Warnung vor dem Kollaps der ambulanten Versorgung

Berlin – Die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) in Deutschland fordern im Vorfeld einer Krisensitzung am 18. August in Berlin mehr Wertschätzung für die ambulante Versorgung und einen Ausgleich für die gestiegenen Energiekosten und die Inflation.
„Die Praxen können die gestiegenen Kosten nicht über höhere Preise ausgleichen, sondern müssen sie aus der eigenen Tasche bezahlen. Die Einnahmen können immer weniger auch nur die notwendigsten Ausgaben decken“, sagte Klaus Heckemann, Vorstand der KV Sachsen, bei der heute startenden bundesweiten Aktion aller KVen unter dem Motto „PraxenKollaps – Praxis weg! Gesundheit weg!“
„Einnahmen und Ausgaben klaffen immer weiter auseinander“, warnten die Vorstände der KV Bremen, Bernhard Rochell und Peter Kurt Josenhans. „Die Stimmung bei den Ärztinnen und Ärzten ist – wie auch beim Praxispersonal – auf dem Tiefpunkt angelangt“, erklärte Dirk Spelmeyer, Vorstandsvorsitzender der KV Westfalen-Lippe.
Die Entwicklung wirkt sich nicht nur auf die aktuelle Versorgung aus, sondern betrifft laut der Kampagne auch den Nachwuchs für die ambulante Medizin. „Für künftige Medizinergenerationen wird die ambulante Versorgung zunehmend unattraktiver“, erklärte der Vorstand der KV Bayerns, Christian Pfeiffer, Peter Heinz und Claudia Ritter-Rupp.
Dies betreffe auch das Praxispersonal: „Medizinische Fachangestellte verlassen die Praxen in Richtung Krankenhäuser, weil sie dort besser verdienen“, sagte Jörg Böhme, Vorstandsvorsitzender der KV Sachsen-Anhalt.
Kritik üben die KVen an der Prioritätensetzung der Politik: Dringend reformbedürftige Klinikstrukturen würden derzeit mit Milliardenbeträgen vom Staat bezuschusst. Ambulant tätige Ärzte und Psychotherapeuten blieben mit den steigenden Kosten hingegen sich selbst überlassen, kritisierte Catrin Steiniger, Vorsitzende der KV Brandenburg.
So sieht es auch die KV Hessen: „Die Politik muss sich entscheiden: Will sie weiterhin Milliardenbeträge in ein marodes Krankenhaussystem stecken und damit auch die kleinste Dorfklinik mit schlechter Qualität am Leben erhalten? Oder will sie in das System der ambulanten Versorgung investieren, in dem derzeit noch 95 Prozent der Behandlungsfälle versorgt werden?“, fragten die Vorstandsvorsitzenden Frank Dastych und Armin Beck.
„Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) und die Krankenkassen müssen jetzt dringend handeln, da sonst eine flächendeckende ambulante Patientenversorgung nicht mehr gewährleistet werden kann“, warnte der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV Niedersachsen, Thorsten Schmidt.
Die KV Berlin erwartet daher bei den anstehenden Finanzierungsverhandlungen zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung (KBV) und Krankenkassen eine „deutliche Steigerung des Orientierungswertes und damit der Preise für alle ärztlichen und psychotherapeutischen Leistungen“.
„Nachdem die Budgetentwicklung mehrere Jahre in Folge hinter der Inflation zurückgeblieben ist, reicht das Geld für die steigende Leistungsnachfrage der gesetzlich krankenversicherten Patienten einfach nicht mehr aus. Die Folge sind immer mehr Versorgungsengpässe, die inzwischen fast alle Fachrichtungen betreffen“, betonte auch Annette Rommel, Vorstandsvorsitzende der KV Thüringen.
Sollten die Krankenkassen nicht bereit sein, Verantwortung für ihre Versicherten zu übernehmen und ausreichend Geld für die ambulante Versorgung zur Verfügung zu stellen, werde sich die schwierige wirtschaftliche Lage der Praxen weiter verschlechtern, warnte die KV Mecklenburg-Vorpommern. Dann sei letztlich zu überlegen, wie das Leistungsangebot für die Versicherten dem finanziellen Rahmen angepasst werden könne, hieß es aus der KV.
Die KV Baden-Württemberg warnt vor raschen Auswirkungen auf die Versorgung der Patienten: „Damit Wartezeiten nicht noch länger werden, müssen die Praxen in die Lage versetzt werden, die enorm gestiegenen Kosten zu stemmen. Ohne Kompensation werden die Praxen ihr Leistungsangebot zwangsläufig einschränken müssen“, erklärte der Vorstand der KV, Karsten Braun und Doris Reinhardt.
Schon jetzt sei die Unterfinanzierung des Systems für Patientinnen und Patienten in manchen Bereichen spürbar – es werde schwieriger, Arzttermine zu bekommen, warnte John Afful, Vorstandsvorsitzender der KV Hamburg.
„Es braucht schnell einen verbindlichen und langfristig angelegten Plan zur Beseitigung der seit Jahren herrschenden Unterfinanzierung und Benachteiligung der Praxen gegenüber dem stationären Bereich“, forderte der Vorsitzende der KV Nordrhein, Frank Bergmann.
Die Praxisinhaberinnen und -inhaber werden wegen der Inflation auch mit entsprechend höheren Lohnforderungen von den Gewerkschaften der ärztlichen Angestellten und des übrigen Praxispersonals konfrontiert. „In rheinland-pfälzischen Praxen bildet der Bereich Personal mit 58 Prozent den mit Abstand größten Kostenblock“, erläuterte der Vorsitzende des Vorstands der KV Rheinland-Pfalz, Peter Heinz.
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