Ärzteschaft

Ärzteschaft drängt auf eine ausreichende Finanzierung der ambulanten Versorgung

  • Montag, 11. September 2023
/photowahn, stock.adobe.com
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Berlin – Die Ärzteschaft – Ärztekammern und Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) – drängen weiter auf eine ausreichende Finanzierung der ambulanten Versorgung. Der Protest und der Ruf nach gesundheitspolitischen Kurskorrekturen setzt sich heute fort.

Eine Steigerung des für die vertragsärztliche Vergütung ausschlaggebenden Orientierungswerts (OW) mahnt die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Schleswig-Holstein im Rahmen der bundesweiten Aktion aller KVen unter dem Titel „PraxenKollaps – Praxis weg, Gesundheit weg!“ an.

„Um den drohenden Praxenkollaps zu verhindern, muss der OW für 2024 um 10,2 Prozent steigen, um einen vollen Inflationsausgleich zu gewährleisten und das Gehalt der Praxismitarbeiter auf ein auskömmliches Maß anheben zu können“, hieß es aus der KV.

Dieser grundsätzlichen Forderung schließt sich die KV Hessen an. „Hohe Teuerungsraten, massiv gestiegene Energiepreise und der umkämpfte Arbeitsmarkt stellen die niedergelassene Ärzteschaft in Hessen zusehends vor existenzielle Probleme“, erklärte die KV.

Schon seit Jahren verzeichne der OW nur marginale Zuwächse jeweils unterhalb der Inflationsrate, die nicht einmal mehr dazu ausreichten, um die laufenden Betriebs- und Personalkosten in den Praxen zu decken, so die Kritik der KV Hessen.

„Mehr als den vollen Inflationsausgleich“ verlangt auch die KV Niedersachsen. Die unveränderte Ignoranz von Krankenkassen und Politik gegenüber dem Leistungsbedarf in der ambulanten Versorgung führt zum wirt­schaft­lichen und personellen Austrockenen der Praxen“, kritisierte dessen Vorstandsvorsitzender Mark Barjenbruch.

Gegen die Budgetierung bei der Finanzierung ambulanter Leistungen wendet sich die KV Baden-Württemberg. „Entweder, wir müssen den Patientinnen und Patienten endlich reinen Wein einschenken und offen ausspre­chen, dass nur eine bestimmte Anzahl an Behandlungen pro Quartal vorgesehen ist oder die Budgetierung be­enden“, erläuterte der Vorstandsvorsitzende der KV, Karsten Braun.

Kritik kommt auch von der KV Thüringen: „Die Zeichen innerhalb unserer Kollegenschaft stehen auf Sturm“, sagte deren Vorsitzende Annette Rommel Ende vergangener Woche auf der KV-Vertreterversammlung. Sie kritisierte insbesondere die Abwertung der Selbstverwaltung in der politischen Diskussion.

Diese zähle „nicht mehr zu den Gesprächspartnern auf Augenhöhe“, so Rommel. „Das Ergebnis sind falsche Wei­chenstellungen für eine der wichtigsten Säulen der sozialen Sicherheit im Land – die ambulante Versorgung als ein Teil des noch immer – trotz allem – gut funktionierenden Gesundheitswesens in Deutschland“, sagte sie.

Auch die Vertragsärzte in Brandenburg sehen die medizinische Versorgung auf dem Land für die Zukunft infrage gestellt. „Wenn sich in der Wahrnehmung und der Bezahlung der ambulanten Strukturen nichts ändert, dann sehen wir die deutliche Gefahr, dass die individuelle Betreuung in der Fläche nicht mehr gewährleistet ist“, sag­te der stellvertretende Vorstandsvorsitzende der KV Brandenburg, Stefan Roßbach-Kurschat.

Die Ärzte kritisierten, dass nicht alle ihre Leistungen bezahlt werden. „Jede Leistung muss zu 100 Prozent be­rück­sichtigt werden, um Kalkulierbarkeit zu gewährleisten“, sagte der Vizevorstandschef, der Hausarzt in Nauen-Börnicke ist.

Der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt (KVSA), Jörg Böhme, rief heute erneut nach einem Inflationsausgleich und einem Aufschlages für die fehlenden Ausgleiche der vergangenen Jahre.

Für ihn haben diese Jahre auch gezeigt, dass das derzeitige Prinzip der Finanzierungsverhand­lungen nicht funk­tioniert. Es brauche ein verbindliches und langfristig angelegtes Maßnahmenpaket zur Beseitigung der seit Jah­ren herrschenden Unterfinanzierung und zunehmenden Benachteiligung der Praxen gegenüber dem stationä­ren Bereich, mahnte er.

„Was die Kassen bewusst auszuklammern scheinen, ist, dass Sparmaßnahmen auf dem Rücken der Praxen am Ende zwangsläufig auch zulasten der Patientinnen und Patienten gehen“, erklärten die drei Vorstände der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns, Christian Pfeiffer, Peter Heinz und Claudia Ritter-Rupp.

Sie forderten ein Umdenken bei den Krankenkassen her. „Ein qualitativ hochwertiges Gesundheitssystem funk­tioniert nur mit den Praxen der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten.“

Catrin Steiniger, Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KVBB), erklärte, die Krankenkas­sen müssten als Kostenträger endlich Verantwortung übernehmen. „Wer an der Finanzierung der ambulanten Versorgung spart, tut dies auf dem Rücken der Patientinnen und Patienten. Ohne eine angemessene Be­rücksichtigung der hohen Kostensteigerungen wird sich die ambulante Versorgung nicht sichern lassen.“

In den aktuellen Verhandlungen für das kommende Jahr biete der GKV-Spitzenverband 2,1 Prozent mehr Hono­rar für die ambulante Versorgung an, die Ärzte halten ein Plus von 10,2 Prozent für notwendig. Am Mittwoch steht die dritte Verhandlungsrunde mit der Kassenärztlichen Bundesvereinigung an.

Der Spitzenverband Fachärzte Deutschlands (Spifa) verwies auf die überdurchschnittliche Inflationsent­wick­lung seit Beginn des Ukraine-Krieges im Februar 2022 und die damit verbundenen überdurchschnittliche Kostensteigerungen, insbesondere bei Personal, Miete (Stichwort: Indexmieten), IT, Energie. Es brauche daher für die Niedergelassenen jetzt zusätzlich einen Inflationsausgleich im Honorar 2024.

Die Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen verabschiedete am Wochenende eine Resolution zum Thema. Darin heißt es, es sei für eine hochwertige Patientenversorgung unter anderem nötig, die Kranken­hausreform für länderspezifische Belange zu öffnen, eine auskömmliche Finanzierung der fachärztlichen und hausärztlichen Medizin im ambulanten Bereich zu schaffen.

Darüber hinaus seien Anreize für eine Niederlassung in ländlichen unterversorgten Gebieten zu verstärken, eine funktionierende digitale Infrastruktur einzurichten und die Gebührenordnung für Ärztinnen und Ärzte zu mo­der­nisieren.

„Die Delegiertenversammlung der Landesärztekammer Hessen befürchtet bei unveränderter Fortführung der gesundheitspolitischen Gesetzgebung einen Kollaps der stationären Versorgung, ein Ausbluten der haus- und fachärztlichen ambulanten Medizin und die Entwicklung einer Zweiklassen-Medizin zum Nachteil von bedürf­tigen Patientinnen und Patienten“, heißt es in der Resolution.

hil/dpa

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