5 Fragen an...

„Klar ist, dass niemand verpflichtet ist, Suizidhilfe zu leisten“

  • Donnerstag, 26. Januar 2023

Berlin – Zwei Tage diskutierte der Berufsordnungsausschuss der Bundesärztekammer (BÄK) kürzlich zahlrei­che berufsrechtlich relevante Themen. Wolfgang Miller, neben Josef Mischo Vorsitzender des Berufsordnungs­ausschusses, sieht das ärztliche Berufsrecht von zahlreichen politischen Debatten tangiert.

Wolfgang Miller /LÄK Baden-Württemberg
Wolfgang Miller /LÄK Baden-Württemberg

5 Fragen an Wolfgang Miller Vorsitzender des Berufsordnungsaus­schusses und Präsident der Landesärztekammer Baden-Württemberg

Deutsches Ärzteblatt: In der Vergangenheit waren Fragen des ärztli­chen Berufsrechts in der breiten Öffentlichkeit selten ein großes Thema. Mittlerweile werden jedoch in Bund und Ländern mehr und mehr Themen diskutiert, die auch das ärztliche Berufsrecht betreffen. Wie wirkt sich das auf Ihre Ausschussarbeit aus?
Wolfgang Miller: Unser Ausschuss hatte in den letzten Monaten tat­sächlich sehr viel Arbeit und diese betraf sehr große Themen wie vor allem Suizidhilfe, Triage und Kommerzialisierung des Gesundheits­wesens. Während der Pandemie haben wir uns regelmäßig online zusammengeschaltet.

Aber jetzt war es an der Zeit, persönlich zusammenzukommen und ganz ausführlich über alle aktuellen Themen zu diskutieren und die Richtung für die kommenden Monate abzustimmen. Alle Ausschuss­mitglieder haben Potsdam mit dem guten Gefühl verlassen, dass wir die berufspolitischen Herausforderungen gemeinsam meistern werden.

DÄ: Stichwort Triage: Eigentlich schien die Diskussion um die Triage im Falle von nicht ausreichenden Be­handlungsmöglichkeiten mit der Entscheidung des Bundestags im November vergangenen Jahres beendet. Aber die Kritiker des Gesetzes erwägen jetzt sogar eine neue Verfassungsklage. Wie bewerten Sie die Diskussion aus berufsrechtlicher Sicht?
Miller: Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass der Gesetzgeber unverzüglich geeignete Vorkeh­rungen treffen muss, damit niemand wegen einer Behinderung bei der Zuteilung überlebenswichtiger, nicht für alle zur Verfügung stehender intensivmedizinischer Ressourcen benachteiligt wird.

Dem ist der Bundestag gefolgt und hat festgelegt, dass Zuteilungsentscheidungen nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit der betroffenen Patienten getroffen werden dürfen. Dabei hat er auch entschieden, dass bereits zugeteilte Behandlungskapazitäten von der Zuteilungsentscheidung ausge­nommen sind, also die Behandlung nicht zugunsten eine später aufgenommenen Patienten beendet werden darf, dessen kurzfristige Überlebenswahrscheinlichkeit höher ist.

Dieses Verbot der sogenannten Ex-Post-Triage lehnen wir als Bundesärztekammer ab. Das gilt auch die Forde­rung der Verbände, welche Menschen mit Behinderungen vertreten. Diese fordern nämlich, dass das Los über die Zuteilung des letzten freien Platzes auf der Intensivstation entscheiden soll und wollen dies mit einem weiteren Verfahren vor dem Verfassungsgericht erreichen.

Im Berufsordnungsausschuss diskutieren wir über die Triage deshalb, weil das Gesetz eine Evaluationsklausel enthält und damit noch nicht das letzte Wort in dieser Frage gesprochen ist. Außerdem gibt uns der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts Anlass zu prüfen, ob wir in den Normtext der Muster-Berufsordnung eine Klar­stellung aufnehmen sollten, die verdeutlicht, dass auch das ärztliche Berufsrecht den Schutz vor Diskriminie­rung gewährleistet. Das der Berufsordnung vorangestellte Genfer Gelöbnis sei dafür, so meint das Gericht, zu allgemein abgefasst, obwohl wir das eigentlich für eine Selbstverständlichkeit halten.

