Ärzteschaft

Wartezeiten in der Psychotherapie kürzer als bisher angenommen

  • Mittwoch, 28. Februar 2024
/pressmaster, stock.adobe.com
/pressmaster, stock.adobe.com

Berlin – Mehr als 90 Prozent aller Patienten, die eine psychotherapeutische Behandlung suchen, führen nach eigenen Angaben innerhalb von drei Monaten ein Erstgespräch und beginnen in diesem Zeitraum mit regel­mäßigen psycho­therapeutischen Sitzungen.

Das zeigt die ES-RiP-Studie („Evaluation der Strukturreform der Richtlinien-Psychotherapie“). Es handelt sich um eine großangelegte Befragung unter 2.200 Therapiesuchenden gepaart mit Krankenkassendaten, die vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) finanziert wurde.

„Diese Wartezeit halten zwei Drittel der Betroffenen für kurz oder angemessen“, sagte Studienleiter Johannes Kruse, Direktor der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am Universitätsklinikum Gießen und Marburg, heute bei einer Pressekonferenz im Vorfeld des Deutschen Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie.

Er betonte, Deutschland sei „international im Bereich der Psychotherapie gut aufgestellt – wir bekommen von Kolleginnen und Kollegen durchaus bewundernde Blicke hierfür“. Dennoch würden immer wieder Versor­gungs­engpässe angemahnt, da die Wartezeit auf eine ambulante Psychotherapie als zu lang beschrieben werde. Die Bundespsychotherapeutenkammer ermittelte in ihrer Wartezeitenstudie eine durchschnittliche Wartezeit auf einen Therapieplatz von fünf Monaten.

Jedes Jahr nehmen in Deutschland 2,1 Millionen Menschen Kontakt zu einem der mehr als 39.000 niederge­lassenen ärztlichen und psychologischen Psychotherapeuten auf. Zum Vergleich: In Deutschland praktizieren 55.000 Haus-, 13.000 Frauen- sowie 8.000 Kinderärzte.

Die ES-RiP-Studie sollte eine Antwort auf die Frage geben, wie lange Patienten tatsächlich warten müssen, bis sie einen Psychotherapieplatz finden. Zu diesem Zweck wurde eine bevölkerungsrepräsentative Stichprobe von 32.573 Personen telefonisch befragt, ob sie in den Jahren 2012 bis 2020 einen persönlichen Kontakt zu einem Psychotherapeuten gesucht haben – dies traf auf etwa 2.200 Personen zu.

Davon gelang es 91,7 Prozent, wie die weitere Befragung ergab, mit einem Psychotherapeuten ein Gespräch in Präsenz zu führen, wohingegen bei 8,3 Prozent der Therapiesuchenden kein Erstkontakt erfolgte.

„Bei jedem Fünften dieser 8,3 Prozent hatten sich die Probleme spontan gelöst, bei den übrigen konnten The­rapeutin oder Therapeut keinen Gesprächstermin anbieten, die Wartezeit wurde als zu lang empfunden oder es bestand eine eigene Unsicherheit über die Notwendigkeit der Psychotherapie“, berichtete der Studienleiter.

Was die Wartezeit auf ein Erstgespräch betrifft, so belief sie sich bei 90 Prozent der Therapiesuchenden auf unter drei Monate. „Zwei Drittel bewerteten diese Spanne als kurz oder angemessen“, berichtete der Ehren­vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und ärztliche Psychotherapie (DGPM).

Fand ein Erstgespräch statt, sei in 84 Prozent der Fälle auch eine Psychotherapie erfolgt. Die berichtete War­te­zeit vom Erstkontakt bis zur Aufnahme regelmäßiger Psychotherapietermine betrug bei 96 Prozent der Pa­tienten weniger als drei Monate. Der überwiegende Teil der Betroffenen (85 Prozent) war mit dieser Wartezeit zufrieden.

„Das mag auch damit zusammenhängen, dass zwischen dem Erstkontakt und der Aufnahme der Richtlinien­psy­chotherapie eine Reihe von Leistungen erfolgte, die die Patientinnen und Patienten bereits der Psychothe­rapie zuordnen“, erläutert Kruse.

So finde nach dem Erstgespräch eine biographische Anamnese statt, auch probatorische Sitzungen oder Sitz­ungen im Rahmen der Akutbehandlung könnten folgen, erläuterte der DGPM-Experte. „Die Patientinnen und Patienten haben das Gefühl, dass etwas passiert.“

Große Zufriedenheit mit den Ergebnissen der Psychotherapie

Gedrückte Stimmung war der ES-RiP-Studie zufolge mit 97,5 Prozent der häufigste Grund, eine Psychothera­pie aufzusuchen. Es folgten Angststörungen (52 Prozent), psychosomatische Beschwerden (50,6 Prozent) und die Bewältigung schwerer Belastungen (45,3 Prozent) – Mehrfachnennungen waren möglich.

Der überwiegende Teil der Patienten suchte die Psychotherapie in Eigenregie auf, gefolgt von der Überwei­sung durch Haus- und Fachärzte sowie durch persönliche Empfehlungen von Freunden, Familie oder Be­kannten. Mit den Ergebnissen der Psychotherapie waren 87 Prozent der Befragten sehr zufrieden. „89 Prozent berichten, dass es ihnen nach der Behandlung viel oder etwas besser geht“, sagte Kruse.

Handlungsbedarf gibt es dem Studienleiter zufolge in zwei Punkten: Eine kleinere Gruppe scheitere in dem Bemühen, einen Therapieplatz zu bekommen. „Zum anderen sind körperlich chronisch kranke Menschen, die zusätzlich unter einer psychischen Störung leiden, zu selten in psychotherapeutischer Behandlung“, erklärte er. Diese Risikogruppe sei von einer erhöhten Sterblichkeit bedroht. Hier bestehe weiterer Forschungsbedarf, um zu klären, mit welchen Versorgungsangeboten diese beiden Patientengruppen erreicht werden können“.

Die ES-RiP-Studie wird ausführlich voraussichtlich im Sommer im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht. Der Deutsche Kongresses für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie findet vom 13. bis 15. März in Berlin statt.

PB

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung