Politik

Bundes­verfassungsgericht erhöht Anforderungen für eine Fixierung

  • Dienstag, 24. Juli 2018
Der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht, (von links) Doris König, Andreas Voßkuhle (Vorsitzender des Senats und Präsident des Gerichts), Ulrich Maidowski und Peter M. Huber, verkündet das Urteil zur zwangsweisen Fixierung von Psychiatrie-Patienten. /dpa
Der Zweite Senat beim Bundesverfassungsgericht, (von links) Doris König, Andreas Voßkuhle (Vorsitzender des Senats und Präsident des Gerichts), Ulrich Maidowski und Peter M. Huber, verkündet das Urteil zur zwangsweisen Fixierung von Psychiatrie-Patienten. /dpa

Karlsruhe – Die 5-Punkt- und 7-Punkt-Fixierung von zwangseingewiesenen Psychiatriepatienten muss von einem Richter genehmigt werden – zumindest dann, wenn sie länger als eine halbe Stunde andauert. Dies entschied der zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts heute in Karlsruhe (Az.: 2 BvR 309/15 u.a.). Die Fixierung eines Patienten sei ein Eingriff in dessen Grundrecht auf Freiheit der Person nach Artikel 104 des Grund­gesetzes, sagte der Vorsitzende des Zweiten Senats, Andreas Voßkuhle. Sie sei nur als letztes Mittel zulässig.

Die Richter gaben damit der Klage zweier Patienten recht, von denen der eine in einer Münchner Klinik acht Stunden lang an Armen, Beinen, Körper und Kopf in einer Sieben-Punkt-Fixierung am Bett gefesselt war. Der zweite Mann war in einer Klinik in Baden-Württemberg auf Anordnung eines Arztes über mehrere Tage hinweg immer wieder an Armen, Beinen und Körper bewegungsunfähig gehalten worden.

Besonders schutzbedürftig

In solch einer Situation sei der Patient besonders schutzbedürftig, heißt es in dem Urteil. Deshalb dürften solche Maßnahmen nur das letzte Mittel sein – und nicht etwa wegen Personalmangel in der Einrichtung angeordnet werden. Das Verfassungsgericht erkannte an, dass solche Fixierungen manchmal auch kurzfristig notwendig seien, wenn die Gefahr bestehe, dass der Patient sich oder andere gefährde. Trotzdem stelle die Fesselung des Körpers, wenn sie eine halbe Stunde überschreite, für den Patienten eine Freiheitsentziehung dar.

Sie muss von einem Richter angeordnet oder zumindest anschließend überprüft werden. Zudem muss für die Zeit der Fixierung eine Eins-Zu-Eins-Betreuung durch qualifiziertes Pflegepersonal sichergestellt sein. Von den beklagten Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg verlangen die Karlsruher Richter den „verfassungs­widrigen Zustand“, der derzeit herrsche, bis Juni 2019 zu beseitigen.

Bis dahin muss von den Ländern zudem ein richterlicher Bereitschaftsdienst ein­gerichtet werden, der mindestens zwischen 6 und 21 Uhr erreichbar ist und über Fixierungen entscheidet. Außerdem sind Krankenhäuser schon ab sofort verpflichtet, fixierte Patienten darauf aufmerksam zu machen, dass sie die Maßnahme bei Gericht nachträglich anfechten können.

Die Regelungen in den 16 Bundesländern sind unterschiedlich. Nur Berlin, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen haben bislang die Einschaltung eines Richters gesetzlich vorgeschrieben. Schon bei der Verhandlung hatte Verfassungsgerichtspräsident Andreas Voßkuhle betont, staatliche Freiheitsentziehung sei die schwerste Form der Freiheitsbeschränkung und nur in besonderen Fällen durch das Grundgesetz gedeckt.

Baden-Württembergs Sozialminister Manne Lucha (Grüne) nannte die festgesetzten Fristen nach dem Urteil „ausgesprochen sportlich“. Nicht beantworten wollte der Minister die Frage, ob es sich um ein teures Urteil für das Land handele. Der Freistaat Bayern, dessen Gesetz über die Voraussetzungen zur Fesselung ans Krankenbett ebenfalls als verfassungswidrig bewertet wurde, war bei der Urteilsverkündung lediglich auf Beamtenebene vertreten. Zufrieden mit der Entscheidung des Zweiten Senats zeigten sich die Rechtsvertreter der beiden Personen, die Verfassungsbeschwerde eingelegt hatten.

Das Urteil bezieht sich dem BVerfG zufolge nur auf Fixierungen in der öffentlich-rechtlichen Unterbringung. „Welche Maßstäbe für andere Konstellationen gelten, lässt sich dem Urteil daher nicht ohne Weiteres entnehmen“, erklärte ein Sprecher. Auch lasse das Urteil ausdrücklich offen, ob weniger intensive Fixierungen als die 5-Punkt- oder 7-Punkt-Fixierung eine Freiheitsentziehung im genannten Sinne darstellten. Solche seien nicht Gegenstand des Verfahrens gewesen.

afp/kna/dpa/may

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