Hälfte der Kleinkinder unvollständig geimpft

Berlin – Rund die Hälfte der 2016 geborenen Kinder ist bis zum zweiten Geburtstag nicht vollständig geimpft gewesen. Sie hatten nicht alle zur vollständigen Immunisierung nötigen Teilimpfungen erhalten. Das zeigt eine aktuelle Auswertung der Techniker Krankenkasse (TK), deren Ergebnisse heute in Berlin vorgestellt wurden.
Demnach waren nur 47 Prozent der untersuchten rund 100.000 Kinder vollständig geimpft. Gar keine der von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen 13 Impfungen erhalten hatten 3,6 Prozent der Kinder.
Die Auswertung zeigt außerdem große regionale Unterschiede auf: Während in Hessen 69 Prozent und in Sachsen 62 Prozent der Kinder im Alter von zwei Jahren nicht vollständig geimpft waren, waren es in Sachsen-Anhalt und Brandenburg jeweils 39 Prozent, in Mecklenburg-Vorpommern 37 Prozent.
Jens Baas, Vorstandsvorsitzender der TK, wies darauf hin, dass es sich bei den Eltern der 47 Prozent, nicht vollständig geimpften Kinder keineswegs um Impfgegner handele. „Sie lassen ihre Kinder prinzipiell impfen. Wir sollten uns darum bemühen, dass die Kinder ihre restlichen Teilimpfungen bekommen.“
Eine allgemeine Impfpflicht könne allerdings immer nur der letzte Ausweg sein, betonte Baas. Er plädierte dafür, dass Krankenkassen die Eltern proaktiv und nachhaltig auf vergessene Impfungen hinweisen dürfen sollten. Dies könnte zum Beispiel eine Anwendung der elektronischen Patientenakte sein, aber derzeit erlaubten die rechtlichen Vorgaben keine entsprechenden digitalen Erinnerungen.
Die Gründe dafür, seine Kinder oder sich selbst nicht impfen zu lassen, sind vielfältig: In Deutschland relevant seien vor allem ein zu geringes Vertrauen in Sicherheit und Effektivität von Impfungen, praktische Barrieren wie Stress, Zeitnot und Aufwand sowie eine fehlende Risikowahrnehmung für die Krankheiten, gegen die geimpft werde, erklärte Cornelia Betsch, Professorin für Gesundheitskommunikation an der Universität Erfurt. Aber auch an der Bereitschaft, andere durch eine Impfung zu schützen, mangelt es laut einer Analyse, die auf Daten der Infektionsschutzstudie basiert.
Vor einer Impfpflicht müssen Alternativen erprobt werden
Interventionen zu Verbesserung der Impfquoten müssten an diesen Gründen ansetzen, so Betsch. Sie nannte als mögliche Ansätze unter anderem, das Vertrauen in Impfungen zu stärken, die Risikowahrnehmung zu verändern, praktische Barrieren abzubauen und das Prinzip des Gemeinschaftsschutzes zu erklären.
Auch durch eine allgemeine Impfpflicht würden sich zwar Barrieren abbauen lassen, so Betsch, aber zuvor habe „Deutschland noch Hausaufgaben zu erledigen“. Bisher seien zwar die Gründe, weshalb Menschen sich oder ihre Kinder nicht impfen lassen, gemessen worden – „aber es wurde nicht mit flächendeckenden Interventionen darauf reagiert“.
Auch die Einrichtung eines Impfregisters oder automatische Erinnerungen an anstehende Impfungen seien als Alternative zu einer Impfpflicht noch nicht ausprobiert worden. Und ein großes Problem – wenn auch eines, an dem gerade gearbeitet werde – sei, dass der Impfkurs nicht mehr Bestandteil der Ärzteausbildung sei. Aber auch Gespräche mit impfkritischen Eltern zu führen, müssten gelernt werden.
Angesichts der für März 2010 geplanten Masernimpfpflicht betonte die Expertin: Insbesondere vor der Einführung einer teilweisen Impfpflicht ist zu warnen. Andere freiwillige Impfungen können so weniger wichtig erscheinen oder von impfkritischen Personen häufiger weggelassen werden.“
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