Ausland

Kinderkrankenhaus in Mariupol durch russischen Angriff zerstört

  • Donnerstag, 10. März 2022
/picture alliance, ASSOCIATED PRESS, Evgeniy Maloletka
/picture alliance, ASSOCIATED PRESS, Evgeniy Maloletka

Kiew – In der belagerten Stadt Mariupol im Südosten der Ukraine ist nach ukrainischen Angaben eine Geburts- und Kinderklinik durch russischen Beschuss zerstört worden. Nach Angaben der örtlichen Be­hörden wurden bei dem gestrigen Angriff mindestens drei Menschen getötet und 17 Mitarbeiter verletzt.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schrieb im Kurzbotschaftendienst Twitter: „Leute und Kin­der befinden sich unter den Trümmern.“ Er fügte hinzu: „Gräueltaten! (...) Stoppt das Töten“. Die stra­tegisch wichtige Hafenstadt wird seit Tagen von russischen Truppen belagert.

Auf einem von der ukrainischen Präsidentschaft veröffentlichten Video ist zu sehen, wie das Innere der Gebäude weggesprengt wird, Trümmer, Papier und Glasscherben auf dem Boden liegen. Auf einem ande­ren Video, das von der Facebook-Seite der nationalen Polizei veröffentlicht wurde und außerhalb des Krankenhauses gedreht wurde, sind mehrere verkohlte Autos und ein großer Krater zu sehen, der als Folge des Luftangriffs entstanden ist.

Die Menschenrechtsbeauftragte des ukrainischen Parlaments, Ljudmila Denisowa, nannte den Angriff auf ihrem Telegram-Kanal „ein Beispiel für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord gegen das ukrainische Volk“. Der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba sprach von „Barbarei“ und bekräf­tigte seine Forderung an den Westen, seinem Land Kampfflugzeuge zu liefern.

Eine Sprecherin des russischen Außenministeriums erklärte in Moskau, ukrainische „nationalistische Bataillone“ hätten Personal und Patienten aus dem Gebäude gebracht, um es als Gefechtsstellung zu benutzen.

Der Angriff auf das erst kürzlich renovierte Krankenhaus löste international Entsetzen und Empörung aus. Der Sprecher der französischen Regierung, Gabriel Attal, verurteilte die Attacke als „unmenschlich und feige“. Auf Frauen, Kinder und Pflegekräfte zu zielen, sei „unglaublich“, sagte Attal heute dem Sender RTL. Frankreich fordere erneut eine Waffenruhe.

Die Sprecherin des Weißen Hauses, Jen Psaki, sagte in Washington zu dem Angriff, es sei „entsetzlich, einen solch barbarischen Einsatz militärischer Gewalt gegen unschuldige Zivilisten in einem souveränen Land zu sehen“. Ein UN-Sprecher erklärte, eine medizinische Einrichtung sollte „niemals ein Ziel sein“.

Der britische Premierminister Boris Johnson verurteilte den Angriff und forderte, der russische Präsident Wladimir Putin müsse „für seine schrecklichen Verbrechen“ zur Rechenschaft gezogen werden. „Es gibt nur wenige Dinge, die verwerflicher sind, als sich an Schwachen und Wehrlosen zu vergreifen“, schrieb Johnson im Kurzbotschaftendienst Twitter.

Seit dem Beginn der russischen Invasion am 24. Februar wurden nach Angaben der Weltgesundheitsor­ganisation WHO in der Ukraine mindestens 19 medizinische Einrichtungen oder Krankenwagen ange­griffen. Dabei seien mindestens zehn Menschen getötet worden.

Hilfsorganisationen sorgen sich um Alte und Behinderte

Hilfsorganisationen haben unterdessen auf die besondere Gefährdung von Senioren und Behinderten im Ukraine-Krieg hingewiesen. „Ältere Menschen und Menschen mit Behinderungen in der Ukraine laufen Gefahr, zurückgelassen zu werden und benötigen dringend Schutz und Hilfe“, erklärte ein Zusammen­schluss von 15 führenden Hilfsorganisationen, darunter das Rote Kreuz, in Großbritannien. „Viele von ihnen können aufgrund mangelnder Mobilität weder aus den betroffenen Gebieten fliehen noch Schutz vor Bombardierungen suchen.“

Eine Umfrage in der seit 2014 umkämpften Donbass-Region im Osten der Ukraine ergab, dass mehr als 90 Prozent der älteren Menschen dort Hilfe bei der Beschaffung von Lebensmitteln benötigen und ihre Wohnungen bei der Kälte nicht heizen können. Rund 80 Prozent der älteren Menschen berichten über „unzureichenden Zugang zu sauberem Trinkwasser, da die Wasserversorgung durch aktiven Beschuss und Luftangriffe unterbrochen ist“, erklärten die Hilfsorganisationen.

Mehr als ein Drittel der älteren Menschen benötigt dringend Medikamente gegen chronische Krank­hei­ten, und drei Viertel benötigen Hygieneartikel wie Zahnpasta, Seife und Toilettenpapier. Ein Spendenauf­ruf des Bündnisses hatte seit Beginn in der vergangenen Woche mehr als 120 Millionen Pfund (144 Millio­nen Euro) eingebracht.

