Pro und Contra: Sollte es für Medizinprodukte hoher Risikoklassen eine behördliche Zulassung geben?
Straßburg/Köln – Das Europäische Parlament hat heute in Straßburg zwei neue Verordnungen zu Medizinprodukten und In-vitro-Diagnostika verabschiedet. Diese sollen künftig unter anderem strenger überwacht werden. Eine behördliche Zulassung für hohe Risikoklassen ist jedoch nach wie vor nicht vorgesehen. Wäre diese nötig gewesen? Ein Pro und Contra.
Pro: Stefan Sauerland: Es besteht weiterhin die Gefahr, dass Medizinprodukte nicht ausreichend und regional uneinheitlich geprüft werden.
Dass neue Medizinprodukte hoher Risikoklassen Schaden verursachen können, haben Patientinnen und Patienten leidvoll erfahren müssen. Ihr Risiko ist mindestens genauso hoch wie bei Arzneimitteln, und es wurden in den vergangenen Jahren immer invasivere Medizinprodukte entwickelt.
Medizinisch ist daher nicht nachvollziehbar, warum Arzneimittel zentral durch die Europäische Arzneimittelagentur zugelassen werden, Medizinprodukte hoher Risikoklassen aber weiterhin dezentral durch die über 50 benannten Stellen in Europa zertifiziert werden können. Die historisch gewachsene Sonderrolle der Medizinprodukte hat sich überholt.

Bei Arzneimitteln ist unstrittig, dass jede neue pharmakologische Substanz in randomisiert kontrollierten Studien (RCTs) klinisch geprüft wird. Bei Medizinprodukten dagegen schreiben die neuen EU-Richtlinien solche Studien nicht zwingend vor, weil man zwischen nur modifizierten und gänzlich neuen Produkten unterscheiden will.
Angesichts dieser Ermessensspielräume und der Komplexität der Bewertung erscheint es fahrlässig, dass weiterhin gewinnorientierte privatwirtschaftliche Unternehmen diese für die Patientensicherheit so wichtige Aufgabe übernehmen. Auch wenn die EU die Überwachung der benannten Stellen verstärken will, besteht weiterhin die Gefahr, dass Medizinprodukte nicht ausreichend und regional uneinheitlich geprüft werden.
Contra: Peter Liese: Staatliche Vorabzulassung schützt nicht vor Betrug
Es ist unbestritten, dass aus den Skandalen bei schadhaften Brustimplantaten, aber auch vielen anderen Bereichen, Konsequenzen gezogen werden müssen. Aber es müssen die richtigen sein. Im Falle von Poly Implant Prothèse (PIP) lag das Problem nicht bei den Kontrollen vor dem Inverkehrbringen des Produktes, sondern es wurde hinterher in betrügerischer Absicht das Produkt geändert. In diesem Fall hätte eine staatliche Zulassung nicht geholfen.

Wichtig sind Kontrollen nach dem Inverkehrbringen und zwar auch unangemeldet. Diese Kontrollen werden durch die neue EU-Verordnung zu Medizinprodukten jetzt endlich rechtsverbindlich eingeführt. Es gab auch Schwächen im System der benannten Stellen, aber auch hier wird Abhilfe geschaffen, indem zum Beispiel Experten aus anderen Mitgliedstaaten kontrollieren, ob die benannten Stellen richtig arbeiten. Bei Hochrisiko-Produkten wird zusätzlich ein System der Überwachung durch ein Expertengremium eingeführt.
Ich bin überzeugt, dass dieser Ansatz besser ist als eine Umstellung auf ein staatliches System. Denn erstens garantiert ein staatliches System nicht, dass es keine Skandale gibt. Dies haben wir leider im Arzneimittelbereich erleben müssen. Zweitens wäre die vollständige Umstellung eine Sache von vielen Jahren, vielleicht sogar Jahrzehnten, da die staatlichen Behörden, insbesondere die Europäische Arzneimittelagentur in London, gar keine Experten für Medizinprodukte haben. Daher bin ich fest davon überzeugt, dass die jetzt beschlossene Verordnung Patienten besser schützt, als es jedes staatliche System tun könnte.
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