschiede würden vor allem im Gesundheitsbereich nur unzureichend abgebildet. Wenn man den Faktor Geschlecht in der Medizin verstärkt einbeziehen würde, könne das Leben retten, sagte Paus. KI müsse gemeinwohlorientiert entwickelt und diverser gestaltet werden.

Denn der Gender-Data-Gap beziehe sich nicht nur auf Frauen: „Es ist ein Risiko, eine Frau zu sein, aber es ist auch ein Risiko, ein Mann ohne Normköper von 1,80 Meter und 80 Kilogramm zu sein“, erklärte Kirsten Kapp­ert-Gonther (Grüne), amtierende Vorsitzende des Gesundheitsausschusses. Denn viele Medikamente würden an sportlichen jüngeren Männern getestet – nicht an älteren, kleineren oder dickeren Menschen.

Die zwölf Verbände kritisierten zudem, dass Frauen die Digitalisierung bisher zu wenig mitgestalten. Dies verstärke zusätzlich, dass weibliche Bedürfnisse zu wenig berücksichtigt würden. Führungspositionen in der Gesundheits-IT sollten vermehrt von Frauen besetzt werden und die Quote weiblicher Spezialistinnen im Bereich der IT, Wissenschaft und Entwicklung gefördert werden, heißt es in dem vorgestellten Positionspapier.

„Für die digitale Transformation des Gesundheitswesens muss ein Leitbild entwickelt werden, das alle Ge­schlechter beim Aufbau von KI-gestützten Lösungen gleichermaßen miteinbezieht“, heißt es. Konkret sind Politik, Unternehmen und Gesundheitsorganisationen aufgefordert, in vier Bereichen für Geschlechtergerech­tig­keit zu sorgen.

Neben der höheren Repräsentanz von Frauen in der Datengrundlage, geschlechtsspezifischen Interpretatio­nen durch KI sowie die Förderung von Parität in Forschung und Führung setzen sie sich für den gendergere­ch­ten Einsatz von Künstlicher Intelligenz, verstärkte Aufklärungsarbeit im Gesundheitswesen und die Ein­bindung von Geschlechtersensibilitäten in der Ausbildung ein.

Ein erster Schritt sei die Aufnahme von geschlechtsspezifischen Aspekten in der Medizin in die Studienlehr­pläne. Die Generation der jungen Medizinerinnen und Mediziner gehe schon mit einem größeren Selbstver­ständnis an das Thema heran und auch in der Gesellschaft werde das Thema Gendermedizin präsenter, zeigte sich Christiane Groß, Präsidentin des Deutschen Ärztinnenbunds und Mitglied im Vorstand der Spitzenfrauen Gesundheit, überzeugt.

Für Ute Seeland, Gastprofessorin für Frauen- und Geschlechterforschung an der Uni Mainz sowie Forscherin an der Berliner Charité, ist es auch weiterhin wichtig, die Frage von Geschlecht in der Forschung nach vorne zu bringen.

Gerade bei den neuen technologischen Möglichkeiten mit der Künstlichen Intelligenz, bei der es auf die präzisen Fragestellungen an den Algorithmus für sinnvolle Ergebnisse ankomme, müsse man sich eben die richtigen Fragen ausdenken. „Und nicht jede Frage, die sich in der Versorgung stellt, lässt man sich mit der KI beantworten.“

nfs/bee

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