Ärzteschaft

Ärztliche Weiterbildung: Erwartungen und Realität klaffen auseinander

  • Montag, 6. Mai 2024
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Mainz – Das Thema Weiterbildung sorgt bei Ärztetagen fast immer für Zündstoff ­– so auch vor dem 128. Deutschen Ärztetag in Mainz bei dem von der Bundesärztekammer organisierten „Dialogforum mit jungen Ärztinnen und Ärzten“ zum Thema „Ärztliche Weiterbildung – Wunsch und Wirklichkeit.“ Die heutige Diskussion zeigte: Obwohl seit Jahren um Verbesserungen für Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung gerungen wird, fühlen sich viele nicht optimal weitergebildet.

„Es gibt oft keinen vorgesehenen Raum für die Weiterbildung an den Kliniken“, bemängelte Sarah Woldu, die im ersten Weiterbildungsjahr in der Frauenheilkunde am Universitätsklinikum Köln arbeitet. Es fehle insbesondere an Struktur, erklärte sie.

„Wir jungen Leute wollen sehr gute Fachärztinnen und Fachärzte werden, da brauchen wir eine strukturierte Weiter­bildung, gute Weiterbildungsbefugte und entsprechendes Feedback“, sagte Constanze Weber, weiterzubildende Ärztin in der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Dresden.

Die Weiterbildung sei ein Dauerthema, bestätigte Ellen Lundershausen, Vizepräsidentin der Bundesärztekammer (BÄK) und Schirmherrin des jährlichen Dialogforums. Damit man in den Ärztekammern gezielt Probleme angehen könnte, sei man auf die Mithilfe der Ärztinnen und Ärzte angewiesen. „Geben Sie uns Hinweise, was Sie beschäftigt“, forderte sie die Teilnehmenden auf.

Dies unterstrich auch Pedram Emami, Präsident der Ärztekammer Hamburg und Moderator des Forums. Er verwies insbesondere auf die Evaluation der Weiterbildung, an der sich immer noch zu wenige Weiterzubildende beteiligten. „Alle Bemühungen werden nichts nützen, wenn Sie an der Basis uns nicht Ihre Meinung sagen“, betonte er.

Die Präsidentin des Weltärztebundes (WMA), Lujain Alqodmani, rief die jungen Ärztinnen und Ärzte in einem Grußwort auf, sich in Ärztekammern zu engagieren und ihre Zukunft aktiv mitzugestalten.

Dabei sind die jungen Mediziner relevanter Bestandteil der Patientenversorgung. „Ohne Ärztinnen und Ärzte in Weiter­bildung wäre Versorgung in Deutschland nicht möglich“, sagte Johannes Albert Gehle, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe und Co-Vorsitzender der Ständigen Konferenz „Ärztliche Weiterbildung“ der BÄK.

Gute Weiterbildung als Wettbewerbsvorteil nutzen

„Wir müssen die Weiterbildung so gestalten, dass sie attraktiv ist“, sagte Alexander Radbruch, Direktor der Klinik für Neuroradiologie des Universitätsklinikums Bonn und Weiterbildungsbefugter. Dies sei für Kliniken im Wettbewerb um knappen Nachwuchs von Vorteil. „Eine gute Weiterbildung spricht sich herum.“ Radbruch wies darauf hin, dass die Strukturen in der Weiterbildung zum Teil anders gestaltet und flexible Zugänge für den Einzelnen möglich gemacht werden müssten.

Weber ergänzte, dass ein sicheres und strukturiertes Umfeld für die Weiterzubildenden geschaffen werden müsse. Hierarchien seien im ärztlichen Bereich weiterhin verbreitet. Viele junge Ärztinnen und Ärzte trauten sich nicht, Probleme zu äußern oder Unterstützung einzufordern.

Die Runde war sich einig, dass Frauen in der Weiterbildung mehr flexible Möglichkeiten eingeräumt werden müssten, um Familie und Beruf besser vereinbaren zu können. Flexible Arbeitszeiten, Teilzeitmodelle und bessere Betreuungs­angebote für den Nachwuchs müssten die Regel werden, äußerten mehrere junge Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung.

So müsste Müttern der Wiedereinstieg in den Beruf erleichtert und die Weiterbildung auch mit Familie besser möglich gemacht werden. Frauen erlebten zudem oft Diskriminierung. „Frauen müssen sehr viel mehr leisten, um an die gleiche Stelle wie Männer zu kommen“, sagte Weber. Entscheidend seien bei den Weiterbildungsbefugten häufig auch Sympa­thien, welche Weiterzubildenden besonders gefördert und unterstützt werden, bemängelte auch Woldu.

Gut ein Fünftel arbeitet in Teilzeit

Der Trend zu Teilzeitanstellungen bestätigte Ärztekammerpräsident Gehle. So seien die genehmigten Teilzeitweiterbil­dungen vor allem von Frauen in den vergangenen Jahren in Hamburg und Westfalen-Lippe deutlich angestiegen. Allerdings gingen junge Väter jüngst auch häufiger in Teilzeit. 22 Prozent der Weiterzubildenden befanden sich demnach 2023 in Teilzeit, erklärte Gehle.

Uwe Köhler, Facharzt für Frauenheilkunde am Klinikum St. Georg in Leipzig und Vizepräsident der sächsischen Landes­ärztekammer, erklärte, an seiner Abteilung gebe es 14 Ärztinnen in Weiterbildung. Davon seien bis auf eine alle in Teil­zeit tätig. „Das stellt uns vor besondere Herausforderungen“, sagte Köhler. Die Teilzeittätigkeit habe Auswirkungen auf systematisierte Weiterbildung und Vermittlung von Kompetenzen.

