Krankenhäuser: Mangel an Zeit und Personal größtes Qualitätsdefizit

Mainz – Das größte Qualitätsdefizit im deutschen Gesundheitswesen bestehe in mangelnder Zeit und personellen Kapazitäten. Das betonte Susanne Johna, erste Vorsitzende des Marburger Bundes (MB), heute bei der 143. Hauptversammlung der Ärztegewerkschaft.
Sie wehrte sich damit gegen die von einigen Seiten geäußerte Kritik der oftmals mangelnden Qualität der Patientenversorgung im stationären Bereich. Denn jährlich leisteten Ärztinnen und Ärzten rund 60 Millionen Überstunden, „weil das System darauf angelegt ist“, erklärte sie weiter
„Selbstgewisse negative Pauschalurteile über unsere Arbeit in den Kliniken und im ambulanten Bereich“ wies sie entschieden zurück. So habe zuletzt der Krankenhausreport 2024 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK (WIdO) unter anderem auf eine mangelhafte Herzinfarktsversorgung hingewiesen. Diese Aussagen seien eine „bewusste Irreführung der Öffentlichkeit“, so Johna. Auch Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) habe immer wieder gesagt, die Versorgung in Deutschland sei häufig nur Mittelmaß oder die Lebenserwartung in Deutschland liege deutlich hinter vergleichbaren Staaten in Westeuropa. Noch pauschaler und ungerechter über die Arbeit von Ärztinnen und Ärzten könne man nicht urteilen, so Johna.
Vorwürfe nicht hilfreich
Sie bestritt jedoch nicht, dass es Verbesserungen im Sinne der Patienten geben müsse. Insbesondere mehr Kooperationen und Schwerpunktbildung werden benötigt. Allerdings seien diese „selbstgewissen negativen Pauschalurteile“ über die Arbeit von Ärztinnen und Ärzten nicht hilfreich.
Stattdessen sei etwa die durchschnittliche Bettenauslastung in Krankenhäusern von 69 Prozent vor allem mit mangelndem Personal zu erklären, so Johna. Die mangelnde Auslastung werde oft als Argument genutzt, um Kapazitäten im Zuge der geplanten Krankenhausreform abzubauen. Diese Reduktion der Zahl der Leistungserbringer müsse jedoch vorher mithilfe einer Bedarfsanalyse und Folgenabschätzung genau geprüft werden, forderte Johna. Dies sei wichtig, um zu sehen, welche komplexen Folgen die Reform für die Patientenversorgung haben werde.
Die Krankenhausreform sieht die Einführung von 65 Leistungsgruppen vor. Bundeseinheitliche Kriterien sollen festlegen, für welche Leistungen die Krankenhäuser entsprechende personelle und technische Ausstattung vorhalten müssen. Die Qualität der Patientenversorgung soll dadurch verbessert werden. Zudem ist eine Vorhaltefinanzierung geplant. Mit dieser sollen die Kliniken 60 Prozent der Betriebskosten als Pauschale erhalten, noch bevor sie Leistungen erbringen. Die restliche Finanzierung soll nach wie vor über diagnosebezogene Fallpauschalen (DRG) laufen. Ein entsprechender Referentenentwurf des Krankenhausversorgungsverbesserungsgesetzes (KHVVG) liegt bereits vor.
Mutiger Bürokratieabbau fehlt
Eine der wichtigsten Maßnahmen hinsichtlich der Reform sei zudem die Entbürokratisierung und damt verbundene Entlastung von Ärztinnen und Ärzten, betonte Johna. Lauterbach habe einen „mutigen Bürokratieabbau“ auf der letzten Hauptversammlung des MB in Berlin angekündigt. Hinsichtlich der geplanten Krankenhausreform seien aber nur einzelne kleine Schritte in die richtige Richtung zu sehen, die von einem erheblichen Bürokratieaufbau an anderer Stelle überkompensiert werden, erklärte die MB-Vorsitzende.
Die Hauptversammlung verabschiedete heute einen Antrag, der Lauterbach auffordert, ein „mutiges Bürokratieentlastungsgesetz“ vorzulegen. Dies solle zu einer unmittelbaren und spürbaren Entlastung insbesondere des ärztlichen und pflegerischen Personals führen.
