Ringen um Zukunft der Nationalen Versorgungsleitlinien

Mainz – Nach der Ankündigung, das Ärztliche Zentrum für Qualität und Wirtschaftlichkeit (ÄZQ) zum Ende des Jahres aufzulösen, hat sich der 128. Deutsche Ärztetag heute mit den möglichen Konsequenzen der Entscheidung beschäftigt. Im Fokus stand die Frage, wie die Nationalen Versorgungsleitlinien (NVL) künftig fortgesetzt werden könnten.
Träger des ÄZQ sind die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Bundesärztekammer (BÄK). Das Kompetenzzentrum unterstützt beide bei der Qualitätssicherung der ärztlichen Berufsausübung. Unter anderem hat sich das ÄZQ in die Leitlinienarbeit eingebracht und etwa die Nationalen Versorgungsleitlinien (NVL) erstellt. Das Institut hat auch die Leitlinienentwicklung für diverse Fachgesellschaften unterstützt.
Das ÄZQ war im März 1995 von BÄK und KBV gegründet worden, damals zunächst als „Zentralstelle der deutschen Ärzteschaft zur Qualitätssicherung in der Medizin (ÄZQ)“. Im Juli 1997 wurde diese in eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts umgewandelt. Im Januar 2003 erfolgte die Umbenennung in „Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (ÄZQ)“. Die Kosten haben sich KBV und BÄK geteilt, zuletzt beliefen sich diese zusammen auf etwa zwei Millionen Euro pro Jahr.
Die KBV hatte betont, die Entscheidung sei aus „organisatorischen Gründen“ notwendig geworden. „Vor dem Hintergrund geänderter rechtlicher und organisatorischer Rahmenbedingungen sehen KBV und BÄK keine Perspektive für die dauerhafte Fortführung von gemeinsamen Einrichtungen“, hatte die Bundesärztekammer erklärt.
BÄK und KBV hätten deswegen in den vergangenen Monaten eingehend über die Zukunft des ÄZQ beraten und seien zu dem Ergebnis gekommen, die Tätigkeit des ÄZQ zum 31. Dezember 2024 zu beenden. Die BÄK hatte darüber hinaus erklärt, das ÄZQ habe in den vergangenen 30 Jahren wichtige Beiträge zur Patienteninformation, zur Patientensicherheit und zur Förderung einer evidenzbasierten Patientenversorgung geleistet. Diesen Anliegen bleibe man weiterhin verpflichtet.
Fachgesellschaften und einge Ärzteverbände hatten sich daraufhin besorgt gezeigt. Ebenso wie heute einige Delegierte des 128. Deutschen Ärztetages. Bernd Bertram aus Nordrhein stellte klar, die Leitlinien müssten auch künftig rein medizinisch bleiben. Politik, Kostenträger und Industrie dürften nicht mitreden. „Ich warne davor, das Thema zu delegieren.“
Oliver Funken aus der Ärztekammer Nordrhein (ÄKNO) betonte, das ÄZQ sei 1995 wegen fortschreitender „Industrialisierung“ und für einen Erhalt der Unabhängigkeit der Ärzteschaft gegründet worden. Er kritisierte BÄK und KBV für die Entscheidung. „Ich fordere dazu auf, strategisch die Karten auf den Tisch zu legen, wie wir uns künftig vor Einflussnahme der Industrie schützen wollen“, sagte er.
Henrik Herrmann, Präsident der Ärztekammer Schleswig-Holstein (ÄKSH), sagte, auch ihn beschleiche ein „komisches Gefühl“, wenn der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) oder das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) den Ton angeben würden. „Da kann ich mir vorstellen, in welche Richtung das geht.“
Wilfried Schimanke, Ärztekammer Mecklenburg-Vorpommern (ÄKMV), schätzt die Gefahr eher als gering ein. „Wir sind recht zuversichtlich, dass es eine Staatsmedizin, zumindest was die NVL angeht, nicht geben wird.“ Die Gefahren seien überschaubar und man könne sich gegen den G-BA und das Ministerium durchsetzen.
