Politik

Petitionsausschuss: Probleme der Praxen sollen gelöst werden, Zeitpläne für Gesetze bleiben unklar

  • Montag, 19. Februar 2024
Stephan Hofmeister (li.), Stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV während der heutigen Sitzung des Petitionsausschusses des Bundestages. /picture alliance, Fotostand, Reuhl
Stephan Hofmeister (li.), stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und Andreas Gassen, Vorstandsvorsitzender der KBV während der heutigen Sitzung des Petitionsausschusses des Bundestages. /picture alliance, Fotostand, Reuhl

Berlin – Viele Fehler aus der Vergangenheit sollen mit ebenso vielen Reformen im Gesundheitswesen behoben werden – nur wann die entsprechenden Gesetze dazu vorgelegt werden, das konnte auch eine Anhörung im Petitionsausschuss am heutigen Montag nicht klären. In der öffentlichen Anhörung des Ausschusses des Bundestages wurde über die erfolgreiche Petition der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) diskutiert. Die Petition zur Aktion #Praxiskollaps hatte in den vergangenen Wochen mehr als eine halbe Millionen Mitzeichnerinnen und Mitzeichner gefunden und wurde vom Ausschuss zur Beratung zugelassen.

Die KBV beklagt in der Petition, das ambulante System werde seit Jahren kaputtgespart, der Bürokratie­aufwand werde immer größer, es fehle an Fachpersonal. „Immer mehr Ärztinnen und Ärzte, Psycho­therapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Praxismitarbeitende resignieren und flüchten aus dem System“, heißt es. Vor dem Ausschuss betonte KBV-Chef Andreas Gassen, der als Initiator der Petition geführt wird, dass der Inhalt der Petition nicht „das übliche Gejammere eines Berufsfunktionärs“ sei, sondern die beschriebenen Probleme in vielen Praxen und bei vielen Menschen im Land spürbar seien. „Es ist ein Hilferuf der niedergelassenen Praxen.“

Wann diese geforderte Hilfe aus der Gesundheitspolitik kommt, ließ das Bundesgesundheitsministerium (BMG) allerdings in der Diskussion offen. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) erklärte, dass er viele der beschriebenen Probleme bei der Bürokratie, beim Fachkräftemangel unter Ärztinnen und Ärzten aber auch bei Praxispersonal sowie in der Digitalisierung durchaus anerkenne.

„Das stimmt, es sind viele Fehler in der Vergangenheit gemacht worden. Studienplätze hätten bereits vor acht oder zehn Jahren um 5.000 Stück erhöht werden müssen“, so der Minister vor dem Ausschuss. Erhöhe man jetzt die Studienplätze, helfe dies erst in zwölf Jahren, nicht zum akuten Zeitpunkt. Vielmehr sieht er die beschlossenen Gesetze zur Digitalisierung, die bereits in einigen Bereichen einen Bürokratieabbau schaffen. Aus seiner Sicht ist es „eine Illusion, mit dem deutschen Modell, alles zu lassen, wie es ist, aber immer wieder mehr Geld reinzugeben“ künftig gute Gesundheitspolitik machen zu können, so Lauterbach auf eine Frage eines AfD-Abgeordneten.

Die Forderung, zügig Regresse abzuschaffen oder auch die Entbudgetierung bei Hausärztinnen und Hausärzten nun schnellstmöglich einzuführen, wehrte Lauterbach zunächst ab. Er wolle eher ein komplettes Gesetz vorlegen, als nun einzelne Regelungen zügig zu beschließen. „Es ist bei vielen Themen 16 Jahre nichts gemacht worden, da kommt es jetzt nicht mehr auf vier Wochen an“, so der Minister nach vielen Nachfragen von Abgeordneten und Mitgliedern des Ausschusses.

Außerdem habe er – so Lauterbach in Richtung KBV – mit dem Hausärzteverband (HÄV) verabredet, eine größere Honorarreform mit dem Ziel der Abschaffung von Quartalspauschalen zu erarbeiten. Mit dieser Reform sei dann auch die Entbudgetierung verknüpft. Zu den Kosten der Entbudgetierung für Hausarztpraxen wollte sich der Minister auf Nachfrage des FDP-Abgeordneten Christian Bartelt nicht festlegen. Dies werde mit der Vorlage des Versorgungsstärkungsgesetzes „in Kürze“ geschehen.

Auch eine Berechnung für eine Entbudgetierung aller niedergelassenen Fachgruppen hat Lauterbach nicht. „Da wir die Fachärzte nicht entbudgetieren wollen, haben wir das auch nicht berechnet.“ Bartelt fragte ebenso nach, wann die Regresse abgeschafft würden – auch hier verwies Lauterbach auf das Versorgungsstärkungsgesetz, dass derzeit in der Bundesregierung in der sogenannten Frühkoordinierung zwischen unterschiedlichen Ressorts bearbeitet werde.

Mehrere Abgeordnete aus der Opposition bemühten sich, den Minister auch bei anderen Gesetzesvorhaben auf konkretere Zeitpunkte für die oft angesprochenen und angekündigten Gesetze festzulegen. „Wir gehen alle Probleme an“, hieß es von Lauterbach immer wieder dazu. Auf die Nachfrage der CDU-Abgeordneten Simone Borchardt, wann es eine Reform der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) gebe, betonte Lauterbach, man sei gesprächsbereit, wolle aber in der noch verbliebenen Zeit sich zunächst um die Verbesserung der Versorgung der 90 Prozent GKV-Versicherten Menschen kümmern. Die Reform der GOÄ war nicht Teil der Petition.

Eine abschließende Bewertung der Petition hat der zuständige Ausschuss heute nicht gefasst. Dies kann in den kommenden Wochen folgen. Der Ausschuss kann beispielsweise eine Beschlussempfehlung beschließen und diese dann an die Bundesregierung mit der Bitte um Berücksichtigung weiterreichen. Dies war beispielsweise mit der Petition zur Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung geschehen.

Die KBV zeigte sich im Anschluss an die Sitzung enttäuscht: „Die Menschen im Land schätzen ihre niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte. Sie wollen ihre Praxis vor Ort behalten und spüren, dass dies längst keine Selbstverständlichkeit mehr ist. Ich hatte den Eindruck, dass das heute bei den Politikerinnen und Politikern im Ausschuss auch angekommen ist. Enttäuscht bin ich allerdings über den Bundesgesundheits­minister, der einer notwendigen Entbudgetierung für alle Praxen erneut eine Abfuhr erteilte“, sagte KBV-Chef Gassen.

Aus Sicht der Krankenkassen werde die heutige Darstellung der Probleme im Gesundheitswesen der „Realität nicht gerecht“, erklärte die Vorsitzende des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann. „Wir sollten aufhören, ständig das Bild eines nicht mehr funktionierenden Gesundheitswesens zu zeichnen. Noch nie wurde so viel Geld für die ambulante Versorgung aufgewendet wie aktuell, allein 2022 waren es 46 Milliarden Euro. Und die Zahl der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte, die in der Versorgung tätig sind, ist in den letzten Jahren auf einen Spitzenwert von 185.000 gestiegen“, so Reimann weiter.

Vielmehr seien die vorhandenen finanziellen und personellen Ressourcen schlecht verteilt. „Wenn wir die Probleme des Ärztemangels auf dem Land und der langen Wartezeiten lösen wollen, müssen wir ärztliche Praxisstrukturen weiterentwickeln, die Kompetenzen weiterer Gesundheitsberufe nach dem Vorbild anderer europäischer Länder erweitern und nicht zuletzt die Möglichkeiten der Digitalisierung wie Videosprechstunden stärker nutzen“, so Reimann.

Die Forderung der KBV nach mehr Ambulantisierung unterstützt Reimann ausdrücklich: „Wir brauchen mehr ambulante statt stationärer Operationen. Nach wie vor werden viel zu viele Menschen in Deutschland im Krankenhaus behandelt, obwohl sie auch ambulant gut und ohne Abstriche in der Behandlungsqualität versorgt werden könnten.“

bee

Diskutieren Sie mit:

Diskutieren Sie mit

Werden Sie Teil der Community des Deutschen Ärzteblattes und tauschen Sie sich mit unseren Autoren und anderen Lesern aus. Unser Kommentarbereich ist ausschließlich Ärztinnen und Ärzten vorbehalten.

Anmelden und Kommentar schreiben
Bitte beachten Sie unsere Richtlinien. Der Kommentarbereich wird von uns moderiert.

Es gibt noch keine Kommentare zu diesem Artikel.

Newsletter-Anmeldung

Informieren Sie sich täglich (montags bis freitags) per E-Mail über das aktuelle Geschehen aus der Gesundheitspolitik und der Medizin. Bestellen Sie den kostenfreien Newsletter des Deutschen Ärzteblattes.

Immer auf dem Laufenden sein, ohne Informationen hinterherzurennen: Newsletter Tagesaktuelle Nachrichten

Zur Anmeldung