Politik

GKV-Spargesetz: Bundeskabinett billigt Lauterbachs Entwurf

  • Mittwoch, 27. Juli 2022
Robert Habeck (Grüne), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, spricht mit Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, vor Beginn der Sitzung des Bundeskabinetts im Kanzleramt. Da Bundeskanzler Scholz im Urlaub weilt, vertritt ihn Habeck in seiner Funktion als Vizekanzler. /picture alliance, Michael Kappeler
Robert Habeck (Grüne), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, spricht mit Karl Lauterbach (SPD), Bundesminister für Gesundheit, vor Beginn der Sitzung des Bundeskabinetts im Kanzleramt. Da Bundeskanzler Scholz im Urlaub weilt, vertritt ihn Habeck in seiner Funktion als Vizekanzler. /picture alliance, Michael Kappeler

Berlin – Das Bundeskabinett hat das Sparpaket zum Ausgleich des Milliardendefizits in der gesetzlichen Kran­kenversicherung (GKV) abgesegnet. Die nun gebilligte Vorlage enthält alle wesentlichen Vorhaben, die Bun­des­gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) zuvor angekündigt hatte, auch die Streichung der Neupatien­tenregelung.

Das wichtigste sei, dass es weiterhin keine Leistungskürzungen geben werde, betonte Lauterbach heute Nach­mittag in Berlin. Damit widersprach er erneut einer Vielzahl Kassenärztlicher Vereinigungen und Verbänden der Ärzteschaft, die seit Wochen kritisieren, die Streichung der extrabudgetären Vergütung von Neupatienten aus dem Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) sei genau das, eine Leistungskürzung.

Die Ärzte erklären, das Ende der Regelung werde dazu führen, dass Patienten schwieriger und später einen Ersttermin erhal­ten. Lauterbach widersprach ganz konkret: Die Neupatientenregelung habe sich nicht be­währt, sagte er. „Empirische Arbeiten geben keinen Hinweis darauf, dass auch nur ein einziger Patient zu­sätzlich behandelt wurde wegen dieser Regelung“, sagt er. Es gebe gar keine Möglichkeiten, genau zu prüfen, wer ein Neupatient ist und wer nicht.

Tatsächlich widersprach Lauterbach damit dem Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi), das just heute Zahlen zur Wirkung der Neupatientenregelung veröffentlicht hat. Demnach wurde mehr als jeder vierte gesetzlich krankenversicherte Patient von der Regelung begünstigt, besonders Kinder und Jugendliche sowie Patienten in erwerbsfähigen Altersgruppen.

So sei die Anzahl der Neupatienten im vierten Quartal 2021 gegenüber dem vierten Quartal 2019 um zwölf Prozent gestiegen, obwohl die ärztlichen Behandlungskapazitäten in diesen zwei Jahren eher weniger als mehr geworden seien.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) kritisiert Lauterbachs Festhalten an der Streichung deshalb scharf. „Der Minister behauptet, die Neupatientenregelung habe nichts gebracht. Das stimmt einfach nicht“, sagte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende Stephan Hofmeister.

Mit dem Gesetz konterkariere Lauterbach den Koalitionsvertrag, laut dem die ambulante Versorgung gestärkt werden sollte, kritisiert auch KBV-Vorstandschef Andreas Gassen. Viele Ärztinnen und Ärzte könnten nun gar nicht mehr anders als das Terminangebot zurückzufahren.

„Die Maske ist gefallen. Karl Lauterbach will die Versorgung der Bürger einschränken“, erklärte Gassen. „Dieses Gesetz ist ein Schlag ins Gesicht der Patientinnen und Patienten in Deutschland. Und das müssen wir den Men­schen auch so sagen.“ Der KBV-Vorstand werde sich nun mit den Kassenärztlichen Vereinigungen und den Berufsverbänden zum weiteren Vorgehen zu beraten und abstimmen.

Es handele sich bei der Streichung der Neupatientenregelung um „eine Maßnahme, die mir besonders wichtig war“, sagte Lauterbach. Denn das TSVG und die darin vorgesehenen Servicestellen würden in der Zukunft eine noch größere Rolle spielen als bisher, „weil wir sie integrieren wollen in die sogenannten Gesundheitskioske, die wir derzeit vorbereiten“.

Lauterbach hatte im Mai angekündigt, noch in diesem Jahr Pläne vorzulegen, wie das Konzept der Gesund­heits­kioske weiterentwickelt werden kann. Sie sollen vor allem in unterversorgten Gebieten und Brenn­punk­ten ausgebaut und Teil der Regelversorgung werden. Die Vorarbeiten dafür seien schon weit fortgeschritten und er werde voraussichtlich in Kürze seine Pläne für eine bundesweite Einführung vorstellen.

Kein Einsparpotenzial sieht Lauterbach hingegen bei den Krankenhäusern. Zwar sollen ab 2024 nur noch die Pflegepersonalkosten qualifizierter Pflegekräfte, die in der unmittelbaren Patientenversorgung auf betten­füh­renden Stationen eingesetzt sind, im Pflegebudget berücksichtigt werden können. Dadurch werde aber nur eine doppelte Vergütung bereinigt.

Die Krankenhauskommission erarbeite bereits konkrete Vorschlägen für strukturelle Reformen, die bereits morgen in einer Bund-Länder-Runde erstmals besprochen werden sollen. Doch müsse dann bei Maßnahmen auch auf die schwierige wirtschaftliche Lage geachtet werden.