„Der Fortbestand der NVL ist für unsere ärztliche Arbeit außerordentlich wichtig“, hatte Robin T. Maitra von der Ärztekammer Baden-Württemberg (ÄKBW) erklärt. Die Finanzierung sei enorm hoch, aber er habe in der Rede von Bundesgesundheitsminister Karl Laueterbach (SPD) auch vernommen, dass neue Strukturen kommen sollten.
Dieser hatte in seiner Eröffnungsrede zum 128. Deutschen Ärztetag am Rande betont, er befinde sich zum ÄZQ in einem „engen Austausch“ mit der Bundesärztekammer. Man brauche gute Leitlinien in der Medizin. Dazu habe das Ärztliche Zentrum für Qualität in der Medizin „immer einen wichtigen Beitrag geliefert.“ „Das ÄZQ hat wichtige Funktionen in unserem Gesundheitssystem.“ Lauterbach hatte davon gesprochen, dass Leitlinienarbeit inhaltlich in die Ärzteschaft gehört.
Josef Hecken, Unparteiischer Vorsitzender des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), hatte allerdings gesagt, er befinde sich in „sehr konstruktiven Gesprächen“ mit dem Bundesministerium für Gesundheit zur Frage, ob die Fortschreibung der NVL künftig beim Innovationsfonds angesiedelt werden könnte. Denkbar sei ein gesonderte Punkt in der Leitlinienförderung.
Die Delegierten hatten heute auch zwei Anträge zum Fortbestand des ÄZQ eingereicht. Der eine forderte den BÄK-Vorstand auf, dass die Angebote des ÄZQ und insbesondere die Nationalen Versorgungsleitlinien erhalten und nahtlos fortgeführt werden. „Dazu muss eine geeignete Anschlussstruktur bis zum 1.1.2025 geschaffen werden“, hieß es etwa.
In dem anderen wird der Vorstand darum gebeten, ein Konzept zu entwickeln, um mit dem bislang tätigen Fachpersonal die Fortsetzung der erfolgreichen und wichtigen NVL mit den dazugehörigen Patienteninformationen zu sichern. Beide Anträge überwiesen die Abgeordneten des Ärzteparlaments am Ende der Diskussion an den Vorstand der BÄK, der sich nun damit befassen wird.
Zuvor hatte der Präsident der Ärztekammer Rheinland-Pfalz, Günther Matheis, die Kosten für die Fortführung des ÄZQ in den Blick genommen. Diese würden sich nicht auf die bisherigen zwei Millionen Euro belaufen, hatte er erläutert. Weder die Fortführung der NVL-Programme Asthma, COPD, Diabetes, Herzinsuffizienz noch die Pflege der NVL sowie die Ausweitung auf neue NVL wie Osteoporose, Rheuma oder Adipositas seien „mit den bisherigen Kosten darstellbar“.
Die realen Kosten lägen in etwa künftig zwischen drei und 3,5 Millionen Euro jährlich, so Matheis. Ein Beschluss für eine feste finanzielle Beteiligung der Bundesärztekammer würde den Verhandlungsspielraum für Gespräche über die Fortsetzung der NVL erheblich einschränken. Sein Appell: „Bitte geben Sie dem Vorstand einen breiten Handlungsspielraum und lehnen die Anträge ab.“
„Wir sind guter Dinge, dass es eine Zukunft für diese nationalen Versorgungsleitlinien gibt. Realistisch kommt eine Übernahme dieser ÄZQ-Strukturen in die BÄK aber nicht in Betracht“, sagte er. Matheis hatte sich auch dagegen verwehrt, bei der Entscheidung habe es sich um einen Schnellschuss gehandelt. Der Vorstand habe in den vergangenen Monaten intensiv über Zukunft des ÄZQ beraten.
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