Protestierende warnen beim Ärztetag vor bedrohter Versorgung

Mainz – Zum Auftakt des 128. Deutschen Ärztetags in Mainz haben Ärztinnen und Ärzte sowie Medizinische Fachangestellte (MFA) lautstark vor dem Veranstaltungsort, der Rheingoldhalle, protestiert. Sie wollten auf die prekäre Situation der ambulanten Versorgung und Kliniken hinweisen, wie die Ärzteverbände Medi Geno Deutschland und Medi Baden-Württemberg vorab mitteilten.
Daneben hatten noch mehrere weitere Ärzteverbände zu dem Protest aufgerufen, wie etwa der Berufsverband der Deutschen Urologie und der Hartmannbund. Mit Trillerpfeifen drückten heute Vormittag nach Polizeiangaben rund 100 bis 150 Demonstrierende ihren Unmut aus.
Die Menschen skandierten unter anderem „jetzt reicht's“. Auf der Bühne hing ein Transparent mit dem Schriftzug „ Versorgung bedroht – Patienten in Not“, Teilnehmende hielten Schilder hoch mit Aufschriften wie „Qualität hat ihren Preis“.
Teils harsche Kritik an der Gesundheitspolitik der Bundesregierung
Redner schilderten unter anderem Schwierigkeiten aus ihrem Arbeitsalltag, zeigten sich unzufrieden mit der Finanzierung und einer mangelnden Wertschätzung der Politik für ihre Arbeit. Angesprochen wurden auch der Ärztemangel und die voraussichtlich lange Dauer, bis Effekte eines Gegensteuerns überhaupt in der Praxis spürbar werden könnten.
Scharfe Kritik an Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach übte von der Bühne aus Christiane von Holst, niedergelassene Gynäkologin in Heidelberg (Medi Baden-Württemberg). Sie warf dem SPD-Politiker unter anderem „ideologische Phantasien“ und eine falsche Verwendung von Mitteln vor, etwa in Teststationen mit betrügerischer Abrechnung.
Die Leistung der Niedergelassenen werde hingegen nicht angemessen bezahlt, monierte von Holst. „Jedem sollte klar sein: Das ist so nicht machbar.“ Lauterbachs „Traum von der Ambulantisierung“ werde zerplatzen wie eine Seifenblase mangels Nachwuchs, der die Patienten versorge. Sie bezeichnete Lauterbach als „Totengräber unseres Gesundheitssystems“.
Stefan Rupp, Leitung der pädiatrischen Abteilung des Vincenz-Krankenhauses Limburg, berichtete, dass in der Notaufnahme der Kinderklinik im vergangenen Jahr bereits mehr als 6.000 Kinder ambulant betreut worden seien. Bereits jetzt würden Kinder nur noch in Einzelfällen in Kinderarztpraxen aufgenommen. Kürzlich sei zum Beispiel eine Familie wegen einer Impfbescheinigung dorthin gekommen. Im Herbst gäben in Limburg mehrere Mediziner ihren Kassensitz auf, Nachfolger fehlten.
Auch vonseiten der MFA gab es Kritik: Hannelore König, Präsidentin des Verbands medizinischer Fachberufe, sagte, das Vertrauen in die Gesundheitspolitik der Bundesregierung sei völlig verloren.

Die in Aussicht gestellte Stärkung von in der Pandemie besonders belasteten Gesundheitsberufen sei bisher ausgeblieben, sagte König. Der Fachkräftemangel bei den MFA sei hoch. Praxen müssten beispielsweise Sprechzeiten reduzieren, was die Versorgung gefährde. Bürokratieaufgaben und technische Störungen etwa fräßen Zeit, die am Ende für die Patientenversorgung fehlten.
Teilnehmende des Protests unzufrieden über Finanzierung
Man müsse den Protest unterstützten, damit die Forderungen nicht verhallten, sagte die Medizinische Fachangestellte Margarethe Michel aus Weikersheim in Baden-Württemberg.
Es gebe eine „Wahnsinnsbürokratie“, während die Patientinnen und Patienten zu kurz kämen. Hinzu komme die Minderbezahlung. Es gebe in ihrer Region auf dem Land ein ausgeprägtes Ärztesterben, so dass immer mehr Patienten versorgt werden müssten.

„Wir wollten uns nicht mehr länger über die Probleme beklagen und nichts tun“, begründete der Facharzt für Allgemeinmedizin aus der Nähe von Heidelberg, Kai Wachter, warum er mit einem Teil seines Teams nach Mainz gekommen ist, um zu protestieren.
Auch ihre Praxis habe wegen zunehmend fehlender Alternativen immer Patienten, sagte Wachters Kollege Georg Raupp. Man wolle diese Menschen auch versorgen. Die zustehende Bezahlung sei durch die Budgetierung aber nicht gegeben. Und es sei auch schwierig, der Vielzahl an Patienten gerecht zu werden.
Er wünsche sich für den ambulanten Bereich, dass langfristig etwas Sinnvolles geplant werde, vor allem in finanzieller Hinsicht, sagte der Facharzt für Allgemeinmedizin, Pascal Seith, aus Freiburg.

Wenn es eine Entbudgetierung geben solle, müssten Gesprächsziffern aufgenommen werden. Hausärzte brauchten Zeit, das Diagnostische auch mit den Patienten zu besprechen.
Seith schilderte, dass seine Praxis derzeit aufgrund der greifenden Budgetierung viel strenger mit Patienten umgehen und diskutieren müsse, da man nicht mehr großzügig wiederkehrende Termine anbieten könne. Ab dem dritten Termin pro Quartal bekomme die Praxis fast kein Geld mehr.
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) betonte in seiner Rede zur Eröffnung des Ärztetags, er habe den Demonstranten ein Gesprächsangebot gemacht. Dieses sei von den Veranstaltern aber abgelehnt worden.
Die Organisatoren bestätigten das auf Nachfrage. Es sei aus organisatorischen Gründen kurzfristig nicht möglich gewesen, das Programm zu ändern, hieß es. Darüberhinaus wäre eine Rede des Ministers auf einer Protestaktion nicht das geeignete Format für eine konstruktive Diskussion gewesen. Man sei aber „selbstverständlich jederzeit zu einem Dialog bereit, doch sollte ein solcher auch immer Ergebnisse bringen“. Bloße Ankündigungen und Versprechungen seien „wenig zielführend“.
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