Politik

GKV-Finanzstabilisierungs­gesetz: Druck auf Lauterbach nimmt zu

  • Montag, 26. September 2022

München – Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat im Zusammenhang mit den angekündigten Reformen eines Stabilisierungsgesetzes für die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) immer wieder Leis­tungs­­kürzungen ausgeschlossen. Landespolitik, Ärzte und Kranken­häuser ermahnten ihn heute, das nicht zu vergessen.

„Der Bundesgesundheitsminister hat versprochen, dass die Versicherten keine Leistungskür­zungen zu be­fürch­ten haben“, erklärte der bayerische Gesundheitsminister Klaus Hole­tschek (CSU) heute anlässlich eines Treffens mit führenden Vertretern von Ärzten, Zahnärzten, Kran­ken­häusern, Apothekern und Industrie in Mün­chen.

Deshalb müsse an der Neupatientenregelung festgehalten werden, bei der Ärzte die Behandlung neuer Pa­tien­­­ten außerhalb der Gesamtvergütung – also ohne Budgetierung – abrechnen könnten. Die geplante Strei­chung der Neupatientenregelung werde die Wartezeiten in den Arztpraxen eher noch erhöhen, sagte Hole­tschek.

Das Treffen heute fand unter anderem mit dem Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereini­gung (KBV), Andreas Gassen, dem Präsidenten der Bundesärztekammer (BÄK), Klaus Reinhardt, dem Vorstands­vorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB), Wolfgang Krombholz sowie dem Ge­schäfts­füh­rer der Bayeri­schen Kran­kenhausgesellschaft, Roland Engehausen, statt.

Holetschek betonte nach dem Treffen im bayerischen Gesundheitsministerium, alle seien sich einig gewe­sen, dass der bisherige Entwurf von Lauterbach nicht tragbar sei. „Der Bundesgesund­heitsminister muss die Kritik und Vorschläge aus den Reihen der Verbände und der Länder ernst nehmen. Wir müssen jetzt gemeinsam nach einer langfristigen Lösung suchen.“

Er forderte zugleich mehr Tempo bei den von Lauterbach angekündigten neuen Vorschlägen. „Nicht nur die GKV-Finanzen sind kritisch. Wir brauchen auch einen Schutzschirm gegen die steigenden Energiekosten. Klar ist auch: Die Unterstützung muss schnell und unbürokratisch kommen“, so Holetschek. Er rief Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) dazu auf, bei der Minister­präsidentenkonferenz in dieser Woche ein Entlastungspaket für die Ein­richtungen im Gesundheitswesen vorzulegen.

Große Sorgen bei Akteuren im Gesundheitswesen

Die Sorgen bei den Verbänden sind angesichts der Streichliste von Lauterbach seit Wochen groß – ebenso wie die Proteste. „Es ist gut, dass wir heute mit einem breiten Bündnis von Landespolitik und Verbänden auftreten und gemein­sam betonen: Die Neupa­tien­­tenregelung muss bleiben“, sagte KBV-Chef Andreas Gassen. Er mach­te deutlich, dass die Streichung „lei­der un­ausweichlich verbunden mit Leistungskür­zungen“ für Patienten ein­hergehe.

Gassen monierte, die Neupatientenregelung sei erst 2019 unter großem Zuspruch Lauterbachs eingeführt wor­den und solle nun auf dessen Drängen gestrichen werden. „Die Folge wäre ein enormer Vertrauensverlust bei den niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen. Wir brauchen sichere und verlässliche politische Rah­menbe­dingungen, keine willkürlich anmutenden Schnellschüsse.“

Durch die jetzt geplante Rücknahme der Neupatientenregelung werden der Patientenversorgung rund 400 Millionen Euro entzogen. Diese Zahl hatte das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) errech­net. Das Zi hatte zuletzt auch wiederholt darauf hingewiesen, dass die Neupatientenregelung tatsächlich zu mehr behandelten Patienten geführt habe. Das zweifelt Lauterbach an. Die ihm vorliegenden Daten gäben das nicht her, hatte der Minister mehrfach betont. Zahlen dazu vorgelegt hat er aber bisher nicht.

Für den BÄK-Präsidenten Klaus Reinhardt ist das Vorhaben von Lauterbach nichts anderes als eine Leistungs­kürzung für Patienten durch die Hintertür. „Statt undurchdachter Rotstiftpo­litik zur kurzfristigen Stabilisierung der Kassenfinanzen brauchen wir nachhaltige, strukturelle Reformen bei der Krankenkassenfinanzierung“, sagte er heute in München.