Nach Angaben des Europäischen Behindertenforums gibt es in der Ukraine mehr als sieben Millionen Menschen, die 60 Jahre oder älter sind, und 2,7 Millionen Menschen mit Behinderungen. Seit Beginn des russischen Angriffskriegs sind nach UN-Angaben bereits 2,2 Millionen Menschen aus der Ukraine geflo­hen.

Die baden-württembergische Hausärztin Gunver Werringloer von der Hilfsorganisation Landsaid war bis vor kurzem bei einem Hilfseinsatz an der polnisch-ukrainischen Grenzen. „Zuletzt konnten wir eine deut­liche Zunahme der Anzahl an flüchtenden Menschen beobachten“, sagt sie dem Deutschen Ärzteblatt ().

„Die Versorgung im von uns unterstützten Flüchtlingszentrum ist weiterhin suffizient, der Ansturm auf die medizinischen Behandlungsstandpunkte jedoch deutlich gestiegen.“ Im Zentrum der Bedarfe ständen weiterhin allgemeinmedizinische Beschwerden wie Kopfschmerzen, Infekte der oberen Atemwege, gas­tro­intestinale Beschwerden und Stressreaktionen. Ebenso seien Wunden der Füße, die tagelang in feuch­ten oder nassen Socken und Schuhen steckten, ein Problem.

„Zunehmend stellen sich auch immer mehr chronisch kranke Patienten vor, die dringend Nachschub ihrer Regelmedikation – wie beispielsweise Blutdruckmedikamente – benötigen“, berichtet Werringloer. „Hier muss der Bedarf noch besser gedeckt werden. Auch Menschen, die in der Ukraine eine Krebsbehandlung abbrechen mussten, stellen sich vor und müssen in geeignete Krankenhäuser verlegt werden. Dies wird durch das örtliche Rote Kreuz organisiert.“

Weiterhin fehle es vor allem an Verbandsmaterial, chirurgischen Instrumenten, First-Aid-Kits und Schmerz­mitteln, so die Hausärztin. Dazu komme nun die Regelmedikation der chronisch kranken Patien­ten.

„Gemeinsam mit unseren Partnerorganisationen ,3 Musketiere und Frankenkonvoi' entsenden wir – stets bedarfsgerecht – Hilfsgüter an unseren Standort Radymno an der polnisch-ukrainischen Grenze“, erklärte Werringloer. „Kommende Woche sollen sich zwei 40-Tonnen-Lkw auf den Weg machen. Mit im Gepäck haben sie Paletten mit Medikamenten, Verbandsmaterial und Infusionen.“

Die medizinischen Güter würden an der Grenze dann auf ukrainische Transporter umverteilt, die sie in die Ukraine bringen. „Durch die Kampfhandlungen im Land ist der Bedarf an medizinischer Versorgung enorm gestiegen“, betonte Werringloer. „Wir erhalten sehr viele Anfragen von Krankenhäusern nach Me­dikamenten wie Antibiotika oder Schmerzmitteln sowie Verbandsmaterial und Rettungsdecken.“

Keine Fortschritte hinsichtlich Waffenruhe in der Ukraine

Bei dem heutigen Treffen der Außenminister Russlands und der Ukraine sind nach Angaben des ukrai­ni­schen Chef-Diplomaten Dmytro Kuleba keine Fortschritte hinsichtlich einer Waffenruhe erzielt worden. „Wir haben über eine Waffenruhe gesprochen, aber in dieser Hinsicht wurde kein Fortschritt erzielt“, sag­te Kuleba vor Journalisten im türkischen Antalya.

Er habe jedoch mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow vereinbart, die Gespräche „in diesem Format fortzusetzen“. Lawrow bestätigte, dass Russland die Verhandlungen mit der Ukraine fortsetzen wolle. Zugleich bezeichnete der russische Außenminister die Waffenlieferungen westlicher Länder an die Ukraine als „gefährlich“.

„Diejenigen, die die Ukraine mit Waffen vollstopfen, müssen natürlich verstehen, dass sie die Verantwor­tung für ihr Handeln tragen“, sagte Lawrow in Antalya. Er bezog sich vor allem auf tragbare Boden-Luft-Raketen.

Kuleba beschrieb das Treffen als „schwierig“. Lawrow habe die „üblichen Geschichten“ vorgebracht. Ihm selbst sei es um eine 24-stündige Waffenruhe gegangen, Lawrow habe über Fluchtkorridore sprechen wollen, sagte Kuleba. „Wir sind offen für Diplomatie, aber wenn das nicht funktioniert, werden wir unser Land und unser Volk schützen.“ Die Ukraine „wird sich nicht ergeben“, bekräftigte der ukrainische Au­ßen­minister.

Lawrow sagte mit Blick auf den russischen Bombenangriff auf eine Kinder- und Geburtsklinik in der be­lagerten Stadt Mariupol gestern, das Krankenhaus sei von „ukrainischen Nationalisten“ als Basis genutzt worden. „Diese Geburtsklinik wurde vor langer Zeit vom Asow-Bataillon und anderen Radikalen über­nommen“, sagte Lawrow nach dem Treffen mit Kuleba. Die Krankenschwestern und das Personal seien „vor die Tür gesetzt worden“.

afp/fos

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