Ausland

Pro und Contra: Sollte es für Medizinprodukte hoher Risikoklassen eine behördliche Zulassung geben?

  • Mittwoch, 5. April 2017

Straßburg/Köln – Das Europäische Parlament hat heute in Straßburg zwei neue Verord­nungen zu Medizinprodukten und In-vitro-Diag­nos­tika verabschiedet. Diese sollen künftig unter anderem strenger überwacht werden. Eine behördliche Zulassung für hohe Risiko­klassen ist jedoch nach wie vor nicht vorgesehen. Wäre diese nötig gewe­sen? Ein Pro und Contra.

Pro: Stefan Sauerland: Es besteht weiterhin die Gefahr, dass Medizin­produkte nicht ausreichend und regional uneinheitlich geprüft werden.
 

Dass neue Medizinprodukte hoher Risikoklassen Schaden verursachen können, haben Pa­tientinnen und Patienten leidvoll erfahren müssen. Ihr Risiko ist mindestens genauso hoch wie bei Arzneimitteln, und es wurden in den vergangenen Jahren immer invasivere Medizinprodukte entwickelt.

Medizinisch ist daher nicht nachvollziehbar, warum Arznei­mittel zentral durch die Euro­päische Arzneimittel­agentur zugelassen werden, Medizin­pro­dukte hoher Risikoklassen aber weiterhin dezentral durch die über 50 benannten Stellen in Europa zertifiziert wer­den können. Die historisch gewachsene Sonderrolle der Medizin­produkte hat sich über­holt.

Uploaded: 05.04.2017 16:23:01 by maybaum
Stefan Sauerland, Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen /IQWiG

Bei Arzneimitteln ist unstrittig, dass jede neue pharma­ko­logische Substanz in randomi­siert kontrollierten Stu­dien (RCTs) klinisch geprüft wird. Bei Medizinprodukten dagegen schreiben die neuen EU-Richtlinien solche Stu­­dien nicht zwingend vor, weil man zwischen nur modi­fi­zierten und gänzlich neuen Produkten unter­scheiden will.

Angesichts dieser Er­messensspielräume und der Kom­plexität der Bewertung erscheint es fahrlässig, dass wei­terhin gewinnorientierte privatwirtschaftliche Unter­neh­men diese für die Patienten­si­cher­heit so wichtige Auf­ga­be übernehmen. Auch wenn die EU die Überwa­chung der be­nannten Stellen verstärken will, besteht weiterhin die Gefahr, dass Medizinprodukte nicht aus­rei­chend und regional uneinheitlich geprüft werden.

Contra: Peter Liese: Staatliche Vorabzulassung schützt nicht vor Betrug

Es ist unbestritten, dass aus den Skandalen bei schadhaften Brustimplantaten, aber auch vielen anderen Bereichen, Konsequenzen gezogen werden müssen. Aber es müss­en die richtigen sein. Im Falle von Poly Implant Prothèse (PIP) lag das Problem nicht bei den Kontrollen vor dem Inverkehrbringen des Produktes, sondern es wurde hinterher in betrügerischer Absicht das Produkt geändert. In diesem Fall hätte eine staatliche Zu­lassung nicht geholfen.

Uploaded: 05.04.2017 16:27:43 by maybaum
Peter Liese, EU-Parlamentarier der Fraktion der Europäischen Volks­partei, EVP /dpa

Wichtig sind Kontrollen nach dem Inverkehrbringen und zwar auch unangemeldet. Diese Kontrollen werden durch die neue EU-Verordnung zu Medizinprodukten jetzt endlich rechtsverbindlich eingeführt. Es gab auch Schwächen im System der benannten Stellen, aber auch hier wird Abhilfe geschaffen, indem zum Beispiel Experten aus anderen Mit­glied­staaten kontrollieren, ob die benannten Stellen richtig arbeiten. Bei Hochrisiko-Pro­­dukten wird zusätzlich ein System der Überwachung durch ein Expertengremium einge­führt.

Ich bin überzeugt, dass dieser Ansatz besser ist als eine Umstellung auf ein staatliches System. Denn ers­tens garantiert ein staatliches System nicht, dass es keine Skandale gibt. Dies haben wir leider im Arzneimittelbereich erleben müssen. Zwei­tens wäre die voll­ständige Umstellung eine Sache von vielen Jahren, vielleicht sogar Jahr­zehnten, da die staatlichen Behörden, insbesondere die Europäische Arzneimittel­agentur in London, gar keine Experten für Medizinprodukte haben. Daher bin ich fest davon überzeugt, dass die jetzt beschlossene Verordnung Patienten besser schützt, als es jedes staatliche System tun könnte.

EB

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