Ärzteschaft

Tausende Apotheken und Hausarztpraxen aus Protest geschlossen

  • Mittwoch, 15. November 2023
Apotheker-, Hausarzt-, und Zahnarztverbände haben zum gemeinsamen Protesttag aufgerufen. Zusammen wollen sie auf Missstände in der ambulanten Gesundheitsversorgung aufmerksam machen. /picture alliance, Bernd Thissen
Apotheker-, Hausarzt-, und Zahnarztverbände haben zum gemeinsamen Protesttag aufgerufen. Zusammen wollen sie auf Missstände in der ambulanten Gesundheitsversorgung aufmerksam machen. /picture alliance, Bernd Thissen

Berlin/Dortmund – Weil Apotheker und Hausärzte die ambulante Gesundheitsversorgung bedroht sehen, sind heute aus Protest in Nordrhein-Westfalen die meisten der 4.000 Apotheken sowie zahlreiche Hausarztpraxen geschlossen geblieben. Auch in anderen Bundesländern gab es Proteste.

Zu einer zentralen gemeinsamen Kundgebung in Dortmund kamen am Mittag nach Polizeiangaben knapp 5.000 Apotheker, Mediziner und deren Mitarbeiter, um ihrem Ärger über die Gesundheitspolitik der Bundes­regierung Luft zu machen. Mit Trillerpfeifen und Transparenten zogen sie durch die Innenstadt und riefen unter anderem: „Wir sind hier, wir sind laut, weil man uns Gesundheit klaut“.

Gemeinsam beklagen die Berufsgruppen eine jahrelange Unterfinanzierung bei massiv gestiegenen Kosten, eine überbordende Bürokratie, massive Lieferengpässe bei Arzneimitteln und fehlende Konzepte der Politik, um auf den Fachkräftemangel und andere Probleme zu reagieren. Sie befürchten, dass unter den geltenden Bedingungen weitere Apotheken und Hausarztpraxen schließen müssen.

„Dass sich beide Berufsgruppen zusammentun und sich so viele Apotheken und Praxen an diesem Protest beteiligen, hat es noch nie gegeben“, sagte Gabriele Regina Overwiening, Präsidentin der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände in Dortmund. Es werde immer schwieriger die Patienten und Patientinnen vor Ort vernünftig zu versorgen. „Wir können unseren gesetzlichen Auftrag nicht mehr erfüllen“, so Overwiening.

Adressat der Kritik der Protestierenden ist die Bundesregierung, allen voran Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Es fehle ein echter Austausch auf Augenhöhe, kritisierte Overwiening. „Anstatt dass der Minister mit uns diskutiert, gibt er seine als Reform getarnten zerstörerischen Vorschläge an die Presse weiter“, so die Verbandspräsidentin. So sei der „Sinkflug der Apotheken“ nicht zu stoppen.

Viel Applaus bekam die Patientenbeauftragte der NRW-Landesregierung Claudia Middendorf (CDU) von den Demonstrierenden für ihren Vorschlag, Lauterbach müsse „mal ein Praktikum vor Ort“ machen, um sich von den schwierigen Bedingungen für die Patienten zu überzeugen.

Viele Entscheidungen der Berliner Gesundheitspolitik sorgten für ein „Schwanken im Gesundheitssystem“, so Middendorf. Im Sinne der Patientenversorgung unterstütze sie die Apotheker in ihrer Forderung nach höheren Vergütungen.

„Wir haben immer mehr zu tun und immer höhere Kosten, ohne dass die Vergütung in den letzten zehn Jahren angepasst wurde“, sagte Thomas Rochell, Chef des Apothekerverbandes Westfalen-Lippe. Das kritisiert auch die Gewerkschaft der Apothekenangestellten: Es fehle der Spielraum angemessene Tarifgehälter für die angestellten Mitarbeiter auszuhandeln, so Bundesvorstand Andreas May.

Zur Kundgebung kamen den Angaben zufolge auch Apothekenteams aus Hessen, Rheinland-Pfalz und dem Saarland. Die Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände hat den gesamten November als Protestmo­nat ausgerufen – mit tageweisen Schließungen in jeweils mehreren Bundesländern.

Auch bei den Hausärzten sei die Bereitschaft groß gewesen, sich an der Protestschließung zu beteiligen, sagte Lars Rettstadt, Vorsitzender des Hausärzteverbandes Westfalen-Lippe. Vor allem in den ländlichen Gebieten, wo der Druck auf die hausärztliche Versorgung schon jetzt enorm sei, hätten sich viele Kollegen angeschlos­sen. „Wir haben Regionen, da steht heute nur die notärztliche Versorgung zur Verfügung“, so Rettstadt.

Dies sei ein Vorgeschmack auf das, was drohe, wenn sich nichts ändere, betonte Volker Schrage, Vize-Vorsit­zen­der der Kassenärztlichen Vereinigung Westfalen-Lippe. Er fürchte einen „Praxenkollaps“ bei den nieder­gelassenen Ärztinnen und Ärzten, wenn die aktuelle Politik der Unterfinanzierung anhalte.

Das medizinische Personal sei nicht mehr zu finden, weil sie von Kliniken abgeworben würden, berichtete Hausärztevertreter Rettstadt. Viele Praxen müssten außerdem dauerhaft schließen, wenn sich kein Nachfolger finde. „Wir wollen Respekt für das, was wir tun – und das Geld dafür“, brachte Rettstadt das Kernanliegen seiner Kollegen auf den Punkt. „Das wird nicht das letzte Mal sein, das wir gemeinsam unseren Protest zeigen werden“, kündigte er an.

Auch die Apotheken in Rheinland-Pfalz und dem Saarland protestierten heute gegen die Bundespolitik. „Wir nehmen an dem Streik teil, weil die Arbeitsbedingungen für Apotheken immer schlechter werden, die Wert­schätzung unserer Arbeit in der Politik immer weiter sinkt, und gleichzeitig der Aufwand für uns immer weiter steigt, technisch, finanziell, personell, logistisch, bürokratisch“, teilte etwa die Moselweiß-Apotheke in Koblenz mit.

Tausende Apotheken in Bayern und Baden-Württemberg sollen am Mittwoch nächster Woche geschlossen bleiben. Gemeinsam wollen die Apotheker am 22. November unter anderem für die Erhöhung ihres Honorars protestieren, wie der Landesapothekerverband Baden-Württemberg mitteilte. Auch Lieferengpässe, gestiegene Kosten und Personalsorgen seien Gründe für den Protesttag.

„Viele meiner Kolleginnen und Kollegen stehen mit dem Rücken zur Wand“, erläuterte die Präsidentin des Landesapothekerverbandes Baden-Württemberg, Tatjana Zambo. Die Vergütung sei seit über zehn Jahren nicht mehr angepasst worden. Außerdem habe die Politik keine geeigneten Maßnahmen gegen die Lieferengpässe ergriffen.

dpa

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung