Pharmaverband warnt vor erneuten Engpässen bei lebenswichtigen Antibiotika

Berlin – Der Pharmaverband Pro Generika warnt vor Lieferengpässen bei wichtigen Antibiotika durch die Konzentration der Produktion außerhalb der Europäischen Union, wie zuletzt geschehen unter anderem bei Präparaten mit Piperacillin/Tazobactam und Ampicillin/Sulbactam. Die derzeitige Entwicklung gefährde die Versorgungs- und die Patientensicherheit, kritisierte der Verband der Generika- und Biosimilar-Unternehmen in Deutschland heute in Berlin. Er regte an, wieder über eine vermehrte Herstellung von Antibiotika in Deutschland beziehungsweise in Europa nachzudenken.
„Angesichts weltweit zunehmender Spannungen sollte sichergestellt werden, dass der Erste-Hilfe-Koffer im Ernstfall in Europa steht", meinte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Markus Leyck-Dieken. Es sei deshalb dringend erforderlich, wirksame Strategien zu entwickeln, um die Bereitstellung dieser lebenswichtigen Medikamente zu garantieren. „Die aktuellen Engpässe bei Antibiotika müssen ein Weckruf sein. Wir brauchen einen ‚New Deal für Versorgungssicherheit‘ in Deutschland“, so Leyck-Dieken.
Den Ursachen und den Auswirkungen der wiederholt auftretenden Engpässe ging Pro Generika mit zwei von ihm in Auftrag gegebenen Studien zum Thema Versorgungssicherheit bei Antibiotika auf den Grund, die er heute in Berlin präsentierte.
Die Studie des Berliner IGES Instituts, die dabei die Rolle von Generika für die Antibiotikaversorgung im stationären und ambulanten Bereich in Deutschland untersuchte, kam zu dem Schluss, dass entgegen der häufigen Wahrnehmung der tatsächliche Verbrauch von Antibiotika in den vergangenen Jahren nicht gestiegen, sondern weitgehend konstant geblieben sei. Aufgrund der spezifischen Marktentwicklungen erhöhe sich jedoch die Wahrscheinlichkeit von Lieferengpässen.
So beobachte man in der ambulanten Versorgung vor allem einen Rückgang des Preisniveaus und der Anbieterzahlen beziehungsweise eine steigende Marktkonzentration. In der stationären Versorgung berge vor allem ein stark sinkendes Preisniveau trotz hoher Anforderungen an die Produktion ein Risikopotenzial, erläuterte Martin Albrecht, Geschäftsführer Gesundheitspolitik beim IGES Institut. Insgesamt wären generische Antibiotika in Deutschland einem sehr hohen Preis- und Rabattdruck ausgesetzt. Gleichzeitig verdeutlichte er die essenzielle Rolle der generischen Antibiotika in Deutschland: Im ambulanten Bereich sicherten sie 84 Prozent und im stationären Bereich sogar 87 Prozent der Versorgung (nach Tagestherapiedosen).
Ein weiterer Grund für Lieferprobleme ist Pro Generika zufolge die Konzentration der Roh- und Wirkstoffproduktion in den Händen von immer weniger Anbietern. Auch die weltweit steigende Nachfrage nach bestimmten Antibiotika sei ein Grund für regelmäßig auftretende Engpässe. Konkret untersuchte diese Zusammenhänge die Unternehmensberatung Roland Berger. Ihre Studie beleuchtet die Abhängigkeit Deutschlands von ausländischen Antibiotikaherstellern und hinterfragt, ob beziehungsweise unter welchen Umständen die heimische Antibiotikaproduktion gestärkt werden könnte.
Eine sehr hohe Abhängigkeit der Antibiotikaversorgung bestünde vor allem von Herstellern in China, berichtete Morris Hosseini, Senior Partner bei Roland Berger. China vereinige bereits wesentliche Teile der gesamten Weltmarktproduktion auf sich. Teilweise gebe es nur zwei oder drei relevante Produzenten von Wirkstoffen und von für die Produktion wichtigen Zwischenprodukten.
„Fällt eines dieser Unternehmen aus, sind Versorgungsengpässe aufgrund der aufwendig herzustellenden Vorläuferprodukte und der begrenzten Kapazität die logische Folge – wie am aktuellen Beispiel Piperacillin/Tazobactam deutlich wird“, sagte Hosseini. Als die größten Hürden bezeichnete der Experte von Roland Berger die sehr hohen Investitions- und Produktionskosten und das sehr niedrige Preisniveau für Antibiotika in Deutschland. Dies stünde einer vermehrten Produktion wichtiger Antibiotika in Deutschland und innerhalb der EU im Wege.
Im Pharmadialog der Bundesregierung habe Pro Generika bereits auf das drängende Problem des Kostendrucks bei lebenswichtigen Arzneimitteln hingewiesen, betonte Bork Bretthauer, Geschäftsführer von Pro Generika. Allerdings sei der Abschlussbericht der Bundesregierung in dieser Hinsicht in Absichtserklärungen stecken geblieben. „Wir haben noch nicht alle unsere Hausaufgaben gemacht“, sagte Bretthauer. Mit dem Arzneimittelversorgungsstärkungsgesetz (AMVSG) habe die Politik jetzt die Option, erste konkrete Schritte gegen Engpässe einzuleiten. So müsse die Verantwortung für Versorgung auf mehrere Schultern verteilt werden.
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