Es sei wichtig eine Partnerschaft zwischen Weiterbildungsbefugten und Weiterzubildenden aufzubauen, so Köhler. Weiterbildung funktioniere nur mit entsprechender Abstimmung und Einbeziehung. Man müsse aber auch Eigenverant­wortung von den jungen Kolleginnen und Kollegen einfordern.

/DÄ, https://cms.aerzteblatt.de/nachrichten/videos/220
Zu den Umfragen mit jungen Ärztinnen und Ärzten

Das bestätigte eine junge Ärztin in der Diskussionsrunde. Die Medizin sei aber komplexer geworden. Die Herausforde­rungen, vor denen junge Ärztinnen und Ärzte stünden, seien oftmals nicht sichtbar. Gleichzeitig hätten Weiterzubildende dann das Gefühl, den Erwartungen nicht gerecht zu werden, bemängelte die Ärztin. Hier müssten die Rahmenbedin­gungen entsprechend angepasst und Lösungen gefunden werden.

Für Köhler müssten die Weiterbildungsordnungen darüber hinaus abgespeckt werden. Wichtig sei außerdem, Weiterbil­dung stärker in den ambulanten Bereich zu verlagern.

Dort gebe es schon Fortschritte. Im ambulanten Bereich seien schon viele der Forderungen umgesetzt, sagte Bernhard Lenhard, Allgemeinmediziner und Vizepräsident der Landesärztekammer Rheinland-Pfalz. Beispielsweise gebe es eine Eins-zu-eins-Betreuung durch den Weiterbildungsbefugten sowie relativ kurze Weiterbildungszeiten.

Bessere Weiterbildung selbst in die Hand nehmen

Die Ärzteschaft könne viel selbst für eine verbesserte Weiterbildung tun, sagte Henrik Herrmann, Präsident der Ärzte­kammer Schleswig-Holstein und Co-Vorsitzender der Ständigen Konferenz „Ärztliche Weiterbildung“ der Bundesärzte­kammer.

Für Änderungen seien allerdings auch europarechtliche Vorgaben zu berücksichtigen, ergänzte sein Kollege Gehle. Der Grund dafür bestehe darin, dass die Weiterbildung zum Facharzt auch international anerkannt werde und man mit diesem Abschluss auch im Ausland arbeiten könne.

Herrmann skizzierte das Wunschbild einer Weiterbildung in drei Jahren, also im Jahr 2027: Dann werde eine junge Ärztin bei ihrer Weiterbildung von einem Weiterbildungsbefugten begleitet, der bereits ein Train-the-Trainer-Seminar sowie ein Didaktikseminar absolviert habe. Sie erhielte zu Beginn ihrer Weiterbildung einen individuellen Rotationsplan, der auch eine ambulante Tätigkeit für sechs Monate beinhalte. Zudem erfolge zunächst ein vierwöchiges Onboarding, in dem ihr die IT der Klinik und andere Grundlagen erklärt würden.

Generell enthielte ihre Weiterbildung nur noch 24 statt 48 Handlungskompetenzen, die mit Entrustable Professional Acitivities (EPAs) beschrieben würden. Jede Woche gäbe es für die Weiterzubildende Feedbackgespräche von mindestens einer Stunde mit dem Weiterbildungsbefugten, so Herrmann weiter. Diese Gespräche würden auch finanziert, ebenso wie die Weiterbildungsanteile im ambulanten Bereich. Und am Ende der Weiterbildung würde direkt die Handlungskompe­tenz der jungen Ärztin durch die Kammer überprüft, schloss er.

Damit aus diesem Wunschbild Wirklichkeit werden könne, müssten vier Punkte bewältigt werden, sagte Herrmann. Die meisten davon könne die Ärzteschaft selbst stemmen. Erstens brauche es ein echtes, partnerschaftliches Verhältnis zwischen den Weiterzubildenden und den Weiterbildungsbefugten. „Wir brauchen eine echte Weiterbildungskultur“, sagte der Kammerpräsident.

Zweitens müsse die Ärzteschaft die Weiterbildungsordnung schärfen, entschlacken und auf das Wesentliche reduzieren, und zwar mithilfe der jungen Ärztinnen und Ärzte. „Bringen Sie sich ein“, appellierte an die Teilnehmenden des Dialogforums zu.

Drittens regte Herrmann eine einheitliche Weiterbildungsordnung an. Künftig könnte es nicht mehr 17 Weiterbildungs­ordnungen geben, sondern eine Eins-zu-eins-Umsetzung der Musterweiterbildungsordnung, skizzierte er.

Lediglich der vierte Punkt stünde nicht in der Macht der Ärzteschaft, sagte Herrmann. Dieser sei eine Aufgabe für die Politik. Es müssten mehr Mittel für die Weiterbildung bereitgestellt werden, beispielsweise durch einen Weiterbildungs­fonds.

„Drei von vier Punkten liegen aber in unserer Hand“, resümierte der Co-Vorsitzende der Ständigen Konferenz „Ärztliche Weiterbildung“ der Bundesärztekammer. „Es liegt in unserer Hand, diese Wirklichkeit in den nächsten drei Jahren zu schaffen.“

ER/nfs/cmk

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