DÄ: Ein weiteres sensibles Thema ist die geplante gesetzliche Neuregelung des assistierten Suizids. Der 124. Deutsche Ärztetag hatte das berufsrechtliche Verbot der ärztlichen Suizidbeihilfe aufgrund einer Grundsatz­entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gestrichen. Dennoch wird eine wie auch immer geartete gesetz­liche Regelung vor dem Hintergrund der ärztlichen Berufsethik und den Grundsätzen ärztlicher Berufsaus­übung bewertet werden müssen. Wie fällt Ihre Einschätzung der bislang vorliegenden Entwürfe aus?
Miller: Wir sind uns mit den meisten Kritikern einig, dass bei allen Entwürfen noch grundlegende Überarbei­tungen erfolgen sollten. Ob am Ende einer der Entwürfe oder ein aus den Entwürfen von Künast und Helling-Plahr entwickelter neuer Entwurf überhaupt eine parlamentarische Mehrheit findet, ist zurzeit völlig offen. Im März oder April werden wir dazu vermutlich mehr wissen.

Ich sehe mit Sorge, dass es am Ende darauf hinausläuft, dass wir als Ärztinnen und Ärzte diejenigen sind, auf welche der Suizidwillige angewiesen ist, wenn er das tödliche Medikament erhalten will. Das widerspricht unserer Berufsordnung, aus der sich ableiten lässt, dass die Hilfe beim Suizid keine ärztliche Aufgabe ist.

Klar ist, dass niemand verpflichtet ist, Suizidhilfe zu leisten, aber die Gesetzentwürfe beinhalten eine ent­sprechende Erwartung an uns. Wenn der nicht genügend Ärztinnen und Ärzte nachkommen, öffnet dies den Weg für Sterbehilfevereine.

DÄ: Derzeit wird intensiv über den Umgang mit investorengetragenen Medizinischen Versorgungszentren diskutiert. Die BÄK hat dazu konkrete Vorschläge für Gesetzesänderungen vorgelegt. Wie kann gewährleistet werden, dass die in investorengetragenen MVZ tätigen Ärztinnen und Ärzte ihre berufsrechtlichen Vorgaben einhalten können?
Miller: Das Berufsrecht ist hier klar. Ärztinnen und Ärzte dürfen hinsichtlich ihrer ärztlichen Entscheidungen keine Weisungen von Nichtärzten entgegennehmen. Unter Weisungen verstehen wir auch direktive „Empfeh­lungen“ oder mehr oder weniger subtil geäußerte Erwartungen, deren Nichterfüllung mit Nachteilen für die Ärztin oder den Arzt verbunden sind. Geschieht dies trotzdem, ist es der Ärztin oder dem Arzt nicht zumutbar, dass er seine berufsrechtlichen Pflichten verletzt. Er hat dann ein Leistungsverweigerungsrecht gegenüber dem MVZ-Träger.

Wir wollen aber, dass das Berufsrecht noch mehr Beachtung findet. Dazu muss man die Funktion der Ärztli­chen Leitung in einem MVZ stärken und dem MVZ muss die Zulassung entzogen werden, wenn es nicht ge­währleistet, dass die bei ihm Angestellten das Berufsrecht beachten können. Bei geringfügigen Verstößen muss es zudem möglich sein, den Träger des MVZ disziplinarisch zu belangen. Dass soll auch gelten, wenn Zielvereinbarungen abgeschlossen werden, welche Anreize zu medizinisch nicht indizierten Leistungsaus­weitungen setzen.

DÄ: Welche weiteren berufsrechtlichen Themen werden Sie in diesem Jahr beschäftigen?
Miller: Wir haben uns vorgenommen, die Regelungen zur beruflichen Kooperation innerhalb des Berufsstan­des, aber auch zur Kooperation mit Angehörigen anderer Gesundheitsfachberufe zu modernisieren. Die Vor­schriften haben wir im Jahr 2004 neu gefasst und seitdem hat sich Einiges im Gesundheitswesen getan. Ich bin optimistisch, dass die Berufsordnung übersichtlicher und vielleicht sogar schlanker wird.

Konkreter Anlass war ein Gesetz, mit dem das Personengesellschaftsrecht mit Beginn des kommenden Jahres reformiert wird. Da viele Ärztinnen und Ärzte in der Rechtsform der Gesellschaft bürgerlichen Rechts oder der Partnerschaftsgesellschaft zusammenarbeiten, sind sie davon betroffen. Sie sollten sich deshalb in diesem Jahr auf jeden Fall zusammen mit einem Rechtskundigen ihren Praxisvertrag ansehen und im Berufsord­nungsausschuss tun wir das gleiche mit der Muster-Berufsordnung.

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