Dazu gehört eine dauerhafte Anhebung und Dynamisierung des Bundeszuschusses an den Gesundheitsfonds zum Ausgleich der versicherungsfremden Leistungen. Denkbar sei, Teile der Einnahmen aus der Alkohol- und Tabaksteuer als zweckgebundene Abgabe für die GKV-Finanzierung heranzuziehen. Zur Entlastung der Kran­kenkassen muss der Bund aus Sicht von Reinhardt endlich seiner Verant­wortung gerecht wer­den und die Gesundheitsversorgung von ALG-II-Empfängern kostendeckend refinanzieren.

Außerdem sollte der Gesetzgeber den Mehrwertsteuersatz auf Arzneimittel von jetzt 19 Prozent auf sieben Prozent reduzieren, so wie schon jetzt bei Grundnahrungsmitteln und Tierarzneimitteln. „Allein das würde die Krankenkassen um rund sechs Milliarden Euro im Jahr entlasten und das gesamte System nachhaltig stabi­li­sieren“, so Reinhardt.

Gerald Quitterer, Präsident der Bayerischen Landesärztekammer (BLÄK), sprach heute von einem „unprofessi­onell ge­strickten Spargesetz“. „Die Streichung der Neupatientenregelung ist keine geeignete Maßnahme und muss rück­gängig gemacht werden. Wir brauchen Gesetze, die nachhaltig die GKV stabilisieren und von ver­siche­rungsfrem­den Leistungen befreien“, sagte er.

Der Chef der KVB, Wolfgang Krombholz, machte seinem Ärger Luft. Die angedrohte Rücknahme der Neupa­ti­en­­ten­regelung habe „das Fass für die bayerischen Praxen zum Überlaufen gebracht“. Nicht nur dieser Wort­bruch der Berliner Politik sorge für Frust, erklärte er. Krombholz verwies auf die fehleranfällige Telematikin­frastruktur, den Ärger um einen fehlenden Coronabonus für Medizinische Fachangestellte und das unange­messen niedrige Honorarplus des Orientierungswertes.

Der Orientierungs­wert – und damit die Preise ärztlicher und psychotherapeutischer Leistungen für 2023 – sollen um zwei Prozent steigen. Der Schiedsspruch war in der vergangenen Woche in der dritten Runde der Honorar­ge­spräche zwischen KBV und GKV-Spitzenverband im Erweiterten Bewertungsausschuss (EBA) mit fünf zu vier Stimmen gegen das Votum der Ärzteschaft gefallen.

Roland Engehausen, Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft, machte deutlich, dass der wirt­schaftliche Druck im Gesundheitswesen „jetzt schon enorm“ sei. „Die vom Bundes­ge­sundheitsminister geplante Kürzung von 20.000 Stellen im Krankenhaus für unterstützende Tätigkeiten für die Pflege am Pa­tien­tenbett wür­de ausgerechnet dort den Fachkräftemangel nochmals dramatisch verschärfen“, erklärte er. Auch die geplante, massive Kürzung der GKV-Rücklagen würde die Probleme weiter zuspitzen, weil die Kran­kenkassen den Druck an das Gesundheitswesen weitergegeben würden.

Christian Berger, Vorsitzender des Vorstands der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Bayerns (KZVB), bezeich­nete das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz als „Frontalangriff“ auf die zahn­ärztliche Patientenversorgung. „Für begrenzte Mittel kann es auch nur begrenzte Leistungen geben.“

Ähnlich äußerten sich Apotheker und Industrie heute nach dem Treffen. Das GKV-Finanzsta­bilisierungsgesetz verschärft nach Ansicht von Franziska Scharpf, Vizepräsidentin der Bayerischen Landesapothekerkammer (BLAK), die an­gespannte personelle und wirtschaftliche Situation der Apotheken, nachdem auch seit Jahren keinerlei Honor­aranpassungen von Seiten der Politik erfolgten. Auch die Apotheken könnten höhere Tariflöh­ne, steigende Energiekosten und die allgemeine Inflation nicht einfach weitergegeben.

Hans-Peter Hubmann, 1. Vorsitzender des Bayerischen Apothekerverbandes, forderte heute eine angemessene Vergütungsanpassung aufgrund drastisch gestiegener Kosten. „Die Apotheken vor Ort haben bewiesen, dass sie für ein krisenfestes Gesundheitswesen unverzichtbar sind. Das muss politisch jetzt endlich honoriert wer­den.“

Hans-Georg Feldmeier, Vorsitzender des Bundesverbands der Pharmazeutischen Industrie (BPI), wies auf die Belastun­gen der Industrie hin. Explodierende Energie- und Rohstoffpreise sowie fragile Lieferketten belaste­ten die deutsche Pharmaindustrie „außerordentlich“.

„Wir sind der einzige Industriezweig, der Kostensteigerungen nicht an anderer Stelle refinanzieren kann. Dazu kommen weitere Sparpläne aus dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz. Damit gefährdet der Bundesgesund­heits­­minister den Pharmastandort Deutschland und ein sichere Arzneimittelversorgung.“ Das Gesetz müsse dringend angepasst werden.

may

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