Viele Krankenhäuser würden in den kommenden Wochen wohl enorm hohe Gasrechnungen zu stemmen ha­ben. „Die Situation der Krankenhäuser ist mir sehr präsent und ich sehe, dass es dort Schwierigkeiten geben wird“, erklärte Lauterbach.

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) zeigt sich davon nicht überzeugt. Es sei „nicht nachvollziehbar“, dass Lauterbach ausdrücklich erwähnt, welche Belastungen auf die Krankenhäuser in den kommenden Wo­chen zukommen, den Kliniken aber gleichzeitig einmal 375 Millionen Euro entzieht, kritisiert der DKG-Vor­standsvorsitzende Gerald Gaß.

Die Streichungen bei der Pflegevergütung führe dazu, dass Krankenhäuser Mitarbeiter aus der Pflege abzie­hen müssen. „Im Extremfall würde dieses Gesetz dazu führen, dass bis zu 20.000 Arbeitsplätze gefährdet wä­ren“, warnt Gaß. „Ein Wahnsinn angesichts des Personalmangels.“ Notwendig seien stattdessen entschiedene politische Schritte zum Personalaufbau und zur Entlastung.

Keine schwierige Wirtschaftslage sieht Lauterbach hingegen bei der Pharmaindustrie. Deren Einwände, seine Sparpläne würden den Innovationsstandort Deutschland gefährden, wies Lauterbach zurück. Im Gegenteil habe die Branche ihre Umsätze gesteigert: Vergangenes Jahr seien die Ausgaben ohne Impfstoffe und COVID-Medikamente um 13 Prozent gestiegen, dieses Jahr werde immer noch mit acht Prozent gerechnet.

Es gebe deshalb keinerlei Hinweise darauf, dass die Industrie es nicht verkraften würde, wenn man sie etwas mehr zur Kasse bittet. „Wir sehen keine Abwanderung. Wir sehen keine Insolvenz. Aber wir sehen weiter Ge­winne“, erklärte er und warf den Branchenverbänden indirekt vor, es mit der Wahrheit nicht so genau zu neh­men: Man müsse zwischen dem unterscheiden, was von ihnen vorgetragen wird und plausibel klingt – und zwischen dem, was empirisch belegt werden kann.

Deshalb bleibt es im Wesentlichen bei den bisher bekannten Maßnahmen. Allerdings ist im aktualisierten Gesetzentwurf, der dem Deutschen Ärzteblatt vorliegt, nicht mehr wie bisher die Rede von einer „Solidaritäts­ab­gabe pharmazeutischer Unternehmer“, die jährlich eine Milliarde Euro einbringen soll.

Stattdessen hat Lauterbach an selber Stelle präzisiert, was darunter zu verstehen ist: Der allgemeine Herstel­ler­abschlag, der insbesondere für patentgeschützte Arzneimittel gilt, soll befristet auf ein Jahr um fünf Pro­zent angehoben werden – von derzeit sieben auf dann zwölf Prozent. Außerdem sollen das Preismoratorium über den 31. Dezember 2022 hinaus um vier weitere Jahre verlängert und der Apothekenabschlag für zwei Jahren von 1,77 auf zwei Euro erhöht werden.

Die Pharmaindustrie zeigt sich weiterhin entsetzt angesichts dieser Sparpläne: „Das Gesetz ist für die in Deutschland tätigen forschenden Pharmaunternehmen eine Zäsur“, sagte Han Steutel, Präsident des Verbands der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa). „Pharmazeutische Innovationen und Investitionen in Deutschland sind dadurch für die kommenden Jahre gefährdet.“

Bei der Apothekerschaft hingegen wolle er sich „ganz herzlich bedanken“, betonte Lauterbach. „Sie spielen eine immer größere Rolle bei der Art und Weise, wie wir die medizinische Versorgung organisieren.“

Lauterbach nannte dabei insbesondere das Impfgeschehen, bei dem sich die Apotheken immer weiter ein­brin­gen, spielte aber auch auf die von großen Teilen der Ärzteschaft abgelehnte Neuerungen wie die vergüteten pharmazeutischen Dienstleistungen (pDL) an – und kündigte an, diesen Weg weiterzugehen: „Wir öffnen Apo­theken zunehmend für Leistungen.“

Die Krankenkassen wiederum sollen ihren Beitrag leisten, indem sie „nicht notwendige Finanzreserven“ von vier Milliarden Euro abschmelzen. Aus dem Gesundheitsfonds sollen außerdem 2,4 Milliarden Euro entnom­men werden.

Im Kassenlager ist die Stimmung entsprechend ebenfalls schlecht. „Dieses Gesetz enthält keinerlei Maßnah­men für eine kurz- oder langfristige Stabilisierung der GKV-Finanzen. Beiträge werden hochgeschraubt, Rück­lagen eingezogen und Schulden gemacht“, kritisierte Jens Martin Hoyer, Vorstandsvize des AOK-Bundesver­bands.

Auch die marginalen Änderungen im Vergleich zum Referentenentwurf wie die einmalige Erhöhung des Her­stellerabschlags oder die Aussetzung der verschärften Regelungen zur Anhebung des Zusatzbeitrags für ein Jahr würden daran nichts ändern, sagt Hoyer: „Diese kosmetischen Anpassungen verstärken den Eindruck, dass das Ziel einer nachhaltigen Finanzierung der GKV weit verfehlt wird. Es handelt sich um ein kurzatmiges Einjahres-Gesetz“.

lau

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