Kritisch betrachtet Johna auch die geplante Vorhaltevergütung. Diese werde den ökonomischen Druck, der auf den Krankenhäusern laste, nicht verringern. Denn weder die Verteilung der Vorhaltefinanzierung noch die Auszahlung an die Krankenhäuser sei fallunabhängig gestaltet, kritisierte sie. Stattdessen brauche es eine fallunabhängige Vorhaltefinanzierung, die das patientennahe Personal eins zu eins gegenfinanziere, forderte sie. Dafür sprachen sich auch die Delegierten des MB aus. Für die Berechnung des Personals müsse das ärztliche Personalbemessungssystem der Bundesärztekammer (ÄPS-BÄK) verwendet werden, sagte Johna.
Zudem fehle die Finanzierungsicherheit, etwa weil noch nicht klar sei, wie hoch die Mindestvorhaltezahlen pro Leistungsgruppe sein sollen. Zudem wisse man auch nicht, wie die geplanten Leistungsgruppen genau definiert werden. Diese Regelungen sollen erst 2025 per Rechtsverordnung vonseiten des Bundesgesundheitsministeriums (BMG) festgelegt werden.
Abbau doppelter Facharztschiene würde System durchschütteln
Johna bemängelte darüber hinaus die gestern vorgestellte Stellungnahme der Regierungskommission Krankenhäuser, die unter anderem einen Abbau der doppelten Facharztschiene empfiehlt. Dies hätte die Konsequenz, wie wenn man die Versorgung wie ein Lego-Haus kräftig durchschütteln und sich wundern würde, wenn das Haus am Ende nicht mehr stehen könne, so Johna.
Die Leiterin des Referats Krankenhauspolitik beim MB-Bundesverband, Susanne Renzewitz, warnte zudem vor Auswirkungen der geplanten Konzentrationsprozesse auf den ärztlichen Arbeitsplatz. Es sei schwierig, die vorgesehenen Qualitätskriterien der Leistungsgruppen zu erfüllen, schlicht weil das Personal nicht ausreiche. Zudem sei es fraglich, ob das ärztliche Personal beim Tausch von Leistungsgruppen zwischen Krankenhäusern mitgetauscht werden könnten. Sie kritisierte weiter, dass mit der Reform weitere Dokumentations- und Meldepflichten auf die Ärztinnen und Ärzte zukommen würden.
Johna warnte ebenfalls davor, zu viele Kapazitäten im Gesundheitswesen abzubauen. Wenn diese einmal verschwunden seien, kämen sie so schnell nicht wieder. Es sei aber gut, „Reserven im System zu haben“. Insbesondere bei großen Infektionslagen oder anderen Katastrophenszenarien sei es wichtig, wenn viele Menschen versorgt werden könnten. Man dürfe nicht den Fehler machen, „Strukturen im Gesundheitswesen nur für schönes Wetter zu planen“, so Johna.
Wirkungsvollen Katastrophenschutz aufbauen
Die Delegierten verabschiedeten heute auch einen Antrag, der die Bundesregierung und die Bundesländer auffordert, die notwendigen Ressourcen und Kapazitäten für einen wirkungsvollen Katastrophenschutz festzulegen. Dies sollte im Rahmen der Krankenhausreform erfolgen. Entsprechend müssten zusätzliche strukturelle Vorkehrungen eingeplant und finanziert werden.
Zudem hat die Hauptversammlung des MB einen Antrag angenommen, der den Gesetzgeber auffordert, die Eigenständigkeit des ärztlichen Sanitätsdienstes der Bundeswehr zu bewahren. Sowohl für die Aus- und Weiterbildung des medizinischen Personals als auch für die Zusammenarbeit im Rahmen der gesamtstaatlichen Gesundheitsversorgung dürfe es zu keinerlei qualitativen und quantitativen Abstrichen kommen, heißt es darin. Hintergrund ist, dass Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) Anfang April verkündet hatte, dass der Sanitätsdienst kein eigener Organisationsbereich der Bundeswehr mehr sein soll.
Unter anderem forderte der MB außerdem eine Entbudgetierung für alle Facharztrichtungen und die Abkehr von der quartalsweisen Abrechnung und Verordnung.
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