Protestaktionen gegen Mittelkürzungen für Arztpraxen

Berlin – Scharfe Kritik am Umgang der Politik mit den ambulanten Versorgungsstrukturen haben heute zahlreiche Vertreter der Ärzteschaft im Schulterschluss mit den medizinischen Fachberufen geübt. Vor dem Brandenburger Tor in Berlin hatten sich hunderte Ärzte, Medizinische, Zahnmedizinische und Tiermedizinische Fachangestellte versammelt.
Die vertragsärztlichen Praxen würden in Teamarbeit gemeinsam für eine stets verlässliche medizinische Versorgung der Patientinnen und Patienten sorgen, diese Form der Verlässlichkeit sei auch von Politik zu wünschen, betonte Klaus Reinhardt, Vorstandsvorsitzender des Hartmannbundes und Präsident der Bundesärztekammer, im Rahmen der Kundgebung in Berlin.
Dem entgegenstehend plane aber Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach, mit einem „Federstrich“ im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz die Neupatientenregelung zu streichen und so die Bemühungen der Praxen für mehr Versorgungskapazitäten zu konterkarieren.
Anzahl der Neupatienten gestiegen
Dabei habe der SPD-Politiker sich selbst für diese Regelung eingesetzt und die Umsetzung ausdrücklich begrüßt. Anders als von einigen behauptet habe die Neupatientenregelung sehr wohl Erfolge vorzuweisen – die Daten des Zentralinstituts für die kassenärztliche Versorgung (Zi) würden dies belegen.
Das Zi wies anlässlich des heutigen bundesweiten Aktionstages der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte gegen die geplante Streichung der Neupatientenregelung nochmals darauf hin, dass die Anzahl der Neupatienten zwischen dem vierten Quartal 2019 und dem vierten Quartal 2021 um zwölf Prozent gestiegen ist.
Werde der nachweisbare verbessernde Effekt des Terminservice- und Versorgungsgesetzes (TSVG) auf die zeitnahe ärztliche Behandlung von Patienten zurückgenommen, wird dies „unausweichlich zu einer Terminverknappung führen, die die Bevölkerung nur als GKV-Leistungskürzung wahrnehmen kann“, warnte der Vorstandsvorsitzende des Zi, Dominik von Stillfried.
Reinhardt thematisierte auch die Diskussion um eine Coronaprämie für das Praxispersonal. Die Medizinischen Fachangestellten (MFA) seien nicht vergessen, sondern „bewusst nicht mit einer Prämie bedacht“ worden. Aus seiner Sicht ein „Affront“, da die in den Praxen geleistete Arbeit ebenso strukturrelevant wie die in Krankenhäusern sei.
Eine gesamtgesellschaftliche Wertschätzung auch finanzieller Natur sei folgerichtig. Reinhardt sicherte zu, die Ärzteschaft werde sich auch weiterhin solidarisch mit dem Praxispersonal für eine Prämie einsetzen und „nicht locker lassen“.
Der Verband medizinischer Fachberufe (vmf) wies darauf hin, das es auch um eine grundsätzliche Stärkung der MFA als systemrelevante Gesundheitsberufe gehen müsse. Dazu brauche man die vollständige Gegenfinanzierung der Tarifsteigerungen und vor allem eine breite öffentliche Diskussion des Wertes von Arbeit im Gesundheitswesen – nicht nur im Bereich der Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen.
„Wir alle sind ein Team!“, betonte Peter Bobbert, Präsident der Ärztekammer Berlin. Die tägliche Arbeit in der Gesundheitsversorgung funktioniere nur als Teamleistung und wenn, darauf wies Bobbert ausdrücklich hin, auch alle im Team gewertschätzt würden.
Einige in der Politik hätten das noch nicht begriffen, wie die jüngsten Vorhaben zur Streichung finanzieller Mittel für das ambulante Versorgungssystem zeigten. Dies lasse man sich nicht gefallen. „Worte reichen eben nicht, am Ende müssten Tat und Geld folgen“, so der Kammerpräsident.
Im Rahmen der Kundgebung sichertern Vertreter der Oppositionsparteien im Bundestag ihre Unterstützung zu. Ates Gürpinar MdB (Linke), Mitglied im Gesundheitsausschuss des Bundestages, sagte, bei der Lösung der Herausforderungen im Gesundheitswesen sei es eben nicht mit einem Beifallklatschen getan. Finanzielle Mittel seien vorhanden, diese müssten nur entsprechend genutzt werden.
Die Bundestagsabgeordnete Emmi Zeulner (CDU/CSU-Fraktion), ebenfalls Mitglied im Gesundheitsausschuss, betonte, die Leistungen der Praxen und der MFA bei der Bewältigung der Coronapandemie erkenne man durchaus an. Die Unionsfraktion habe unter anderem Vorstöße im Bundestag in Richtung eines Bund-Länder-Gipfels zu Fragen der ambulanten Versorgung und der Stärkung der Rolle der MFA unternommen.
Bereits im Vorfeld der Kundgebung am Brandenburger Tor verlautbarte die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Berlin, dass sich nahezu 2.000 der etwa 6.500 Berliner Arztpraxen am heutigen Aktionstag beteiligten.
„Die große Resonanz der KV-Mitglieder zeigt uns, wie ernst die Lage in den Praxen ist“, sagte Christiane Wessel, Vorsitzende der Vertreterversammlung der KV Berlin, während eines Pressetermins in einer HNO-Praxis.
„Zuletzt waren solche Aktionen zu Zeiten der Gesundheitsministerin Ulla Schmidt notwendig, als es um Einschränkungen durch das Arzneimittelspargesetz ging. Dieses Mal geht es um das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz und dessen massive Auswirkungen auf die ambulante Versorgung.“
Die Konsequenz für die Patienten seien längere Wartezeiten, weil in allen Arztpraxen, deren Budgets ausgeschöpft sind, eine Finanzierung für Neupatienten nicht mehr gewährleistet ist, erläuterte KV-Vorstandsmitglied Bettina Gaber. Allein bei den Berliner Hausärzten habe die Neupatientenreglung zu einer Fallzahlsteigerung von elf Prozent geführt.
„Dass der Gesetzgeber ausgerechnet bei den Praxen sparen will, erschließt sich uns nicht und stößt bei den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen auf absolutes Unverständnis“, so der KV-Vorstandsvorsitzende Burkhard Ruppert.
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